Die Champions-League-Hymne vor dem Spiel hören und den Henkelpott in die Höhe recken: Millionen Kinder auf der ganzen Welt träumen davon, sie wollen Fussballstar werden. Dieser Traum brachte auch den Koreaner Heung-min Son und den Deutsche Alexander Lukesch zusammen. Sie wohnten zusammen im Fussball-Internat des HSV. Während Son mit Tottenham am Mittwoch ins Finale der Königsklasse einziehen kann, sitzt Lukesch vor dem Fernseher. Ohne Neid oder Groll, sondern mit der Hoffnung, dass sein Kumpel den Pokal gewinnt.
Son kam 2008 mit 16 Jahren im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Hamburger SV und dem südkoreanischen Fussballverband nach Deutschland. Son hinterliess einen guten Eindruck und der HSV holte ihn in sein Internat. Dort lernte er den zwei Jahre jüngeren Lukesch kennen. Die zwei Talente freundeten sich an und spielten zusammen Fussball. Son schaffte es zu den Profis in Bundesliga, gelangte über Leverkusen zu Tottenham Hotspur und avancierte zum Weltstar. Lukesch gab nach Stationen in Dresden und beim deutschen Viertligisten Neustrelitz den Traum als Profi auf.
Mittlerweile ist Alexander Lukesch 24 Jahre alt. Er spielt wieder bei seinem Heimatverein, dem Penzliner SV. Statt in der Premier League läuft er in der Landesliga Mecklenburg-Vorpommern, Staffel Ost, auf. Seine Gegner heissen nicht Ajax Amsterdam oder Manchester City sondern FSV Mirow/
Rechlin und SG Karlsburg/Züssow. Lukesch und sein Team werden dennoch aufsteigen, doch sein Ziel ist nicht mehr die grosse Karriere.
Watson erzählte er, warum er eine Lehre in der Heimat dem Profifussball vorzog, wieso Son nicht umsonst da oben steht und warum sich sein koreanischer Weggefährte früher immer über Lionel Messi aufregte.
watson: Hast du deinem Kumpel Son schon viel Glück fürs Spiel gegen Ajax gewünscht?
Alexander Lukesch: Leider haben wir keinen Kontakt mehr. Der ging irgendwann flöten, als er nach England gewechselt ist. Das ist schade, weil wir während unserer Zeit beim HSV ein tolles Verhältnis hatten, zwischenzeitlich in einem Zimmer lebten und viel privat gemacht haben. Ich beobachte ihn natürlich trotzdem bis heute in der Premier League, im Pokal oder in der Champions League.
Du hattest ihn 2013 im ZDF-Sportstudio getroffen...
Ja, das hatte sein Berater eingefädelt. Ich kam als Ehrengast und überraschte ihn. Das war super schön.
Zusammen habt ihr im Internat des Hamburger SV von der grossen Fussballkarriere geträumt. Du hast den Sprung ganz nach oben nicht geschafft und spielst trotz Angeboten aus höheren Ligen derzeit in der siebtklassigen Landesliga. Wieso bist du zurück in die Heimat gegangen?
Vom HSV bin ich in die Jugend von Dynamo Dresden gewechselt, wo es für mich nicht für die 3. Liga gereicht hat. Also bin ich in meine Heimat zurück, habe eine Lehre begonnen und wurde vom Betrieb übernommen. Ich hab dann nochmal Regionalliga gespielt, da kann man von leben, aber für die Zukunft und eine Familie ist das nichts. Ich bin jetzt wieder bei meinem Heimatverein und kann dort mit meinen Freunden Fussball spielen. Ich arbeite bei den Stadtwerken, da weiss ich, wo ich dran bin und verdiene gutes Geld.
Träumt man manchmal dann doch wieder, wenn jetzt einer deiner Weggefährten im Halbfinale der Champions League steht und du vor dem Fernseher sitzt?
Ich freue mich einfach für ihn und bereue nichts. Ich habe eine tolle Familie, einen Job und bin von meinen Freunden umgeben. Aber natürlich denke ich mir manchmal, dass es schön gewesen wäre, aus dem Hobby einen Beruf zu machen. Es wäre schön, jetzt auch dort im Halbfinale zu stehen, aber im Fussball hilft nicht nur Talent, es braucht auch das Quäntchen Glück. Manchmal entscheidet ein gutes Spiel, ob du es schaffst oder nicht. Und Son hatte nicht nur Talent, er hat auch geliefert, wenn er musste.
