Otto Pfister wird im November 80. Das hindert ihn aber nicht daran, weiterhin als Fussballtrainer um die Welt zu reisen. «Die Schweiz ist wunderschön, aber der Geruch der Kabine fehlt mir», pflegt er zu sagen. Darum hat Pfister vor einigen Tagen in Afghanistan unterschrieben. Es ist seine 24. Trainerstation, die zwölfte als Nationaltrainer. Er soll das Land auf Rang 151 der FIFA-Weltrangliste in der Qualifikationsgruppe gegen Jordanien (112.), Vietnam (136.) und Kambodscha (175.) an den Asien-Cup 2019 führen.
Viel nach Afghanistan reisen muss er dafür übrigens nicht. Die Spieler sind im Ausland unter Vertrag, die Vorbereitung wird in Dubai und Katar stattfinden und die Heimspiele werden wohl in Teheran (Iran) ausgetragen. Trotzdem wird der Erfahrungsschatz des Deutschen noch reicher werden. Grund genug mit ihm zurückzublicken auf seine bisherigen Karriere-Highlights. Es sei allerdings gesagt: «Ich habe so viel erlebt, die skurrilsten Geschichten darf ich hier gar nicht erzählen.»
«Da war ich noch ein junger Mann und erlebte einen totalen Kulturschock. Zuvor war ich nie in Afrika. Dort war es noch wirklich ursprünglich. Das waren die Anfänge der Konflikte zwischen den Hutu und Tutsi. Ich musste immer drauf schauen, dass ich ein ausgewogenes Verhältnis von Spielern der beiden Stämme in meinem Team hatte.»
«Ich schaffte die erstmalige Afrika-Cup-Qualifikation 1978 (damals nur acht Teams). Während der Qualifikation gegen die Elfenbeinküste traf deren Goalie unseren Stürmer, der blutüberströmt zu Boden ging. Daraufhin stürmten die Zuschauermassen das Feld, das war dann Zirkus! Die Partie konnte fertig gespielt werden. Aber die Spieler der Elfenbeinküste waren danach zwei Tage im Hotel blockiert. Unsere Fans belagerten die Unterkunft. Das hätte fast eine Staatsaffäre gegeben. Es ging glimpflich aus, machen konnte ich nichts.»
«Da hatte ich das erste Mal richtig Erfolg. Ich wurde Afrika-Meister mit der U-20 und konnte an die U20-WM in Mexiko 1983. Die Verantwortlichen hatten keine Ahnung, wie sie sich vorbereiten sollten, da die Endrunde auf 2000 Metern über Meer stattfand. Ich musste mit dem Minister und dem Verband lange verhandeln, bis ein Trainingslager in Kolumbien genehmigt wurde. Wir erreichten ein Remis gegen Uruguay.»
«Der Kongo ist ein wunderschönes Land. Damals war Mobutu noch an der Macht – und der grösste Fan des Teams. Er lud mich einige Male ein und fragte, was er machen könne. Dann gab er die Anweisungen. Einmal fragte er, wohin ich ins Trainingslager möchte. Weil Mobutu grad aus Argentinien zurückkehrte, sagte ich Argentinien. Wir verbrachten drei Wochen dort.
Besonders in Erinnerung blieb mir ein Quali-Spiel gegen Nachbar Angola. Mobutu bestellte mich zu sich und sagte: ‹Hör zu, gegen Dos Santos (Präsident Angolas) dürfen wir nicht verlieren. Sonst muss ich dich zum Flughafen schicken.› Wir siegten 3:0.»
«Ich betreute erst die U17 und wurde mit ihr Afrika-Meister und dann Weltmeister. Es war der erste Weltpokal für den Kontinent. 100'000 Fans empfingen uns, mit dem Bus tourten wir eine Woche durch das ganze Land und wurden gefeiert. Dann wechselte ich zum A-Team. Im Afrika-Cup-Final 1992 unterlagen wir im legendären Elfmeterschiessen nach dem 24. Versuch.
Auch wenn ich heute nach Ghana reise, dann kennen mich noch alle. Egal ob der Zöllner, der Taxifahrer oder die Leute auf der Strasse.»
«Einer der Stars bei Ghana während meiner Zeit war Abédi Pelé. Der konnte sitzend auf einem Stuhl mit zwei Bällen jonglieren – das glaubst du nicht. Das habe ich sonst nie mehr gesehen.
Der war ja auch mal kurz beim FC Zürich. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Sie steckten ihn in eine Zweizimmerwohnung, der ist da versauert. Dann holte ihn Bernard Tapie zu Marseille. Ein Jahr später war er Champions-League-Sieger. Was für ein Fussballer!»
«Sammy Kuffour war in meinem U17-Weltmeister-Team. Da war er noch keine 15 Jahre alt. Wenig später war ich in Berlin an einem Hallenturnier und traf da den Rainer Calmund. Anschliessend gingen wir an eine Einladung, ich weiss gar nicht mehr genau wo.
Auf jeden Fall war Franz Beckenbauer da. Wir plauderten. Er meinte: ‹Wenn du mal einen weisst für die Bayern, lass es mich wissen.› Ich sagte: ‹Nimm den Kuffour.› Sie holten ihn und er legte diese wunderbare Karriere hin. Zu Beginn wohnte Sammy bei einer alten Oma – so klappte das grossartig mit der schnellen Integration.»
«Da fehlt es dir an gar nichts. Die haben eine Infrastruktur wie Real Madrid. Die Spieler leben in absolutem Luxus. Für die Nationalmannschaft gab es ein eigenes Stadion, praktisch mit einem integrierten 5-Sterne-Hotel. Jeder Spieler hatte da seine eigene Loge, es gab eine Bowlingbahn, das Militär sperrte die ganze Anlage ab. Zudem stand uns jederzeit ein eigenes Flugzeug zur Verfügung.»
«Adebayor ist ein Paradebeispiel für die mentale Stärke der Afrikaner. Er sagte damals 2006 vor der WM zu mir: ‹Trainer, ich bin der beste Stürmer der Welt.› Er glaubte das zu 100 Prozent, darum war er so stark. Dieses Selbstbewusstsein ist dann aber auch das Problem, viele Trainer kommen damit nicht zurecht.»
«Das war eine spezielle Situation. Der Präsident war ein reicher Mann. Wir sind zu Beginn zusammengesessen und er fragte mich, welche Spieler ich benötige. Die Mannschaft hat er mir dann zusammengekauft. Im Mittelfeld hatte ich Paulinho, der zuvor in der Schweiz bei YB und Lugano spielte, danach ein halbes Jahr zu Yverdon wechselte.
Wir stürmten bis ins Endspiel des CAF Confederation Cup, dem afrikanischen Pendant zur Europa League.»
«Kamerun war meine achte und bisher letzte Station als Nationaltrainer in Afrika. Ich übernahm im Herbst 2007. Beim Afrika-Cup 2008 verloren wir das Endspiel gegen Ägypten 0:1.
Ich ging danach auf mein Hotelzimmer und war total niedergeschlagen. Wenn du in der Vorrunde ausscheidest, ist das nicht so schlimm, wie einen Final zu verlieren. Dann klopfte mein damaliger Star und Turnier-Toptorschütze Samuel Eto'o an die Tür. Er hatte gespürt, wie nah mir die Niederlage ging und sagte: ‹Weisst du, wenn du in so einem Elend wie viele von uns Spielern aufgewachsen bist, dann ist doch eine Finalniederlage nicht so schlimm.› Das baute mich unglaublich auf.»