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Interview: Admir Mehmedi spricht über Geld, Karriere und Kindheit

Le directeur sportif schaffhousois et ancien international Admir Mehmedi avant la rencontre de football de Challenge League entre le FC Sion et le FC Schaffhouse ce vendredi 15 decembre 2023 au stade  ...
Seit Dezember 2023 arbeitet Admir Mehmedi als Sportchef des FC Schaffhausen.Bild: keystone
Interview

Admir Mehmedi: «Als ich einen Audi R8 kaufen wollte, machte mich mein Vater zur Sau»

Admir Mehmedi war der Held, der im EM-Achtelfinal gegen Frankreich den letzten Penalty versenkte. Und er ist mit 32 Jahren der Sportchef, der in Schaffhausen Erstaunliches leistet. Im Interview verrät er, warum sein Vater den Jahresbeitrag von 60 Franken nicht bezahlen wollte und ihm Christian Streich in Freiburg die Kappe gewaschen hat.
07.03.2024, 16:5307.03.2024, 16:53
François Schmid-Bechtel / ch media
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Alex Frei in Luzern und Marco Streller in Basel sind unmittelbar nach der Karriere als Sportchefs eingestiegen und schnell verglüht. Hatten Sie das Schicksal der beiden im Kopf, als sie die Anfrage aus Schaffhausen erhielten?
Admir Mehmedi: Ich kenne die Umstände bei Frei und Streller nicht. Traute ich mir das Amt nicht zu oder wäre ich schlecht vorbereitet, hätte ich nicht zugesagt.

Als Sie im Dezember übernommen haben, war Schaffhausen abgeschlagen am Tabellenende. Mittlerweile rechnet kaum noch jemand damit, dass Ihr Klub absteigen könnte.
Auch wenn wir die Mannschaft punkto Qualität und Erfahrung verbessert haben, sind wir nach wie vor im Abstiegskampf involviert. In Wolfsburg hatten wir das Motto «Arbeit, Fussball, Leidenschaft». Ich will auf dem Rasen, im Büro und überall beim FC Schaffhausen Leute sehen, die diese Werte verkörpern. Noch etwas.

The Swiss team, with from right, Admir Mehmedi and Xherdan Shaqiri, celebrates after winning the Euro 2020 soccer tournament round of 16 match between France and Switzerland at the National Arena stad ...
Admir Mehmedi (rechts) feiert mit seinem Freund Xherdan Shaqiri, nachdem er im EM-Achtelfinal gegen Frankreich den letzten Penalty versenkt hat.Bild: keystone

Ja bitte?
Schauen Sie auf meine Karriere. Ich war nie das herausragende Talent. Mir hat niemand 76 Länderspiele und fast neun Jahre in der Bundesliga zugetraut. Ich habe mir alles erarbeitet und das will ich von allen beim FC Schaffhausen auch sehen.

«Diese Aktion steht für alles, was mich als Fussballer ausgezeichnet hat: Ein Kämpfer, ein Teamplayer und ein anständiger Kicker.»

Sie waren als Kind etwas dicklich, aber doch sehr torgefährlich. Total talentfrei können Sie nicht gewesen sein.
Das stimmt. Aber ich stand in meiner Karriere, egal ob in der Nati oder bei den Klubs, immer wieder auf der Kippe. In meinen zehn Nati-Jahren, vor allem unter Ottmar Hitzfeld, waren doch neun oder zehn von elf Positionen vergeben. Die offenen Fragen lauteten: Embolo oder Mehmedi, Barnetta oder Mehmedi, Stocker oder Mehmedi. Schliesslich habe ich mich aber meist durchgesetzt.

Welche Aktion steht für Ihre Karriere?
Es ist meine Balleroberung an der WM 2014 gegen Honduras (3:0) in der eigenen Hälfte, die mein Freund Xherdan Shaqiri zum 1:0 veredelt. Diese Aktion steht für alles, was mich als Fussballer ausgezeichnet hat: Ein Kämpfer, ein Teamplayer und ein anständiger Kicker.

Die Highlights des Sieges gegen Honduras.Video: YouTube/FIFA

Aber der Held waren Sie an der EM 2021, wo Sie im Achtelfinal im Penaltyschiessen gegen Frankreich den letzten Versuch verwandelten.
Vielleicht.

Hört man Sie jetzt reden, ist das weit weg von jenem Admir Mehmedi, der 2014 glaubte, man spreche in Brasilien Spanisch.
Ich bin definitiv nicht stehen geblieben. Ich habe hart an mir gearbeitet, nicht nur am Fussballer Mehmedi. Ich stand als Spieler nie gerne im Vordergrund.

