Sie strahlt, das kann man sogar im Dunkeln sehen. Kirsten Neuschäfer lief mit ihrer «Minnehaha» am 27. April um 19.43 Uhr in den Hafen von Les Sables-d'Olonne an der französischen Atlantikküste ein, begleitet von Jubeln und Bengalfeuer. Der Südafrikanerin ist gelungen, was vor ihr noch keine Frau und erst sechs Männer geschafft haben: Sie umsegelte einhand und nonstop die Welt, 233 Tage und 19 Stunden brauchte sie dafür. Das Golden Globe Race gilt als eine der härtesten Regatten im Segelsport.
Nicht weil hier Speedmaster mehr durch die Luft als durchs Wasser gleiten, es werden auch keine Geschwindigkeitsrekorde gebrochen. Wenn man Kirsten Neuschäfer nach dem schönsten Moment während des Rennens fragt, erinnert sich die 39-jährige an den Moment, als sie vor Kapstadt auf Grund lief: «Die ganze Nacht und bis in den Morgen hinein tauchten Buckelwale direkt neben dem Boot auf. In der Morgendämmerung kamen Delfine und Robben dazu - alle ganz in der Nähe. Das hat mein Herz wirklich mit Freude erfüllt.»
Und dennoch haben von 16 angetretenen Skippern nur drei die Weltumrundung geschafft, ohne je einen Fuss an Land zu setzen. Das Golden Globe Race wurde 1968 zum ersten Mal von der «Sunday Times» durchgeführt, damals schaffte es nur gerade ein Segler über die Ziellinie. Zum 50. Jubiläum wurde das Rennen 2018 neu aufgenommen, 2022 folgte die dritte Durchführung - unter nahezu denselben Bedingungen wie damals: Die Schiffe dürfen das Baujahr 1988 nicht unterschreiten. Es müssen Langkieler sein, was sie behäbiger macht, dafür sind sie nur 32 bis 36 Fuss lang. Die grösste Herausforderung ist aber die Technik, auf sie wird grösstenteils verzichtet. Navigiert wird nicht mit GPS, sondern mit dem Sextanten und dem Blick in den Himmel - wie 1968.
Es ist ein Rennen für Verrückte, für Abenteurer. Eine solche ist Skipperin Neuschäfer: «Die freie Natur und das Abenteuer haben mich schon von klein auf angezogen.» Und es ist nicht ihr erstes. Mit dem Fahrrad hat sie den afrikanischen Kontinent von Norden nach Süden durchquert. Um sich auf die Regatta vorzubereiten, hat sie viele Stunden allein auf ihrem Kutter «Minnehaha» verbracht: «Das Boot vorzubereiten und zu verstärken, war das Wichtigste - um ihm vertrauen zu können. Aber es war auch wichtig, vor dem Rennen viel Zeit auf See zu verbringen, zu wissen, wo ich Dinge am Boot verbessern kann, und zu wissen, wie man es schnell segelt.» Abgesehen von leichtem Muschelbefall hielt die «Minnehaha» den 30'000 Seemeilen stand.
Wer 233 Tage auf einem Schiff verbringt, geht mit ihm eine Beziehung ein, man braucht einander, um gegen Wind und Wetter bestehen zu können. Vor der Einsamkeit fürchtet sich die erfahrene Skipperin nicht, im Gegenteil. Manchmal, das erzählte sie in ihrer Antrittsrede, steige sie mitten im Ozean vom Boot und schwimme raus in die offene See, um die Weite noch deutlicher zu spüren.
Dass Kirsten Neuschäfer gelernt hat, wie sie ihre «Minnehaha» zu Höchstleistungen antreibt, sollte Leben retten. Der finnische Skipper Tapio Lehtinen geriet Mitte November 460 Seemeilen südöstlich von Kapstadt in Seenot, das Notsignal kam aus seiner Rettungsinsel. Man musste annehmen, dass er sein Boot hatte verlassen müssen. Ihm am nächsten war die Südafrikanerin, die sofort ihren Kurs änderte: «Ich habe alles getan, um das Boot so schnell wie möglich zu machen, und bin die ganze Nacht am Steuer geblieben, um sicher zu sein, dass ich auf dem direktesten Kurs zu Tapios Standort komme.» Die Rettung gelang, sie konnte den Finnen zunächst sicher bei sich an Bord nehmen, ein chinesischer Frachter brachte ihn zurück ans Festland.
Von da an konnte sie ihren Kurs neu anlegen, das Tempo stimmte. Den indischen Skipper Abhilash Tomy (43) und den Österreicher Michael Guggenberger (44) liess sie bald hinter sich. Unterwegs schlief sie ab Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Den Tag begann sie mit einem Kontrollgang über Deck, zum Frühstück gab es Müsli und Kaffee. Nach ihrer Ankunft bemerkte eine Französische Journalistin, dass die Skipperin im Gegensatz zu ihren männlichen Konkurrenten kaum an Gewicht verloren hätte. Vielleicht seien es die Männer eben gewohnt, dass sie von ihren Frauen bekocht würden, lautete die ironische Antwort.
Was sie am meisten vermisst hätte? «Nichts besonders eigentlich», sagt Kirsten Neuschäfer, «als ich auf dem Rückweg nach Norden in der Flaute festsass, vermisste ich den Wind wirklich sehr, sehr stark - fast wie ein lebendiges Wesen.» Für eine Seglerin gibt es nichts Schlimmeres, als wenn der Wind schweigt und die Wanten an den Mast schlagen. (aargauerzeitung.ch)
Meine Erfahrungen mit "langen Distanzen" beschränken sich auf den Bodensee. Schon da ist Lochau-Bodman (hin und zurück) eine Sache von ca 24h mit einem vergleichbaren Boot. Die Flauten sind was vom nervtötendsten!