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Frauen-WM: Expertin Nia Künzer traut der Schweizer Nati einiges zu

Munich, Germany, Apr 17th 2021: TV-Commentator and former player Nia Kuenzer after the DFB Pokal semifinal match between FC Bayern Munich and VfL Wolfsburg at FC Bayern Campus, Germany. the DFB Pokal  ...
Die Deutsche Nia Künzer ist Weltmeisterin und TV-Expertin.Bild: IMAGO/Sports Press Photo
Interview

«Die Fussballerinnen sind näher bei den Fans als ihre männlichen Kollegen»

Nia Künzer schoss Deutschland 2003 zum Weltmeistertitel. Sie ist TV-Expertin bei der ARD und Co-Autorin des Buches «Warum Frauen den besseren Fussball spielen». Im Interview mit watson spricht sie über politische Korrektheit, Kommerz und die bevorstehende WM.
18.07.2023, 18:19
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Wie definieren Sie das Wort «Frauenfussball»?
Nia Künzer:
(lacht) Gar nicht. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Es ist für mich einfach eine Bezeichnung von der Sportart Fussball.

«Ich bin bei weitem nicht perfekt, ab und zu rutschen die männlichen Begriffe raus.»

Es braucht diese sprachliche Unterscheidung also nicht.
Ich muss sagen, dass wir in meinem privaten Umfeld nicht unterscheiden. Wenn ich mit meiner Familie spreche, dann reden wir einfach über Fussball. Vielleicht kommt ab und an noch die Frage auf, ob Männer oder Frauen, und dann wird differenziert. Oder auch, wenn wir explizit über das Thema sprechen, so wie jetzt. Aber ich glaube, grundsätzlich haben wir diese Diskussion hinter uns gelassen. Wir sprechen von Fussball, von der gleichen Sportart.

Wie gehen Sie als TV-Expertin mit der politischen Korrektheit der Begriffe wie Stürmerin oder Kapitänin um?
Ich versuche weitestgehend, die richtigen Begriffe zu verwenden. Aber ich bin natürlich bei weitem nicht perfekt, da rutschen mir ab und zu die männlichen Begriffe raus. Genauso würde ich jemand anderem nie etwas vorwerfen, wenn sie oder er mal die falsche Form benutzen würden. Ich bin mir bewusst, dass Sprache Macht ist, deshalb achte ich darauf. Aber Fehler passieren, da dürfen wir einander nicht zu grosse Vorwürfe machen. Viel wichtiger ist, dass nicht vergessen wird, was dahinter steht: Es geht um Gleichberechtigung, das ist zentral.

Darf man bei den Frauen von einer «Mannschaft» sprechen?
Es kommt definitiv vor, dass ich zwischendurch den Begriff Mannschaft verwende. Wenn man Wert darauf legt, ist Team sicherlich die geeignetere Option.

«Die Spielerinnen präsentieren sich sehr sportlich, aber neben dem Platz auch sehr authentisch und nahbar.»

Ihr Buch, das Sie gemeinsam mit TV-Experte Bernd Schmelzer geschrieben haben, trägt den Titel: «Warum Frauen den besseren Fussball spielen». Stehen Sie nach wie vor hinter dieser Behauptung?
Natürlich, das Buch ist ja noch nicht so alt (lacht). Die Frage ist, auf welchen Bereich sich das besser bezieht. Ich bin der Meinung, dass es Bereiche und Aspekte gibt, die für den Fussball der Frauen sprechen. Das nehme ich auch bei Menschen wahr, die ich treffe und höre. Nur wenn unser Team einmal einen schlechten Tag hat, stellen wir nicht unsere These infrage. Unser Buch dreht sich nicht um den Fussball der deutschen Frauen, sondern aller Frauen. Und die spielen den besseren Fussball.

Erläutern Sie doch bitte diese Aspekte.
Ich habe das Gefühl, bei den Frauen wird sich noch etwas mehr auf das Wesentliche konzentriert: das Spiel auf dem Platz. Der Sport steht mehr im Mittelpunkt. Die Spielerinnen präsentieren sich sehr sportlich, aber neben dem Platz auch sehr authentisch und nahbar. Sie sind näher an den Zuschauerinnen und Zuschauern als ihre männlichen Kollegen. Das kommt gut an.