Warum?
Ich definiere mich viel lieber über meine Arbeit, als im Rampenlicht zu stehen. Ich war bescheiden unterwegs als Spieler. Sie sind nicht der einzige, der über meine Entwicklung staunt, weil viele die lustigen Interviews von mir als jungem Spieler noch im Kopf haben. Insbesondere in den Jahren in Deutschland habe ich mich damit auseinandergesetzt, was auf mich als Sportchef zukäme. Ich habe meine Vorgesetzten in Leverkusen und Wolfsburg, Rudi Völler und Jörg Schmadtke, intensiv studiert.

«Ich war immer authentisch und ehrlich. Daran halte ich mich bis heute.»

Ist Schmadtke dieser knallharte Typ, als der er hingestellt wird?
Er kann auch warmherzig sein. Aber wenn du vor 30 Männern redest und du weisst, dass jedes deiner Worte auf die Goldwaage gelegt wird, musst du ziemlich überzeugend rüberkommen. Wissen Sie, warum es für mich einfach ist, vor die Mannschaft zu treten?

Nein.
Weil ich mich noch nie verstellt habe. Ich war immer authentisch und ehrlich. Daran halte ich mich bis heute. Ich gebe keinem unserer Spieler ein Versprechen ab, das ich nicht einhalten kann. Und wissen Sie, warum Aufrichtigkeit mein vielleicht wichtigster Grundsatz ist als Sportchef?

Weil Sie als Spieler gegenteilige Erfahrungen gemacht haben?
Genau. Mir wurden von Sportchefs und Trainer Dinge versprochen, um mich zu ködern. Aber ab jenem Zeitpunkt, in dem die Versprechungen nicht mehr eingehalten werden, hatte der Chef aus meiner Optik ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Christian Streich hat Sie einst von Kiew nach Freiburg geholt. War er der ehrlichste Mensch, den Sie im Fussball getroffen haben? Und hat er Sie darin bestärkt, immer den geraden Weg zu gehen?
Die Beziehung Christian/Admir war mehr als eine Trainer-Spieler-Beziehung. Es hat lange gedauert, bis er mich als Mensch verstanden hat – umgekehrt auch. Bereits im dritten Spiel habe ich als Einwechselspieler Rot gesehen, weil ich dem Schiedsrichter den Vogel gezeigt habe. Streich hat mir danach vor laufenden Kameras so richtig die Kappe gewaschen. Das fand ich nicht cool. Und er hat mir bis heute nicht verziehen, dass ich nach dem Abstieg zu Leverkusen gewechselt bin. Trotzdem ist er mir nicht böse deswegen.

Streich macht Admir Mehmedi vor laufender Kamera zur Schnecke.Video: YouTube/badischezeitung

War Streich wie ein Fussball-Vater für Sie?
Absolut. Ich war in einer schwierigen Situation zu ihm gekommen. Nach der Einsamkeit in Kiew, wo ich zwar sehr gut verdient habe, suchte ich die Nähe zur Schweiz. Freiburg und Streich waren der Switch in meiner Karriere. Ohne Christian Streich hätte ich niemals diese Laufbahn gemacht, die ich hintenraus geschafft habe.

Ihre erste Auslandsstation war 2012 Kiew. Wie berührt Sie der Krieg in der Ukraine? Und haben Sie noch Kontakt zu Menschen vor Ort?
Jeder Krieg stimmt mich traurig. Das sind Bilder, die man nicht sehen sollte. Dass jetzt an einem Ort, an dem ich 18 Monate gelebt habe, Krieg herrscht, Bilder von zerbombten Gebäuden zu sehen, in denen ich gegessen habe, ist für mich nochmals eine andere, schrecklichere Dimension. Schauen Sie, ich kriege Gänsehaut. Aber Kontakt habe ich keinen mehr in die Ukraine. Aber das Schicksal der Menschen trifft mich enorm.

Bildnummer: 12803081 Datum: 14.02.2013 Copyright: imago/Newspix
EUROPA LEAGUE 1/8 FINAL FIRST MATCH: FC DYNAMO KIEV - FC GIRONDINS DE BORDEAUX 1:1 ADMIR MEHMEDI MARC PLANUS PUBLICATIONxNOTxINxPOL GY5Q ...
Kiew war die erste Station im Ausland von Admir Mehmedi.Bild: imago sportfotodienst

Krieg kennen Sie auch aus Ihrer Kindheit. Sie flüchteten während des Balkankriegs mit ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder zum Vater ins Tessin. Haben Sie darüber sinniert, wie Ihr Leben aussähe, wenn der Krieg nie ausgebrochen wäre?
Nein. Trotzdem interessiert mich die Vorgeschichte von meinem Vater, von meiner Mutter. Das führt mir immer wieder vor Augen, wie privilegiert ich in der Schweiz aufgewachsen bin.

«Natürlich könnte ich es mir leisten, meinen Kindern alles in den Allerwertesten zu schieben. Aber wenn sie so aufwachsen, haben sie mit 15 jegliche Bodenhaftung verloren.»

