Kaum eine andere Mannschaft des europäischen Profisports verzeichnete so viele Coronaerkrankte wie die Rhein-Neckar Löwen. Mittendrin auch der 36-jährige Innerschweizer Andy Schmid. Der Mann, der fünfmal zum wertvollsten Spieler der Bundesliga gewählt wurde, hat kurz vor dem Saisonabbruch wohl noch ein Spiel coronageschwächt durchgestanden.
In Ihrer Mannschaft, den Rhein-Neckar Löwen, haben sich etliche Spieler mit Corona infiziert. Wie hat das Ihr Bild auf die Krankheit beeinflusst?
Andy Schmid: Ende Februar waren schon einige Spieler krank. Damals war Corona noch nicht das alles dominierende Thema in der Öffentlichkeit. Und wir haben es auch noch nicht so ernst genommen. Im März wurde der erste Spieler dann positiv getestet. Weitere folgten.
Wie ging es Ihren Mitspielern? Was haben sie über den Krankheitsverlauf gesagt?
Die meisten hatten ein, zwei Tage Fieber und litten an Gliederschmerzen. Symptome wie bei einer normalen Grippe. Ich bin zwar kein Arzt: Aber die Beispiele in unserer Mannschaft zeigen mir, dass Corona bei jungen, fitten Menschen nicht viel gefährlicher ist als eine Grippe. Und wir hatten über zehn positive Coronafälle in unserem Team.
Haben Sie sich auch angesteckt?
Vor etwa drei Wochen konnten wir einen Antikörpertest machen. Dabei resultierte ein positiver Befund bei mir. Sprich, ich habe Coronaantikörper. Da erinnerte ich mich daran, dass ich mich mal zwei Tage lang nicht so gut gefühlt, trotzdem aber noch eine Partie mit fieberhemmenden Mitteln gespielt habe.
Sind Sie froh, dass Sie mit Corona infiziert waren? Macht diese Erkenntnis etwas mit einem?
Nein, ich hatte nie wirklich Angst vor diesem Virus, weil ich viele Menschen in meinem Umfeld erlebt habe, deren Krankheitsverlauf harmlos war. Trotzdem konnte ich die Massnahmen nachvollziehen, ältere Menschen und solche, die zur Risikogruppe zählen, zu schützen. Heute aber frage ich mich manchmal schon: Sind wir bei den Massnahmen nicht etwas übers Ziel hinausgeschossen? Ehrlich gesagt ist man im Nachhinein immer schlauer.
Können Sie das ausführen?
Gewiss kursierten Horrorszenarien. Aber meiner Meinung nach hätte man früher lockern können. Die Bilder aus Italien, Spanien und den USA waren beängstigend. Aber man soll nicht immer mit anderen Ländern vergleichen. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz herrschen andere Lebensumstände, das Gesundheitssystem ist sicherlich besser. Auch deshalb war die Sterberate nicht annähernd so hoch.
In Deutschland soll die Fussball-Bundesliga am kommenden Wochenende wieder starten. Wie beurteilen Sie aus Sicht des Handballers diesen Entscheid?
Im Sinn des Sports ist das sehr positiv. Man zeigt gerne und schnell mit dem Finger auf die Fussballer und kritisiert sie, weil sie reich und privilegiert sind. Der Fussball ist nun mal die grösste Sportart in Europa. Weil dieser Sport so gross ist, finde ich es enorm wichtig, dass wieder gespielt wird.
Wieso?
Einerseits signalisiert man der Bevölkerung, dass ein Stück Normalität zurückkehrt. Andererseits demonstriert man der Politik, dass der Sport wieder funktionieren kann. Das ist auch extrem wichtig für andere Sportarten. Diese erhalten im Sog des Fussballs wieder etwas Bewegungsfreiheit. Es muss weitergehen.
Warum diese Dringlichkeit?
