Als Remco Evenepoel am Montag im letzten von insgesamt sieben Anstiegen im französischen Zentralmassiv das Tempo erhöhte, würdigte ihn Tadej Pogacar im Maillot jaune nicht einmal eines Blickes. Scheinbar unbeeindruckt liess er den Belgier ziehen, während sein Rivale Jonas Vingegaard wie ein Schatten an seinem Hinterrad hing.
Die Karten bei dieser Tour de France sind klar verteilt, so scheint es: Die beiden Sieger der letzten fünf Jahre – Pogacar 2020, 2021 und 2024 und Vingegaard 2022, 2023 – fahren ihr eigenes Rennen. Auch wenn Evenepoel, in dieser Disziplin Olympiasieger und Weltmeister, im ersten Zeitfahren gewann und am ersten Ruhetag als Gesamtdritter vor Vingegaard liegt.
Und doch ist Remco Evenepoel derzeit in aller Munde. Denn Gerüchten zufolge steht der zweifache Olympiasieger ganz kurz vor einem Wechsel zur deutschen Equipe Red Bull Bora-hansgrohe.
Dort will man seit Jahren die Lücke zu den beiden Schwergewichten, dem UAE Team Emirates um Tadej Pogacar und dem Team Visma um Jonas Vingegaard, schliessen, um auch bei der Tour de France um den Sieg zu fahren.
Primoz Roglic hat diese Hoffnungen bisher nicht erfüllt. Auch in diesem Jahr wird der Slowene in Paris kaum auf dem Podest stehen Im Herbst wird er 36. Ende Jahr läuft sein Vertrag aus. Die Zeichen stehen auf Abschied.
Auf 4,5 Millionen Franken beläuft sich Roglics Jahressalär. Geld, das man bei Red Bull Bora-hansgrohe in Evenepoel investieren will. Wobei die finanziellen Mittel beinahe grenzenlos sind, seit der Konzern Red Bull 2024 die Mehrheit am Rennstall übernommen hat.
Seither buhlt das Team um Evenepoel, diesen ungeschliffenen Diamanten. Einst als Fussballer U16-Nationalspieler Belgiens, kam er erst im Alter von 17 Jahren zum Radsport. 2019, mit 19, nach erst zwei Jahren im Sattel, war er schon Junioren-Weltmeister im Zeitfahren und Strassenrennen und gewann die Clásica San Sebastian als Solist bei den Profis.
2022 entschied Evenepoel die Vuelta für sich. Es war seine zweite Grand Tour. Seither schultert er die Hoffnungen der Radsportnation Belgien, die seit Lucien van Impe im Juli 1976 auf einen Tour-de-France-Sieger wartet. Im Vorjahr fuhr Evenepoel bei seinem Debüt als Dritter aufs Podest, mit deutlichem Abstand zu Pogacar und Vingegaard.
Evenepoel ist zwar ein Siegfahrer, aber auch ein Rohdiamant. Schon mehrfach ist er schwer gestürzt, zuletzt im Dezember im Training, als er mit der plötzlich geöffneten Tür eines Postautos kollidierte, sich dabei mehrere Rippen, die rechte Hand und das rechte Schulterblatt brach. Hinzu kamen Quetschungen der Lunge und eine Verrenkung des rechten Schlüsselbeins.
Dazu kommt: Anders als Pogacar und Vingegaard bewegt sich Evenepoel nicht so mühelos im Peloton. Immer wieder ist er schlecht positioniert und bezahlt Lehrgeld, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass sein belgisches Team Soudal Quick-Step deutlich schwächer besetzt ist als die Teams seiner Konkurrenten.
Auch deshalb soll Evenepoel sich dazu entschlossen haben, das Team ein Jahr vor Auslaufen des Vertrags zu verlassen. Denn dereinst die Tour de France zu gewinnen, hat er als Ziel ausgerufen.
Mit Ineos Grenadier zeigt ein weiteres Team mit erheblichen finanziellen Mitteln Interesse, was Evenepoels Position am Verhandlungstisch in die Karten spielt. Wie Red Bull Bora-hansgrohe fehlt den Briten ein Fahrer, der sich bei der Tour de France mit Pogacar und Vingegaard messen kann.
Sowieso sind diese äusserst rar gesät: Am ehesten wird das dem Mexikaner Isaac del Toro zugetraut, dem Zweiten des Giro d'Italia. Doch der 21-Jährige steht bis 2029 bei UAE unter Vertrag.
Vingegaards Vertrag läuft bis 2028 (etwa 5 Millionen Gehalt), jener Pogacars (etwa 10 Millionen) zwei Jahre länger. Alles Faktoren, die Evenepoel in die Karten spielen.
Wer sich Remco Evenepoels Dienste sichern will, muss ihm wohl mindestens 7 Millionen Franken Jahresgehalt bieten.