Wir treffen Mujinga Kambundji am Abend des letzten Wettkampftages am Pool des Athletenhotels. Sie will früh ins Bett, verzichtet auf einen letzten Besuch im Stadion. Am Samstag stand die 27-jährige Bernerin noch einmal im Mittelpunkt eines Schweizer Exploits. Mit der 4x100-m-Staffel lief sie in neuer Rekordzeit auf den sensationellen vierten Rang. Nur um acht Hundertstelsekunden verpasste Kambundji ihre zweite WM-Medaille.
Was wollen Sie nach der Rückkehr in die Schweiz unbedingt tun?
Mujinga Kambundji: Mich vor allem erholen. Die Energie für etwas anderes nutzen als für das Training. Ich fühle mich wirklich mega, mega müde. Es war mit den Schwierigkeiten zu Beginn eine sehr anstrengende Saison. Und es ist speziell, im Oktober noch Wettkämpfe zu bestreiten. Es hat zwar hier Hölle-gefegt, aber ich bin dennoch froh, ist nun auch die WM vorbei.
Und danach geht es in die verdienten Ferien?
Ich habe sie noch nicht gebucht. Zuerst geht es mit meinen Schwestern und einigen Kolleginnen für einige Tage ins Tessin.
Sie reisen gerne?
Ja, und ich bevorzuge wirklich Reiseferien und nicht Badeferien. Aber nach dieser kräftezerrenden Saison geht es wohl an einen Strand.
Waren Sie auch gerne in Katar?
Eigentlich schon. Aber man sieht halt nicht viel vom Land. Im Vorfeld war ich etwas skeptisch, wie es mit den Temperaturunterschieden draussen und im Stadion sein würde. Es war schwierig, weil es diesbezüglich für mich eine Reise ins Ungewisse war. Ich wusste nicht genau, auf was ich mich einstellen muss.
Aber als moderne Frau gibt es in diesem Land einiges, was Ihnen nicht gefallen dürfte?
Ich habe viel zu wenig gesehen, um etwas über die Kultur und die Menschen sagen zu können. Meinen Eltern war es aber sehr wohl. Sie haben die Leute in dieser Woche als nett, offen und hilfsbereit kennengelernt.
Sie haben sich weder über die Zustände im Hotel, noch über den Sinn einer WM in der arabischen Wüste geäussert? Weil es nichts auszusetzen gibt oder weshalb nicht?
Ich wollte vor allem auf den Wettkampf fokussiert bleiben. Und Dinge, die man im Moment nicht ändern kann, akzeptiert man am besten.
Wie haben Sie sich in den vergangenen zwei, drei Jahren als Person verändert?
Ich habe das Gefühl, mich stark weiterentwickelt zu haben. Ich habe einen grossen Schritt gemacht: ich bin älter geworden. Mir fehlte vorher ein wenig die Stabilität. Heute bestimme ich viel mehr selber. Es war ein Lernprozess. Viele Sachen habe ich gut, einige auch schlecht gemacht. Aber aus allem habe ich etwas gelernt. Es ist mir heute auch viel wichtiger, zuhause zu sein.
Brauchte es Mut, sich von einem Trainer zu emanzipieren?
Ja, schon. Wobei man emanzipieren genauer definieren müsste. Meine früheren Trainer haben mir nie befohlen, was ich zu tun hätte. Ich musste mich also nicht von irgendjemandem loslösen. Es war mehr so, dass mein Gefühl in eine andere Richtung ging als die Ideen des Trainers.
Einzelsportlerinnen begeben sich oft in jungen Jahren in die Hände eines Trainers. Besteht da je nach Autorität des Trainers nicht die Gefahr, dass sich die Persönlichkeit einer Athletin nicht richtig entwickeln kann?
Das kann ich mir schon vorstellen. In der Leichtathletik sehe ich dieses Problem aber weniger. Wir müssen in jungen Jahren nicht so viel trainieren, sind also nicht ständig in der Obhut eines Trainers wie in anderen Sportarten. Und man trainiert stets in einer grösseren Gruppe. Ich persönlich wäre auch nicht der Mensch, dem so etwas passieren könnte. Wenn ich jeweils mit etwas nicht einverstanden war – nicht nur im Sport – und jemand versuchte Druck auszuüben, dann war das für mich ein Zeichen, nicht auf dem richtigen Weg zu sein.
Wie wichtig war es, dass es nach ihrer Odysse bei der Trainersuche beim Anlauf mit Steve Fudge stimmen musste?
Mir war vor allem wichtig, dass es menschlich stimmt. Sonst hätte ich es nicht gemacht. Das Jahr zuvor war mega anstrengend. Ich hatte nie eine wirklich feste Lösung, mit der ich auch vorausplanen konnte. Es war wichtig, einen Trainer zu engagieren, auf den ich mich verlassen kann und der die Zusammenarbeit auch als langfristiges Projekt ansieht. Bei Steve hatte ich von Beginn weg ein gutes Gefühl.
Was zeichnet ihn aus? Schotten gelten ja durchaus als etwas eigen?
Alle Sprinttrainer sind etwas eigen (lacht). Alle meine bisherigen Trainer hatten etwas Eigentümliches. Wie wir Athleten wohl auch. An Steve schätze ich, dass er sich nicht aufdrängt und dem Athleten den Platz einräumt, um sich selber entwickeln zu können.
Was ist bei Ihnen eigentümlich?
Diese Frage muss man wohl eher den Teamkolleginnen stellen (lacht).
Und für das Olympiajahr streben Sie nun Kontinuität an?
Das ist im Moment das mit Abstand wichtigste. Ich werde wie jede Saison analysieren, was gut war und was wir ändern wollen. Aber ich werde personell weiterhin im gleichen Trainerteam mit Steve Fudge, Adrian Rothenbühler, Florian Clivaz und punktuell mit Jaques Cordey weiterfahren. Vielleicht noch etwas mehr in Bern trainieren. Zuhause zu sein, tut mir sehr gut. Dafür etwas längere Blöcke in London, damit es nicht ein ständiges hin und her ist.
Was macht Sie so sicher, dass Sie sich noch weiter steigern können?
Gibt es denn Leute, die sagen, ich könne mich nicht mehr steigern? Ich sehe sowohl auf den 100 Metern wie über 200 Meter noch mehr Potenzial. Wenn ich den Saisonaufbau von Anfang an zielgerichtet machen kann, dann liegen meines Erachtens noch schnellere Zeiten drin. Hier in Doha war der Start nicht optimal. Auch daran kann ich arbeiten. Ich denke, das Gefühl, es nicht besser machen zu können, wird bei mir nie kommen.
Und wo hilft Ihnen die WM-Medaille dabei?
Ich kann nicht einfach sagen, sie sei eine Bestätigung. Denn es war ja nicht etwas, das ich erwartet hatte. Es war mehr eine Überraschung. Wenn schon ist es eine Bestätigung, dass es richtig war, auf mein Gefühl zu hören. Ich habe über die Jahre ein Gespür entwickelt, was gut für mich ist. Ich habe auch aus den Fehlern des letzten Jahres die richtigen Lehren gezogen.