Weil der Sport zu bedeutend ist. Dabei reden wir nicht nur von Spitzensport. Wir reden von Millionen von Kindern, die ständig den Drang verspüren, sich zu bewegen. Als Kind hatte der Sport für mich einen fast höheren Stellenwert als die Schule. Wir können doch nicht die nächsten Monate voller Angst zuhause rumsitzen und warten, bis es einen Impfstoff gibt. Vielleicht wird es nie einen geben. Wir müssen lernen, mit Corona zu leben. Dabei spielt der Sport eine wichtige Rolle.
Bedauern Sie, dass die Handball-Bundesliga im Gegensatz zu den Fussballern die Saison abgebrochen hat?
Klar hätte ich gerne fertig gespielt. Aber damals, im März, war die Lage ganz anders.
Hätte man nicht wie im Fussball vorerst unterbrechen können?
Jetzt darüber zu spekulieren ist schwierig. Im Vergleich zum Handball findet der Fussball unter freiem Himmel statt. Ausserdem sind die TV-Gelder im Fussball viel relevanter als im Handball. Geisterspiele schaden deshalb dem Handball mehr als dem Fussball.
Zum Zeitpunkt des Abbruchs lagen Ihre Löwen auf Platz fünf, zehn Punkte hinter Tabellenführer Kiel. Eine verkorkste Saison?
Turbulent, weil erstmals seit neun Jahren bei uns ein Trainer entlassen wurde. Aber die Saison liegt weit zurück. Ich denke derzeit selten an Handball.
In der Schweiz gab es beispielsweise beim FC Basel ein Gezänk um Kurzarbeit. Bei den Rhein-Neckar Löwen willigte die gesamte Mannschaft sofort ein.
Wenn man die Leistung, für die man normalerweise bezahlt wird, nicht erbringt, ist es selbsterklärend, Lohneinbussen hinzunehmen. Schliesslich geht es um mehr als die persönlichen Interessen. Es geht um die Existenz des Vereins, um das Überleben der Sportart. Wer da noch auf seinen Vertrag pocht, verkennt die Situation. Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich meine Söhne zuhause in Mathematik unterrichte.
Stellen Sie sich in diesen Zeiten die Sinnfrage? Beispielsweise, ob es Sport überhaupt braucht?
Die Bedeutung des Sports ist für mich unbestritten. Leider sehen das viele Politiker anders und behandeln den Sport sekundär. Noch einmal: Es geht nicht nur um den Spitzensport. Denn ohne Breite keine Spitze. Und ohne Spitze keine Breite. Wenn ich nach einem Spiel 200 Autogramme schreibe, sind 180 für Kinder. Diese 180 Kinder brauchen ihre Idole. Wenn die Idole verschwinden, bricht bei vielen Kindern ein grosser Teil des Antriebs weg. Auch ich hatte mit Handball angefangen, weil ich meinen Idolen nacheifern wollte. Wir können nicht von Gesundheit reden und dabei den Sport ausklammern. Es ist auch ein Verdienst des Sports, wenn in einer Pandemie wie Corona die Mehrzahl der Krankheitsverläufe nicht gravierend sind.
Hat Corona ihr Leben verändert? Respektive: Wird Corona auch einen Einfluss auf Ihr Leben haben, wenn die Krankheit nur noch eine Erinnerung ist?
In unserer Familie ist die Bande sicher noch mal enger geworden. Es war auch das erste Mal, dass wir sechs Wochen am Stück alle zusammen waren. Was ich aus der Coronakrise mitnehme? Mich nicht von der Angst leiten zu lassen. Respekt sollte man haben, aber die Angstmacherei macht viele Menschen kaputt.
Wegen Corona wurden die WM-Playoff-Spiele abgesagt. Der Schweiz wurde damit die Chance genommen, sich gegen Island für die Endrunde 2021 zu qualifizieren. Ihr Vertrag bei den Rhein-Neckar Löwen läuft 2022 aus. Also: Keine WM mit Andy Schmid? Oder werden Sie Ihre Karriere verlängern, um den Traum von der erstmaligen WM-Teilnahme am Leben zu halten?
Das nächste Ziel ist die EM 2022. Was danach ist, kann ich nicht sagen. Da muss ich auch auf meinen Körper hören. Eine WM wäre sicher ein schöner Abschluss. Wir werden es sehen.