«Privilegiert» finde ich ein grosses Wort, wenn man bedenkt, dass Ihr Vater erst als Stallbursche, danach als Tellerwäscher und später als Pizzabäcker die Familie durchbringen musste.
Aber ich habe es so empfunden, weil die Schweiz für uns ein sehr sicherer Ort war und ist. Sicher, mein Vater wollte die 60 Franken Jahresbeitrag für den Fussballklub in Bellinzona nicht bezahlen, weil er fand, das sei ein Luxus. Mit dem Trinkgeld, das er als Pizzabäcker erhielt, ging er nicht etwa mit Freunden Kaffee trinken, sondern kaufte Obst für die Familie. Das prägt. Als ich mich später als Fussballer in finanziell total anderen Sphären bewegte, habe ich nie vergessen, wie wir aufgewachsen sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel.

Bitte
Wenn eines meiner drei Kinder ein Spielzeug kaputtmacht und dann meint, Papi würde ihm ein neues kaufen, sage ich: «Nein, Papi kauft dir kein neues».

Warum?
Ich will, dass meine Kinder von Beginn weg den Wert der Dinge schätzen. Natürlich könnte ich es mir leisten, meinen Kindern alles in den Allerwertesten zu schieben. Aber wenn sie so aufwachsen, haben sie mit 15 jegliche Bodenhaftung verloren. Als ich mit 12 meinen ersten Game Boy hatte, habe ich diesen wie einen Wertgegenstand behandelt. Oder meine Fussballschuhe. Ich habe sie gepflegt, als müssten sie zehn Jahre halten. Ich habe bis heute nicht vergessen, wie hart mein Vater für diese Dinge malochen musste. Wie ich auch nie vergessen werde, dass ich mit meinem Bruder ein Zimmer von gefühlt fünf Quadratmetern teilen musste.

Warum haben wir das Bild von degenerierten, abgehobenen Fussballstars im Kopf?
Weil viele nicht mit Ruhm und Geld umgehen können. Ob ich eine Ausnahme bin, weiss ich nicht. Ich hatte auf jeden Fall ein gutes Umfeld. Mein Vater ist studierter Ökonom. Er leitete in Nordmazedonien eine Firma mit mehreren hundert Angestellten.

«Behrami, Seferovic, Gavranovic, Dzemaili, Shaqiri, Xhaka und ich haben einen Anteil daran, dass das Image der Balkaner ein besseres geworden ist.»

Hat er Ihr Geld verwaltet?
Nein. Aber ich habe ihn stets gefragt. Als ich den Führerschein machte, kaufte ich mir einen Audi A3. Danach verdiente ich beim FC Zürich immer mehr und ich hatte den Traum, einen Audi R8 (kostet um die 200'000 Franken) zu kaufen. Als ich meinem Vater davon erzählte, hat er mich zur Sau gemacht. Erst trotzte ich. Aber am nächsten Morgen habe ich mein Verhalten bereut. Ich blieb beim A3. Ein Jahr später, als ich in Kiew einen sehr gut dotierten Vertrag unterschrieb, fragte ich meinem Vater: «Ich brauche ein neues Auto, kann ich mir einen Porsche Cayenne kaufen?» Er lenkte ein.

Haben Sie jemals unter Ihrem Namen gelitten?
Nein. Menschen aus dem Balkan hatten zwar einen schlechten Ruf in der Schweiz. Aber ich denke, dass der Fussball geholfen hat, Vorurteile auszuräumen. Valon Behrami, Haris Seferovic, Mario Gavranovic, Blerim Dzemaili, Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und ich haben einen Anteil daran, dass das Image der Balkaner ein besseres geworden ist. Die Schweiz ist ein wunderbares Land, das es jungen Menschen jeder Herkunft ermöglicht, den eigenen Weg einzuschlagen.

Sahen Sie im Fussball die einzige Chance für den sozialen Aufstieg?
Nein, das nicht. Ich hatte es viel besser als mein Vater. Für ihn gab es nur eine Möglichkeit, die Flucht aus Mazedonien, weil er dort keine Zukunft sah. Dabei hatte er vor dem Krieg ein sehr gutes Leben. Als Chef einer grossen Holzfirma hatte er sogar einen eigenen Chauffeur. Dann kommt er allein nach Norditalien und muss sich erst als Stallbursche verdingen. Was für ein krasser Unterschied. (aargauerzeitung.ch)

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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
07.03.2024 17:13registriert Oktober 2019
Ganz ein feiner Kerl, der Herr Mehmedi, danke für das Interview.

Ich wünsche ihm alles Gute bei und mit Schaffhausen!
1781
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Once upon a time...
07.03.2024 17:11registriert August 2017
Ich mochte Mehmedi immer. Er war immer sehr authentisch und wusste auf was es ankommt. Ein gutes Vorbild für viele Secondos. 👍🏼
1346
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Zum Kommentar
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Jonas der doofe
07.03.2024 17:19registriert Juni 2020
Eifach en geile Siech.

Danke Admir
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Zum Kommentar
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