1998 stemmt er den WM-Pokal als Captain von Frankreich in die Höhe. 2018 führt er «Les Bleus» auch von der Seitenlinie zum WM-Titel. Als erst drittem Mann dieser Welt gelingt ihm dieses Double. Trotzdem wird Didier Deschamps in Frankreich noch immer nicht von allen geliebt. Warum?
Die wenig berauschende Spielweise seines Teams passt vielen nicht, dabei geben dem 54-Jährigen die Resultate recht. Wieder hat er sein Team in den WM-Final geführt. Nun könnte er zum erfolgreichsten Mann des Weltfussballs werden, sollte er nun auch noch als erst zweiter Trainer den WM-Titel verteidigen. Dabei war lange unklar, ob er Nationaltrainer bleiben darf. Mindestens der Halbfinal-Einzug musste her, damit er selber über seine Zukunft entscheiden kann. Mit Zinedine Zidane stünde bereits ein anderer Weltmeister von 1998 in den Startlöchern. Doch Deschamps hat die Vorgabe erreicht und kann nun selber entscheiden, ob er nach der WM bleibt. Zunächst will er seinen Namen in den Geschichtsbüchern oben verewigen.
60 Jahre ist es her, seit es zuletzt gelang, den WM-Titel zu verteidigen. Nur Italien 1934 und 1938 sowie Brasilien 1958 und 1962 triumphierten zweimal in Serie. Nun könnte Frankreich in diesen illustren Kreis vordringen. Diese Chance hatte einst auch der Final-Gegner: Nach dem Titel 1986 erreichten die Argentinier 1990 wieder den Final, verloren aber gegen Deutschland.
Kylian Mbappé ist der grosse Star des französischen Teams. Das Spiel der Franzosen ist ganz auf den 23-Jährigen ausgerichtet. Er darf vorne glänzen und muss hinten nicht helfen. Die Rechnung geht auf. Dank Dribbelkunst und Tempo stellt Mbappé seine Gegenspieler vor unlösbare Probleme. Fünf Tore hat er an dieser WM schon erzielt. Mit den Argentiniern Messi (fünf Tore) und Alvarez (vier Tore) kämpft er um die Torschützenkrone. Insgesamt steht Mbappé schon bei neun WM-Treffern - so viele wie kein 23-Jähriger vor ihm. Dazu wäre Mbappé der jüngste Doppel-Weltmeister seit Brasiliens Pelé.
Die Verletztenliste Frankreichs liest sich prominent. Weltfussballer Karim Benzema, die Mittelfeldmotoren N'Golo Kanté, Paul Pogba oder Leipzig-Torjäger Christopher Nkunku fehlen alle. Qualitativ tut dies dem Team jedoch keinen Abbruch. Einige Beobachter sagen, dass Pogbas und Benzemas Abwesenheit dazu führte, dass das Teamgefüge besser ist als an der EM 2021. Und auf dem Platz können die Franzosen die Ausfälle kompensieren: Giroud überzeugt als Torjäger und Tchouaméni orchestriert das Mittelfeld. Doch nun wird Frankreich auch noch von einem Virus angegriffen. Die Grippe breitet sich aus, Varane und Konaté leiden an Symptomen. Im Halbfinal fehlten bereits Upamecano und Rabiot.
Als 2018 Frankreich Weltmeister wurde, verteidigte hinten links Hernandez – genau wie heute. Doch statt Lucas spielt nun dessen Bruder Theo. Vor dem Turnier hatte Deschamps den Kampf um die linke Seite zwischen den Brüdern eröffnet, die auch für Spanien hätten spielen können. Im Startspiel gegen Australien erhielt der 26-jährige Lucas den Vorzug, doch nach 13 Minuten war die WM für ihn zu Ende: Kreuzbandriss.
Theo, der erst 2021 im Nationalteam debütiert hat, übernimmt seither die Position seines um eineinhalb Jahre älteren Bruders – und füllt sie vorzüglich aus. Er interpretiert seine Rolle offensiver und sorgt auf der linken Seite mit Mbappé immer wieder für Gefahr. Zwei Tore bereitete er vor, gegen Marokko erzielt er den Treffer zum 1:0. In Gedanken ist er dabei auch bei seinem Bruder: «Ich will jedes Spiel spielen, weil ich die Trophäe für ihn nach Hause bringen möchte.»