Warum Frauen den besseren Fussball spielen
ARD-Expertin Nia Künzer, die seit 2006 so unaufgeregt-locker wie fachkundig Frauenfussballspiele kommentiert, und ihr beliebter Reporter-Kollege Bernd Schmelzer zeigen in ihrem Buch, was den Frauenfussball so sympathisch und authentisch macht, was der Männerfussball von ihm lernen kann und warum er als Sportart für das Selbstbewusstsein von Mädchen so wichtig ist.

Edel Sports – ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
ISBN 978-3-9858805-6-0
Buch-Cover: Warum Frauen den besseren Fussball spielen von Nia Künzer und Bernd Schmelzer.
Bild: edel sports

Sie schreiben auch, es gebe bei den Frauen weniger Kommerz. Es scheint aber, dass sich viele Spielerinnen zusätzlich auf Instagram vermarkten müssen, um noch etwas dazuzuverdienen.
Das steht natürlich allen frei, egal ob Sportlerin oder Sportler oder Privatpersonen. Das ist sehr individuell. Nicht jede Spielerin nutzt diese Möglichkeit. Es ist natürlich so, dass Social Media diese Plattform bietet, um sich oder auch die eigenen Sponsoren noch einmal sichtbarer zu machen. Aber das trifft natürlich auf alle Lebensbereiche zu.

«Sportlicher Erfolg, Anerkennung und Sichtbarkeit – diese Rahmenbedingungen sollen gewährleistet sein.»

Sind Spitzenfussballerinnen bodenständiger als Spitzenfussballer?
Ich vermeide diese Vergleiche. Ich kann nur sagen, wie ich die Spielerinnen erlebe. Sehr authentisch, nahbar und intelligent. Auch wenn es mittlerweile durchaus gute finanzielle Rahmenbedingungen gibt, setzen viele immer noch auf die duale Karriere. Sie haben meist noch einen Plan B im Kopf und das tut vielen gut. Aber damit ziehe ich keine Vergleiche zu den Männern, das sind lediglich meine Beobachtungen der Spielerinnen.

Es scheint den Spielerinnen leichter zu fallen, sich selbst zu sein als ihren männlichen Kollegen – gerade im Thema der sexuellen Orientierung. Wo sehen Sie die Gründe?
Das Umfeld ist vielfältiger im Fussball der Frauen. Es ist dort normal, dass es verschiedene Lebensentwürfe gibt, das ist nichts Besonderes. Deshalb glaube ich, dass das Umfeld etwas weiter ist in der gesellschaftlichen Entwicklung. Da tut sich der Männerfussball noch etwas schwieriger. Zumindest muss man das so erachten, wenn man sieht, dass es – soweit ich weiss – keinen aktiven deutschen Spieler gibt, der sich geoutet hat. Aber am Ende ist das auch eine persönliche Sache, man muss sein Privatleben nicht öffentlich machen.

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Ramona Bachmann und die Regenbogen-Binde – bei den Frauen ist Homosexualität kein Tabuthema.Bild: keystone

Die Spiele der Frauen ziehen immer mehr Menschen an. Was braucht es, um die Beliebtheit noch weiter zu steigern?
Beliebtheit ist ein schwieriger Begriff. Wir wollen, dass für professionellen Leistungssport die Rahmenbedingungen stimmen. Es geht um Sichtbarkeit, nicht um Beliebtheit. Jeder Mensch hat andere Geschmacksvorlieben, wenn es um den Sport geht. Sportlicher Erfolg, Anerkennung und Sichtbarkeit – diese Rahmenbedingungen sollen gewährleistet sein.

«Wir können auch von weniger erfolgreichen Entwicklungen im Männerfussball lernen.»

