Während fünf Jahren war der Kroate Goran Ivanisevic Trainer von Novak Djokovic. Gemeinsam gewannen sie neun Grand-Slam-Titel und schrieben Tennisgeschichte, ehe sie sich Ende März 2024 Knall auf Fall trennten. Nun war Ivanisevic zu Gast im Tenniscenter Vitis im Zürcher Vorort Schlieren, wo der befreundete Bojan Bozovic eine Tennisakademie betreibt. Danach sprach Ivanisevic exklusiv mit CH Media über die Trennung von Djokovic.
Goran Ivanisevic, erinnern Sie sich, wann Sie das erste Mal in der Schweiz waren?
Goran Ivanisevic: Das muss 1989 oder 1990 gewesen sein, in Gstaad oder in Genf, ganz sicher bin ich mir aber nicht mehr.
Es war 1989 in Gstaad. Sie spielten in diesem Jahr auch in Genf und danach regelmässig in Basel, wo Sie 1990 den Final erreichten …
… erinnern Sie mich nicht daran, bitte (lacht). Gegen John McEnroe führte ich mit 2:0 nach Sätzen und servierte bei 5:4 zum Sieg. Und irgendwie schaffte ich es, diesen Final noch zu verlieren (7:6, 6:4, 6:7, 3:6, 4:6). Ich habe aber auch gute Erinnerungen an die Schweiz.
Zum Beispiel?
Ein paar Jahre später lernte ich in Basel diesen Kerl kennen, der hier in der Schweiz – so viel ich weiss – ein Held ist. Sie wissen, wen ich meine: Roger Federer. Mein Freund Peter Lundgren (damals Trainer von Federer, Anm. d. Redaktion) sagte zu mir, er trainiere einen talentierten Junior. Und so kam es, dass Federer mich einspielte.
Sie trafen zwei Mal bei einem Turnier auf Federer – und verloren zwei Mal: 2000 in London und 2001 in Mailand. Erinnern Sie sich daran?
Auch ungern (lacht). Scherz beiseite: Es war mir eine Ehre und ein Privileg, gegen Roger zu spielen. In Mailand hat er mich im Viertelfinal besiegt. Und Sie wissen, was danach passiert ist: Roger gewann sein erstes Turnier. Deshalb sage ich immer, ich hätte ihm dabei geholfen, endlich zu gewinnen. So klingt es besser für mich. Danach hat Roger angefangen, die Tenniswelt im Sturm zu erobern.
Als Trainer von Novak Djokovic haben Sie danach gleich selbst dafür gesorgt, dass Federer nicht als bester männlicher Tennisspieler in die Geschichte eingeht. Zusammen gewannen Sie 9 Grand-Slam-Titel.
Erst tauchte ein zweiter Kerl auf: Rafael Nadal. Und alle dachten, es gehe nur noch um Federer und Nadal. Und dann tauchte ein dritter Kerl auf, der noch besser wurde als die beiden. Sie wissen, wen ich meine: Mister Novak. Wissen Sie: Diese drei haben sich gegenseitig geholfen, bessere Spieler zu werden, und sich ans Limit getrieben.
Wie haben Sie diese knapp fünf Jahre zwischen Sommer 2019 und März 2024 als Trainer von Novak Djokovic erlebt?
Novak ist ein Genie, ein aussergewöhnlicher Mensch und der beste Spieler der Tennisgeschichte. Aber einfach war es nicht, das kann ich Ihnen sagen. Wenn ich daran denke, was in dieser Zeit alles passiert ist. Erst kam die Coronapandemie, dann die Disqualifikation bei den US Open, als Novak eine Linienrichterin mit einem Ball traf. Dann die Abschiebung in Australien. Es waren viele harte Zeiten.
Trotzdem haben Sie gemeinsam alle Rekorde gebrochen …
Novak hat es getan, und ich habe ihm ein wenig dabei geholfen. Darauf bin ich sehr stolz. Es war mir eine grosse Ehre und zugleich war es eine grosse Verantwortung, Trainer dieses Genies zu sein. Wenn man Novak Djokovic trainiert, ist alles andere als Titel ein Scheitern. Dazu ist Novak sehr fordernd. Jeden Tag muss etwas Neues passieren, er will immer besser werden. Das ist ein enormer Druck, mit dem man klarkommen muss. Bei Novak hat man immer nur wenige Sekunden Zeit, um ihm etwas zu erklären. Er will dann 15 Sachen auf einmal von dir wissen, aber dir bleiben nur drei Sekunden dafür. Das ist zwar enorm fordernd – aber auch sehr befriedigend.
Wie sind Sie mit diesem Druck umgegangen?
Ich hatte immer gute Tabletten (lacht). Nein, im Ernst: Druck hat man in diesem Geschäft jeden Tag. Du gewöhnst dich an diese Umstände. Dass wir beide aus dem Balkan stammen und die gleiche Sprache sprechen, half mir sicher enorm. Zudem ticken Novak und ich ähnlich. Ich war stets vorbereitet auf seine möglichen Reaktionen.
Und jetzt brauchen Sie eine Auszeit?
