Herr Hofmann, wieder einmal gibt Gewalt im Umfeld von Fussballspielen zu reden. Bei einem Fanmarsch von Belgrad-Fans durch Bern gab es am Mittwoch fünf Verletzte. Was sagen Sie dazu?
Urs Hofmann: Ich habe die erschütternden Vorfälle den Medien entnommen. Für mich stellt sich vorab die Frage: War die Polizeitaktik, einen solchen Fanmarsch zuzulassen, wirklich optimal? Kam diese Art von Saubannerzug durch Bern völlig überraschend zustande? Oder hätte man ihn vorhersehen können?
Für Empörung sorgte der Fall eines FCZ-Fans, der einen Familienvater vor seinen zwei- und vierjährigen Kindern brutal verprügelte.
Aufgrund der Medienmitteilungen liegt hier wohl kein klassischer Fall von Fussballgewalt vor. Es sieht vielmehr danach aus, dass ein minderjähriger Fussballfan ausrastete und eine massive Gewaltattacke gegenüber einem Unbeteiligten beging, wie es sie auch ausserhalb der Fanszene gibt. Letztlich fehlen jedoch die Angaben, um diesen Fall näher einschätzen zu können. Klar ist: Wir müssen alles tun, um Gewalt im Sport zu verhindern. Sie hat dort nichts zu suchen.
Justizministerin Karin Keller-Sutter forderte in der NZZ ein strikteres Vorgehen gegen Hooligans. Die Kantone müssten dafür lediglich die Gesetze anwenden, sagte sie. Wie sehen Sie das?
Ich pflichte Bundesrätin Keller-Sutter bei. Die Kantone evaluieren denn auch zurzeit das Hooligan-Konkordat, das es seit einigen Jahren gibt. Auch wir von der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -Direktoren (KKJPD) stellen fest, dass gewisse Massnahmen von den Kantonen selten angewendet werden. Trotz Empfehlungen der KKJPD und ihrer Arbeitsgruppen.
An welche Massnahmen denken Sie?
Vor allem an die Meldeauflage.
Weshalb ist sie so wichtig?
Sie hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Stadion- und Rayonverbot. Personen mit einer Meldeauflage müssen sich auf dem Polizeiposten melden, wenn ihr Klub spielt. So können Rädelsführer und Scharfmacher davon abgehalten werden, im Fanzug an Auswärtsspiele mitzureisen oder sich vor dem Stadion aufzuhalten.
Passiert das oft?
Ich gehe oft an die Spiele des FC Aarau. Und da gibt es immer wieder Leute mit Stadionverbot, die sich im Umfeld des Stadions aufhalten. Gerade die Phase vor einem Spiel ist teilweise noch heikler als jene im Stadion selbst. Einpeitscher können da Einfluss nehmen auf die Fans. Auch weniger gewaltanfällige Fans verhalten sich dann in der Masse plötzlich anders als sonst.
Gibt es noch andere Empfehlungen der KKJPD?
Ja, namentlich für sogenannte Hochrisikospiele. Zum Beispiel Eingangskontrollen oder Fanzüge mit Kombitickets.
Die Eingangskontrollen helfen aber nur bedingt gegen Pyros, wie sich immer wieder zeigt.
Dafür müsste man das Stadion auch schon in den Tagen vor einem Spiel überwachen.
Frauen sollen Pyros sogar in der Scheide ins Stadion schmuggeln.
Ob das wirklich oft vorkommt, weiss ich nicht. Pyros lassen sich aber auch anderswo verstecken, wo man sie bei einer normalen Körperkontrolle nicht ohne weiteres entdeckt. Eingangskontrollen können in heiklen Spielen aber auch wichtig sein, um zu wissen, wer sich überhaupt im Stadion befindet.
Was können die Klubs dafür tun?
Sie könnten Identitäts-Kontrollen durchführen, um zu verhindern, dass Fans ins Stadion gelangen, die Stadion- oder Rayonverbot haben. Die Namen würden dann abgeglichen mit der Hooligan-Datenbank oder einer vereinseigenen Liste. Allerdings wäre das sehr aufwendig. Die Staus bei den Eingängen könnten möglicherweise die Aggressionen verschärfen.
Die KKJPD prüft, ob das Hooligan-Konkordat verschärft werden soll. Wie sehen Sie das?
Ziel ist eine Standortbestimmung: Wie wird das Konkordat angewendet? Weshalb werden einzelne Massnahmen so bescheiden eingesetzt? Sind die Regelungen des Konkordats zu wenig griffig, zu wenig praxisnah?
Bundesrätin Keller-Sutter sagt, es wären eigentlich alle Instrumente vorhanden.
Das ist auch unsere Arbeitshypothese. Das Konkordat lässt viele Massnahmen zu. Wir möchten mit der Evaluation eine gesicherte Grundlage dafür erhalten, ob das Konkordat verschärft oder nur die Massnahmen konsequenter umgesetzt werden müssen.
Keller-Sutter betont, auch Fussballklubs müssten mehr tun.
Für mich ist klar, dass sich die Fussballklubs unmissverständlich von jeglicher Gewaltanwendung distanzieren müssen. Es gibt nicht ein wenig Gewalt, ein wenig Krawall, ein wenig Rassismus. Hier erwarte auch ich von allen Klubverantwortlichen Klartext. Letztlich stellt sich ja stets auch die Grundfrage, weshalb es ausgerechnet bei einer Sportart wie Fussball zu solchen Gewaltexzessen kommt. Der Fussball kanalisiert ja gerade den harten Wettkampf auf den Fussballplatz.
Keller-Sutter sprach auch davon, dass Regierungsräte massiv bedroht und eingeschüchtert würden. Haben Sie das selbst schon erlebt?
Nein, zum Glück bisher nicht. Ich bin ja oft bei den Spielen des FC Aarau auf den Stehplätzen zu finden. Obwohl ich mit meinen Kollegen in der Nähe des Fanblocks stehe, wurde ich bis heute noch nie verbal oder körperlich attackiert. Mir sind aus letzter Zeit auch keine Bedrohungen von Regierungskollegen bekannt. Hingegen wurde Karin Keller-Sutter massiv bedroht, als sie noch Regierungsrätin im Kanton St. Gallen war. Auch dem Zürcher Regierungsrat Mario Fehr wurde in Winterthur einmal Bier ins Gesicht geschüttet.