Argentinien hat Lionel Messi. Lionel, der Superstar. Aber Argentinien hat auch Lionel Scaloni an der Seitenlinie. Lionel, der Unscheinbare. Lionel, der Bescheidene. Lionel – der Weltmeister-Trainer?
Der Start von Lionel Scalonis Karriere als Cheftrainer der argentinischen Nationalmannschaft hätte kaum zu einem turbulenteren Zeitpunkt kommen können. Die «Albiceleste» war an der WM 2018 gerade im Achtelfinal gescheitert. Ob Messi weitermachen würde, war mehr als zweifelhaft. Und Cheftrainer Jorge Sampaoli wurde entlassen – ein millionenteures Missverständnis, das den Verband vor finanzielle Probleme stellte.
Also entschieden sich die Verantwortlichen für die günstige Option, den bisherigen Assistenten Scaloni zu befördern. Eine Entscheidung, die nicht überall gut ankam. Die mittlerweile verstorbene Fussball-Legende Diego Maradona sagte: «Er ist ein guter Typ, aber er könnte nicht einmal den Verkehr ordnen.» Und auch sonst hagelte es Kritik. Der damals 40-Jährige sei nicht auf der Höhe und habe zu wenig Erfahrung, hiess es.
Dennoch hielt Argentinien an Scaloni fest. Vom Typ her ist er komplett anders als Vorgänger und Hitzkopf Sampaoli. «Er hat einfach dieses Menschliche und diese Wärme, und so, glaube ich, führt er auch Argentinien», sagte sein ehemaliger Teamkollege Miroslav Klose in der «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Auch Scaloni führt und dirigiert während eines Spiels leidenschaftlich. Daneben ist er aber fast schon unscheinbar, besonnen und er überlässt gerne seinen Spielern das Rampenlicht.
Der in Spanien wohnhafte Scaloni gilt als Taktikfuchs. Seine taktische Flexibilität hat er bewiesen, als er gegen die Niederlande seine Mannschaft auf eine Dreierkette umstellte und so den Halbfinaleinzug sicherte. Zudem hat er den Umbruch in der Mannschaft vorangetrieben. In Katar sind wie schon beim Copa-América-Triumph im vergangenen Jahr bislang eher unbekannte Spieler wie Marcos Acuña, Nahuel Molina, Alexis Mac Allister oder Julian Alvarez Teamstützen. Und fast noch wichtiger: Scaloni überzeugte Messi davon, die Nationalmannschaftskarriere noch nicht aufzugeben.
Der Erfolg gibt dem Chef der «Albiceleste» recht. 2021 führte er sein Land zum Sieg in der Copa América. Es war das erste Mal seit 1993, dass Argentinien die Südamerika-Meisterschaft wieder gewann. Bis zum Start der WM in Katar siegte die Mannschaft bei 36 Spielen in Folge. Scaloni liess auch seine letzten Kritiker verstummen.
Und dann das. Gegen den eigentlich krassen Aussenseiter Saudi-Arabien werden Argentinien gleich drei Tore aberkannt, die Verteidigung wirkt wacklig und am Ende setzt es eine 1:2-Niederlage ab.
Grund für Panik? Nein. Scaloni erklärte, dass so etwas im Fussball schlicht und einfach vorkommen könne, und trotzdem unterschätzte er die Aussagekraft der Niederlage nicht. Er nahm Änderungen vor und gestandene Grössen wie Papu Gomez, Leandro Paredes und vor allem auch Lautaro Martinez aus der Mannschaft. Das 2:0 im zweiten Gruppenspiel gegen Mexiko war dann die erhofft starke Reaktion und seither hat Argentinien einen Lauf.
Me vuelve loco de amor como Scaloni espera a Messi que lo viene a saludar mirando para otro lado, le pregunta: "¿Qué hacés, todo bien?", como si nada, se quiebra cuando Leo le dice "Es todo tuyo" y se queda disimulando como puede. pic.twitter.com/pNVbL8B9dA
— santiago korovsky (@santikorovsky) December 15, 2022
Im WM-Final gegen Frankreich (Sonntag, 16 Uhr) hat Scaloni nun die Chance, mit den argentinischen Legenden César Luis Menotti und Carlos Bilardo gleichzuziehen, die die Gauchos 1978, respektive 1986 zu weltmeisterlichen Ehren geführt haben. Ein Vergleich, den Scaloni nicht gerne hört: «Ich kann mich nicht auf die gleiche Stufe heben wie diese beiden. Es ist nur schon ein Privileg, im Final zu stehen.»
Lionel, der Unscheinbare. Lionel, der Bescheidene, eben.