Frankreich gegen Argentinien? Der WM-Final 2022 ist die Neuauflage des WM-Achtelfinals 2018. 4:3 siegten «Les Bleus» damals. Es war eine herausragende Partie, die beste jener WM. Horrendes Tempo, exzellente Spielzüge, wunderbare Tore, viele Wendungen. 1:2 im Rückstand liegend, spielten sich die Franzosen in einen Rausch, Pavard und zweimal Mbappé trafen innert elf Minuten, von da an liessen sie sich nicht mehr aufhalten bis zum Titel. Und Pavard wurde völlig unvermittelt zum Liebling der Fans, inklusive ihm gewidmetem Song. Vier Jahre nehmen die Franzosen darum viele gute Gefühle mit in den Final.
Es mag auf Wüstensand gebaut sein, an einem Ort, wo vorher nur das grosse Nichts war. Unter Bedingungen, die für die Arbeiter über der Grenze des Zumutbaren lagen. Aber wer das alles für einige Momente ausblendet, der sieht im Lusail-Stadion, wo der WM-Final stattfindet, ein prächtiges Stadion, vielleicht sogar das schönste der Welt. Fast 90'000 Zuschauer werden dabei sein. Die allermeisten aus Argentinien. Sie werden auch am Sonntag wieder unaufhörlich singen und für eine atemberaubende Stimmung sorgen. Messi und Co. haben also ein Heimspiel – aber nicht nur wegen der Unterstützung auf den Rängen. Argentinien hat an dieser WM bereits vier Mal im Lusail gespielt, Frankreich dagegen noch nie. Es ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Es ist eine ziemlich erstaunliche Geschichte, die Lionel Scaloni gerade schreibt. Seit 2018 führt er die Geschicke einer Mannschaft, die, so scheint es, das Gewicht aller 46 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Argentiniens auf ihren Schultern trägt. Doch die Anerkennung, die ihn jetzt zuhauf ereilt, musste er sich hart verdienen. «Der kann doch nicht einmal den Verkehr leiten! Wie wollen wir ihm da die Nationalmannschaft übergeben? Sind wir denn alle verrückt geworden?», ächzte der mittlerweile verstorbene landesheilige Diego Maradona, als Scaloni nach der WM in Russland übernahm.
Die Vorbehalte lagen vor allem daran, dass Scaloni die Erfahrung von genau null Tagen als Trainer im Profi-Bereich vorweisen konnte. Die Zweifel begleiteten Scaloni selbst dann noch, als er Argentinien 2021 zum Sieg der Copa America führte, Südamerikas Pendant zur EM. Und auch jetzt in Katar schossen die Kritiker nach dem 1:2 zum Start gegen Saudi-Arabien scharf.
Diese Niederlage führte dazu, dass Argentinien fortan nur noch Endspiele vor sich hatte. Doch Scaloni gelang fast Wundersames, er modifizierte die Equipe tiefgreifend. Und vor allem wurde offensichtlich, welch grossartigen Teamgeist er kreiert hatte. Nun liegt ihm das Land zu Füssen. Denn es ist auch sein Verdienst, dass Lionel Messi an seiner letzten WM noch einmal eine Chance erhält, den ersehnten Titel zu gewinnen, 20 Jahre nachdem mit Brasilien letztmals ein Team aus Südamerika Weltmeister wurde.
Grimmiger Ausdruck im Gesicht. Der Körper mit düsteren Tattoos bemalt. Es gibt diese Spieler, denen möchte man auf dem Rasen lieber nicht begegnen. Rodrigo de Paul gehört gewiss dazu. Gewiss, auch er hat beachtliche technische Fähigkeiten. Doch seine grösste Aufgabe ist eine andere: Lionel Messi zu beschützen. Auch darum ist er am rechten Flügel aufgestellt. De Paul rackert, rennt und tackelt für mindestens zwei. Und ist als Bodyguard zur Stelle, wenn einer Messi zu nahe kommt.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass De Paul bei Atlético Madrid spielt. Dessen Trainer Diego Simeone, auch er Argentinier, ist ja bekannt für die Liebe zum rustikalen Spiel. Bei allem Zauber von Messi: Um Erfolg zu haben, braucht es eben auch Arbeiter wie De Paul.
Die Erkenntnis ist nicht neu. Aber sie hat sich an dieser WM noch einmal akzentuiert. Es ist eine bewusst gewählte Strategie, auf Ballbesitz zu verzichten. Um dann nach Ballgewinn mit ultraschnellen Kontern zum Erfolg zu kommen. Argentinien und Frankreich haben diese Methode am ausgeprägtesten verinnerlicht. Selbst in den Halbfinals gegen die Aussenseiter Kroatien und Marokko überliessen sie ihren Kontrahenten den Ball. Darum lautet eine entscheidende Frage in diesem WM-Final: Wer muss das Spiel gestalten? (aargauerzeitung.ch)