War dir damals auf dem Internat schon klar, dass Son mal zu einem der besten Offensivspielern der Welt gehören wird?
Im Internat ist keiner wirklich herausgestochen, das man sagen konnte: ‹Der wird mal ein Weltstar›. Damals waren 16 Talente im Internat untergebracht und alle hatten die Qualität, es zu schaffen. Son hatte wie die anderen auch viel Potenzial. Er hat es vor allem geschafft, weil er so fleissig war, es war fast fieberhaft. Er hat so viel trainiert.
Inwiefern?
Mir fällt eine Geschichte ein, die Son und seinen Eifer perfekt beschreibt: Son hatte immer gegen 10 oder 11 Uhr Nachhilfe in Deutsch, und die Jüngeren mussten zwischen 6 und 7 Uhr aufstehen, um in die Schule zu gehen. Statt auszuschlafen, ist er mit uns aufgestanden, hat Liegestütze gemacht, war laufen, hat alleine auf den Platz Extra-Schichten eingelegt. Viele haben sich gedacht: ‹Es ist doch noch dunkel und wir haben heute doch sowieso noch zwei Mal Training, ruh dich mal aus.› Aber er ist früh schlafen gegangen und dann früh aufgestanden und hat alleine trainiert, wie ein Wahnsinniger.
Hatte er damals einen Spieler, zu dem er aufsah?
Er war voll der Fan von Cristiano Ronaldo, er liebte ihn. Er arbeitete ja ähnlich intensiv wie der. Er wollte wie Ronaldo beidfüssig sein und trainierte bei seinen Einzel-Schichten immer an seinem Torabschluss. Bei uns im Internat gab es auch immer die Diskussion bei Champions-League-Spielen, wer denn der beste Spieler der Welt sei. Die einen sagten Messi, und er gehörte zu den Ronaldo-Fans. Ich weiss noch, wie er sich immer aufregte, wenn die Leute Messi feierten. Er zählte dann auf, was Ronaldo alles so kann.
Son sprach auch ziemlich schnell die deutsche Sprache. Hast du ihm da geholfen?
Genauso so viel Talent und Engagement wie auf dem Platz hatte Son beim Deutsch-Lernen. Ihm war es wichtig, die Sprache des Landes, in dem er wohnt, zu können. Er war immer bemüht, hat uns viel gefragt und wollte bei allen Dingen wissen, was sie auf Deutsch heissen. Er war von den drei Koreanern, die damals kamen, am engagiertesten. Nach einem halben Jahr sprach er schon sehr gut, das war unglaublich.
Und du hast ihm auch einiges von der deutschen Kultur mitgegeben...
Ja, über Ostern sind alle Spieler aus dem Internat in ihre Heimat gereist. Nur er nicht. Er konnte ja nicht mal eben für einige Tage nach Korea reisen, also bot ich ihm an, mit mir zu meiner Familie zu fahren. Erst wollte er nicht, aber ich habe ihn dann überzeugt.
Und dann hast du ihm die Mecklenburgische Seenplatte gezeigt?
Ja, ich habe ihm auch mal das Leben ausserhalb von Hamburg näher gebracht. Ich habe ihm das Land gezeigt, er hat unser Familienleben kennengelernt und wir waren auf einem See angeln. Meine Freunde erzählen heute noch davon: ‹Weisst du noch, als Heung-min Son bei uns in Penzlin war.›
Und was hat er dir aus der koreanischen Kultur gezeigt?
Sein Vater kam ihn aus Korea öfter besuchen und hat koreanisches Essen mitgenommen. Das haben wir dann zusammen gegessen. Ich weiss nicht mehr, wie das alles hiess, aber es war lecker. Das einzige Problem war, dass Son echt ein anderes Schärfegefühl als wir Deutschen hat. Ich esse sehr gerne scharf, aber was er normal nennt, hat mich fertig gemacht. Ich musste oft nach dem Essen erstmal drei Liter Milch trinken, weil es so gebrannt hat. (lacht)
Schaffen es Son und die Spurs ins Finale?
Auch nach dem Hinspiel ist alles möglich. Ich hoffe, dass sie es schaffen. Und einer wird noch mehr an den Sieg glauben: Son, er ist ein Kämpfer und wird alles dafür tun.