Mindestens zwanzig Jahre (lacht). Allerdings bin ich dann zu alt. Bis im Herbst will ich es ruhiger angehen lassen. Im Sommer möchte ich mit meinem Sohn die kroatische Nationalmannschaft an der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland unterstützen. Ich erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal einen Sommer zuhause verbracht habe.
Sehen wir Sie wieder als Coach?
Ich würde es lieben, bin offen dafür und lasse es auf mich zukommen.
Weshalb kam es eigentlich zur Trennung von Djokovic?
Ich wusste, dass dieser Moment kommen würde. Beziehungen gehen zu Ende, aber wir haben uns als Freunde getrennt, mehr als das, und das werden wir immer bleiben. Es gab keinen Streit, keinen Vorfall. Novak hatte einfach genug von mir. Und ich hatte genug von Novak. Und jetzt gehen wir eben getrennte Wege.
Djokovic hat seit einem halben Jahr kein Turnier mehr gewonnen und stand 2024 noch in keinem Final. Wie sehen Sie seine Chancen bei den French Open, wo er als Titelverteidiger antreten wird?
Alle geraten in Panik, zumal er in Rom in der dritten Runde mit 3:6, 2:6 verloren hat. Aber wissen Sie was? Es spielt keine Rolle. Grand-Slam-Turniere sind eine andere Geschichte. Novak wird bereit sein für die French Open. Schon im letzten Jahr war er davor auf Sand nicht gut – und hat danach in Paris dennoch gewonnen. Wenn er im Kopf bereit ist, wird er die French Open gewinnen. Ich denke, er wird motiviert sein. Und das würde heissen: Djokovic wird das Turnier gewinnen.
Zwischen Ihnen gab es auch Spannungen, und Djokovic hat öfter in Richtung der Box geflucht, in der Sie sassen. Wie gingen Sie damit um?
Das war nie ein Problem für mich, ich war ja selber ein emotionaler Spieler. Manchmal konnte ich nicht verstehen, was er sagte. Manchmal wollte er etwas über den Aufschlag wissen – und ich erzählte etwas über die Wolken, die gerade über der Arena waren. Dann regte sich Novak über mich auf. Aber wenigstens war es dann auf mich bezogen. Und nach fünf Minuten war er wieder entspannt. Manchmal brauchst du im Tennis einen kurzen Schock, um im Kopf klar zu werden. Die mentale Komponente ist der wichtigste Faktor im Tennis.
Welche Erklärungen haben Sie für die Formschwäche von Djokovic?
Wenn du im Leben alles gewinnst, ist es nicht einfach, die Motivation zu behalten. Die Grand-Slam-Turniere sind das Wichtigste für ihn. Noch hat er zwei Wochen Zeit, um seinen Fokus zu finden. Novak verfällt nicht in Panik. Er wird einen Weg finden, wie er das immer tut. Dann wird ihn nichts stoppen können. Ich hoffe, dass er das tut.
Während Ihrer gemeinsamen Zeit hat Novak Djokovic vor allem den Aufschlag verbessert. Woran haben Sie konkret mit ihm gearbeitet?
Wenn Sie mich fragen, war sein Aufschlag schon vorher sehr gut und der am meisten unterschätzte Schlag im Tennis, weil der Rest seines Spiels so gut ist. Wir haben viel mit dem Ballwurf experimentiert, und er schlägt jetzt beim zweiten härter auf. Wir haben aber auch viel an den Volleys gearbeitet. Novak hat mich aus einem bestimmten Grund als Trainer gewählt. Und das war nicht, um für ihn zu kochen (lacht).
2001 haben Sie als Nummer 125 der Welt in Wimbledon Ihren einzigen Grand-Slam-Titel gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Unglaublich viele. Bis heute verstehe ich nicht, wie ich das Turnier gewinnen konnte. In der Woche davor spielte ich nicht schlecht, sondern furchtbar schlecht. Ich hätte gegen niemanden gewonnen. Aber irgendeiner da muss sich gesagt haben, dass ich es verdiene. Es waren die 15 besten Tage in meinem Leben als Sportler.
Sie wurden danach in Kroatien von 200'000 Menschen empfangen, wollten sich die Kleider vom Leib reissen und ins Meer springen …
Das war meine Absicht, ja. Aber dann sah ich die ganzen Menschen und überlegte es mir anders. Niemand würde sich vor 200’000 Menschen ausziehen. Also habe ich mich wieder angezogen. Ich konnte es nicht glauben, wer alles meinetwegen gekommen waren.
Sie hatten davor schon drei Wimbledon-Finals verloren (1992 gegen Andre Agassi und 1994 und 1998 gegen Pete Sampras).
Ich habe gegen alle gerne gespielt. Ausser gegen einen, der mein Leben ruiniert hat. Das war Pete Sampras. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich respektiere ihn, er ist unglaublich. Gegen Sampras hatte ich einfach die falsche Einstellung. Ich glaubte, ich müsse besser spielen als gegen andere. Oft war es eng und meistens habe ich verloren.
(aargauerzeitung)