Der Sport bietet stets willkommene Unterstützung respektive Ablenkung, wenn ein Land mit sich beschäftigt ist. Oder im Fall von Israel: Innerlich geradezu zerrissen. Hier ist es die geplante Justizreform, die seit Wochen heftigste Unruhen verursacht.
Am Samstag bot in Tel Aviv das 1:1 gegen den Kosovo aber nicht Hand, der Auftritt war trotz Überlegenheit keine Offenbarung. Vielmehr ein Rückschlag im Bestreben, endlich wieder an einer Endrunde teilzunehmen. An eine WM schafften es die Israeli bislang einmal, 1970 war das. An eine EM-Endrunde kam das Land nie, seit es 1991 der UEFA angehört. Nun gastiert die Nummer 76 der FIFA-Welt heute Abend ab 20.45 Uhr in Genf, die Schweiz ist der scheinbar übermächtige Gegner. Trotzdem scheinen die Chancen auf eine erfolgreiche EM-Quali dieses Jahr so gross wie nie.
Wenn Israel antritt, zu Hause und vor allem im Ausland wie jetzt im Stade de Genève, kann es stets zu politischen Nebengeräuschen wegen des Konflikts mit den Palästinensern kommen. Es braucht im Stadion zwar nicht unbedingt ein grösseres Sicherheitsdispositiv, wo der Schweizer Fussballverband SFV die Entscheidungshoheit hat. Adrian Arnold, der Medienchef des SFV, sagt: «Es ist kein Hochrisikospiel.»
Die Fangruppen sind nicht verfeindet, zudem wird die Begegnung mit aktuell knapp 12'000 veräusserten Tickets längst nicht ausverkauft sein. Um mögliche politische Störaktionen während dem EM-Qualifikationsspiel dennoch zu unterbinden, werden mehr Stewards positioniert. Oder es bleiben gar Sektoren geschlossen. Für alles, was ausserhalb der Arena passiert, ist die Polizei zuständig. Hier ist der Aufwand für die Sicherheit ungleich grösser.
Munas Dabbur, der frühere Stürmer der Grasshoppers, ist nach einer von mehreren Kontroversen über seine Religion im vergangenen Sommer aus dem Nationalteam zurückgetreten. Dabbur ist arabischstämmig und gehört der Minderheit an in der Nation, die vorwiegend jüdisch ist. Das brachte Probleme mit sich. Einer dieser Dispute spaltete die Fangemeinde nach schweren Ausschreitungen im Mai 2021 zwischen Juden und Muslimen auf dem Tempelberg in Jerusalem so sehr, dass Dabbur nach einem kritischen Post am Ende keinen anderen Ausweg als den Rückzug sah.
Immerhin kann Nationaltrainer Alon Hazan, seit Mai 2022 im Amt, auf seinen aktuellen Star zählen: Manor Solomon. Der linke Flügel hat natürlich nichts mit der angeschlagenen Schweizer Warenhauskette zu tun, vielmehr ist er der Topstürmer, der seit dem vergangenen Juli von Schachtor Donezk, das seit Jahren mit einem präzisen Scouting auffällt, an Fulham ausgeliehen ist. Aus bekannten Kriegsgründen.
Bis Solomon in der Premier League nach dem Startspiel gegen Liverpool für den Aufsteiger wieder auflaufen durfte, musste er sich aber monatelang von einer Knieverletzung und deren Operationsfolgen erholen. Nach dem Jahreswechsel war es so weit, und es ist nicht einmal einen Monat her, da erzielte der 23-Jährige in vier Ligaspielen in Folge jeweils einen Treffer. Der Transferwert wird derzeit auf knapp 20 Millionen Franken geschätzt.
Nicht dabei in Genf ist der andere Star der Israeli, Eran Zahavi: Der Grund könnte lächerlicher nicht sein. War es unter dem Vorgänger von Hazan üblich, dass die Spieler während den Zusammenkünften in Einzelzimmern nächtigen, setzt der aktuelle Nationalcoach auf eine Doppelbelegung.
Der 35-jährige Zahavi wollte das nicht und sich auch nicht anpassen, nach 70 Länderspielen mit 33 Treffern ist er deshalb nicht weiter Mitglied des Nationalteams.
Für Hazan ändert sich derweil nichts an der Ausgangslage: Die Politik beschäftigt das Team zwar, aber hier in Genf sei sie weit weg und der Fussball dominiere, sagt der Trainer. «Jeder Start in eine neue Qualifikation ist eine neue Chance. Wir sind in einer ausgeglichenen Gruppe. Die Schweiz ist die beste Mannschaft, aber wir wollen die Leute in unserem Land glücklich machen.»
Die Schweiz muss auf der Hut sein. Israel gilt als spielstark, mutig, die Aussenverteidiger agieren offensiv. Und die Politik ist gerade weit weg. (aargauerzeitung.ch)