Damit diese Rahmenbedingungen gegeben sind, braucht es aber auch regelmässig Zuschauer in den Stadien und vor dem TV.
Darum geht es auch in unserem Buch: Es sind andere Umstände als bei den Männern, das Spiel ist anders. Viele entscheiden sich mittlerweile, auch Spiele der Frauen zu besuchen, weil sie sich davon mehr angesprochen fühlen. Aber ja, abgesehen vom Fussball der Männer lechzt jede andere Sportart nach mehr Aufmerksamkeit und Zuschauern. Die breite Masse der Sportlerinnen und Sportler erhalten nicht die angemessene Aufmerksamkeit.

Glauben Sie, bei den Frauen halten auch andere unbeliebte Dinge wie Rudelbildung, Schwalben etc. vermehrt Einzug, wenn es künftig um mehr Geld geht und mehr Fans in den Stadien sind?
Ich finde das witzig, dass jetzt, wo sich bisschen was tut bei den Frauen, alle immer gleich mit den Worst-Case-Szenarien kommen. Wir sind noch ganz weit weg von den Dimensionen, wie sie aktuell im Männerfussball herrschen. Ich weiss nicht, ob wir dann diese Szenarien zeichnen müssen. Wir können auch von weniger erfolgreichen Entwicklungen im Männerfussball lernen und andere Wege einschlagen. In der Bundesliga klaffen die Bedingungen noch weit auseinander, da brauchen wir uns noch nicht auf die Schattenseiten zu konzentrieren.

Wenden wir uns der bevorstehenden WM zu. Auf welches Team freuen Sie sich neben Deutschland am meisten?
Ich freue mich auf vieles. Auf die USA, die mit einem riesigen Selbstbewusstsein antreten, mit einer wahnsinnigen Physis. Frankreich liegt mir auch immer ein wenig am Herzen. Eine Weltmeisterschaft zeichnet sich aber auch dadurch aus, mal die anderen, weniger bekannten Mannschaften zu sehen. Dort ist die individuelle Klasse vielleicht nicht immer gegeben, aber sie können durch Wille und Kampfgeist etwas erreichen. Ich freue mich einfach auf spannende Spiele und vielleicht auch die eine oder andere Überraschung.

Was spricht dafür, dass Deutschland erstmals seit 2007 wieder den WM-Titel holt?
Die individuelle Qualität ist da, aber das ist natürlich kein Selbstläufer. Deutschland ist nicht der alleinige Favorit auf den Titel. Im Duell mit der europäischen Spitze und der Weltelite wie USA, Kanada, Brasilien oder Japan muss viel zusammenpassen. Wir haben eine hohe Qualität im Kader. Es geht dann noch darum, wie die Mannschaft auf Rückschläge oder veränderte Situationen reagiert. Darum, wie sich die Frauen als Team zusammenfinden. Der Weg ist brutal schwer. Wenn dieser Flow kommt, ist vieles möglich – das durfte ich selbst schon erleben.

Nia Künzer schiesst Deutschland 2003 mit dem Golden Goal gegen Schweden zum WM-Titel.Video: YouTube/DeFilmKater

Wie schätzen Sie die Schweiz ein?
Es ist nicht so, dass ich das Schweizer Team intensiv beobachte. Aber ich kriege natürlich mit, dass Spielerinnen und Trainerinnen in die Schweiz gehen und von der Schweiz ins Ausland wechseln. Ich habe schon das Gefühl, dass sich etwas bewegt auch im Hinblick auf die EM 2025. Es werden Anstrengungen unternommen. Ich habe sie auf dem Schirm. Ob es gleich der ganz grosse Wurf wird, weiss ich nicht, aber ich traue ihnen schon ordentliche Spiele zu.

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22 Kommentare
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Truth Hurts
18.07.2023 22:19registriert Mai 2016
„ Unser Buch dreht sich nicht um den Fussball der deutschen Frauen, sondern aller Frauen. Und die spielen den besseren Fussball.“

Herzliche Gratulation! Dann werdet ihr sicher bald alle Millionen damit verdienen.
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Bruno Wüthrich
19.07.2023 10:21registriert August 2014
Das glaube ich sofort, dass die Spielerinnen der Frauen-Nati näher an den Fans sind. Sie haben auch weniger. Je mehr es irgendwann werden, je weniger nahe sind auch sie dran.
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