Thomas Tuchel als emphatischer und gelassener Krisenmanager – das konnte sich bis vor etwa anderthalb Monaten noch kaum einer vorstellen. In seiner Zeit als Trainer bei Borussia Dortmund vor fünf Jahren wirkte der deutsche Fussballlehrer wenig empathisch und zeigte kaum diplomatisches Geschick im Umgang mit der Mannschaft und der Führungsriege. Auch während seiner Zeit in Paris hatte er Probleme mit der Chefetage, was ihn letztlich den Job kostete. Nun wirkt Tuchel, der seit Anfang des vergangenen Jahres Coach des FC Chelsea ist, wie ausgewechselt.
🗣 "We need nothing else than a fantastic script if we want to be able to overcome this."
— Football Daily (@footballdaily) April 11, 2022
Thomas Tuchel suggests that the beliefs and confidence of the players will play a big part in their match up, where they hope to overturn a 3-1 upset pic.twitter.com/rndXeNulvd
Inmitten der Krise beim englischen Champions-League-Sieger ist der 48-jährige Trainer Thomas Tuchel das Aushängeschild des Vereins. Er managt mit Souveränität, Fingerspitzengefühl und gar einer Prise Humor einen Klub, dessen Zukunft ungewiss ist. Eigentlich wäre es gar nicht seine Aufgabe, der neue Krisenmanager zu sein. Doch die Verantwortlichen von Chelsea halten sich vornehmlich im Hintergrund. Und der deutsche Coach schafft es, in der schwierigen Zeit ruhig zu bleiben und sich der einen oder anderen unangenehmen Frage zu stellen.
Im März äusserte sich Tuchel im Zuge der verhängten Sanktionen bezüglich der Beschränkung der Reisekosten an Auswärtsspiele: «Wenn wir nicht mehr mit dem Flugzeug fliegen können, fahren wir halt mit dem Zug. Wenn wir auch das nicht mehr können, nehmen wir den Bus. Zur Not fahre ich auch einen Siebensitzer». Solche Aussagen kommen sowohl bei den Fans als auch bei den Spielern an: «Viele Menschen in unserem Verein ziehen Kraft aus dem, was er sagt», erklärt Spieler und Landsmann Kai Havertz.
Chelsea fans carrying a life-size cut-out of Tuchel through Madrid pic.twitter.com/pu88l6UL5u
— Miguel Delaney (@MiguelDelaney) April 11, 2022
Christian Heidel, Mainz-Sportvorstand und «Entdecker» von Tuchel, sagte jüngst: «Ich glaube, sie können in London glücklich sein, dass sie Thomas gerade jetzt haben. Er ist jemand, der seinen Spielern sehr nahe ist, der genau weiss, wie er mit ihnen umgehen muss.» Ob man diese Aussage in Paris oder Dortmund unterschreiben würde, ist dennoch fraglich.
Seit Beginn des Konflikts in der Ukraine verhängten die EU und das Vereinigte Königreich happige Sanktionen gegen zahlreiche russische Oligarchen. Darunter befindet sich auch Roman Abramowitsch, Klubbesitzer des FC Chelsea.
Abramowitsch ist seit knapp 20 Jahren Eigentümer des FC Chelsea und hat in dieser Zeit viel Geld in den Verein investiert. Bis jetzt. Aktuell darf der Verein weder Spielertransfers noch Vertragsverlängerungen durchführen, Eintrittskarten oder Fanartikel können derzeit nicht oder nur eingeschränkt verkauft werden. Da Abramowitsch keinen Zugriff auf seine Konten hat, soll er gar Freunde gebeten haben, ihm Geld zu leihen.
Diese Sanktionen gelten, solange der Klub im Besitz des 55-jährigen Oligarchen aus Saratow ist. Da diese Situation nicht tragbar ist, wird der Verein nach fast zwei Jahrzehnten in neue Hände kommen.
Interessenten mit dem nötigen finanziellen Budget gibt es einige, denn ein Klub aus der Premier League kann vor allem aufgrund der üppigen Fernsehverträge lukrativ sein. Auf umgerechnet knapp 3.65 Milliarden Franken wird der Wert des FC Chelsea geschätzt, gemäss Experten ist ein solcher Preis aber nicht realistisch.
Laut der britischen «The Times» plant Chelsea, am 18. April einen neuen Käufer zu präsentieren. Es sollen noch vier Interessenten im Rennen sein, die bis zum 11. April ihre Gebote abgeben können. Die amerikanische Bank Raine unterstützt den FC Chelsea bei der Abwicklung der Übernahme. Das britische Finanzministerium entscheidet anschliessend, ob der Verkauf vonstattengehen darf.
Im finalen Kreis befinden sich wohlhabende Persönlichkeiten, die sich mit der Führung von Sportvereinen auskennen und für die Übernahme weitere Investoren organisiert haben. Einer dieser Persönlichkeiten ist wohl der Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss, der vor über einem Monat Interesse am Kauf des FC Chelsea bekundete.
Auch sportlich läuft es bei Chelsea aktuell nicht rund. Die Chancen auf den Titel in der heimischen Liga sind nicht mehr realistisch. 12 Punkte Rückstand (bei einem Spiel weniger) auf Spitzenreiter Manchester City sind bei noch acht ausstehenden Spielen kaum mehr aufzuholen.
Together. 💙#UCL pic.twitter.com/sqM0NE97Sm
— Chelsea FC (@ChelseaFC) April 11, 2022
Auch in der Champions League stehen die Londoner nach der 1:3-Heimpleite gegen Real Madrid von letzter Woche vor dem Aus: Tuchel sagte nach besagter Partie: «Das war wahrscheinlich die schlechteste erste Halbzeit, seit wir bei Chelsea sind. Das war weit entfernt von allen Massstäben, die wir uns setzen». Das heutige Rückspiel bietet die Gelegenheit, eine bis anhin unglückliche Saison aufzupolieren.