Inka Grings, in der Schweiz ist es heiss. In Neuseeland, wo Sie die kommenden Wochen verbringen, deutlich kälter. Wie gehen Sie mit dieser Umstellung um?
Inka Grings: Jacke, Pulli, lange Hose. Es ist Herbst. Es ist 10 bis 15 Grad. Wir gehen jetzt nicht nach Alaska, wo du minus 20 Grad hast. Zum Spielen ist das geiles Wetter. Ich hoffe nur, dass es nicht immer so nass ist. Aber wir wissen, was uns erwartet, und wir können es eh nicht beeinflussen.
Was sind Ihre Ziele für diese Weltmeisterschaft?
So weit wie möglich zu kommen. Das ist das, was wir uns vorgenommen haben. Wir haben eine interessante Mischung, und alle sind aktuell top drauf.
In der Gruppe mit den Philippinen, Norwegen und Co-Gastgeber Neuseeland muss die Qualifikation für die Achtelfinals das Ziel sein.
Ja, natürlich. Gar keine Frage. Norwegen ist und bleibt für mich Favorit in unserer Gruppe. Die haben fantastische Spielerinnen in ihren Reihen, sind wahnsinnig erfahren, auf allerhöchstem Niveau. Neuseeland ist Gastgeberland, ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen. Sie spielen wirklich guten Fussball. Und die Philippinen könnten ein Stolperstein werden. Die haben nichts zu verlieren bei ihrer ersten WM-Teilnahme.
Als Spielerin haben Sie zwei Mal an einer WM teilgenommen. Welche Erfahrungen daraus können Sie jetzt in der Position als Trainerin ins Team hineintragen?
Für mich als Spielerin war eine WM immer faszinierend. Weil es ist genau das, was man sich wünscht: Volle Stadien, weltweite Aufmerksamkeit, Fans, die extra ins Stadion kommen, um einen spielen zu sehen. Auch die unterschiedlichen Kulturen, die bei so einem Turnier zusammenkommen, fand ich beeindruckend.
Wie gingen Sie mit dem Druck um, der an so einem Turnier deutlich höher ist als im Klubfussball?
Ich mochte diesen Stress immer. Wenn man mich als Spielerin ausgebuht hat, hat mich das immer noch zusätzlich gepusht und motiviert, noch mehr abzuliefern. Aber ich weiss auch, dass dieser Druck und diese Aufmerksamkeit hemmen können. An der WM 2011 in Deutschland hatten viele Spielerinnen einen kompletten Blackout, weil sie auch mit dem medialen Druck nicht klarkamen, weil alle den WM-Titel von uns erwarteten. Ich fand das faszinierend, aber ich weiss, dass es schnell in etwas Negatives umkippen kann. Und diese Erfahrungen helfen mir jetzt, weil ich mit den Spielerinnen über Eventualitäten sprechen kann. Wie gehe ich damit um, wenn wir nach fünf Minuten ein Tor kassieren? Wie reagiere ich, wenn ich in der 80. Minute eine Torchance liegenlasse? Ich kann durch meine Erfahrungen feinfühliger sein und versuchen, das Team auf solche Situationen vorzubereiten.
An der EM im letzten Jahr in England hielten die Schweizerinnen unter Ihrem Vorgänger Nils Nielsen meist gut mit, gaben ein besseres Resultat aber mehrmals in der Schlussphase preis. Haben Sie daraus Ihre Schlüsse gezogen, dass das diesmal nicht passiert?
Ja, wir trainieren mehr, weil ich finde den physischen Teil definitiv ausschlaggebend. Wir haben wahnsinnig gute Spielerinnen. Das nützt aber nichts, wenn du nach 60, 70 Minuten einbrichst. Das war schon auffällig an der EM. Deshalb erhielten die Spielerinnen ab Februar Hausaufgaben, und ich glaube, die meisten haben diese jeweils zuhause erledigt. Mit unserem Athletiktrainer habe ich vor kurzem die Statistiken von vor der EM mit den Werten von jetzt verglichen, und ich kann schon sagen, dass die Spielerinnen ein paar Kilometer mehr gelaufen sind. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg dafür, dass wir fit sind, wenn es losgeht.
In den sechs Spielen mit Ihnen als Coach hat die Schweiz noch nie gewonnen. Drei Partien endeten 0:0. Sie gehörten als Spielerin zu den besten Stürmerinnen der Welt. Wie kann das Problem mit dem Toreschiessen angegangen werden?
Grundsätzlich, indem wir es im Training immer wieder forcieren, immer wieder aufs Tor gehen. Ich kann den Spielerinnen noch so viel zureden, dass sie ganz toll sind, dass sie probieren sollen, dass sie mutig sein sollen. Aber letztlich geht es nur übers Training. Immer wieder aufs Tor schiessen mit einem guten Gefühl.
Das klingt einfach.
Toreschiessen hat viel mit Instinkt zu tun. Entweder man hat ihn, oder man hat ihn nicht. Wenn ich mir Alisha Lehmann angucke, wenn sie vor dem Tor ist, hat sie fast 100 Prozent Trefferquote. Solche Situationen müssen wir einfach immer wieder forcieren und die Spielerinnen in Position bringen. Ich kann ihnen keinen Kuchen backen mit einem speziellen Rezept, und dann läufts. Sondern solche Dinge müssen sie sich erarbeiten.
Captain Lia Wälti hat seit ihrer Knöchelverletzung, die sie sich im Mai mit Arsenal zugezogen hat, nicht mehr gespielt. Wie steht es um sie?
Lia ist und bleibt eine extrem wichtige Spielerin für uns. Sie ist eine tolle Führungsspielerin, vor allem auch auf dem Platz. Ich freue mich, wenn sie wieder an Bord ist, weil sie einfach eine super Fussballerin ist und uns natürlich als Team weiterhelfen wird. Ich glaube, sie war innerlich ein bisschen erleichtert, als sie eine Woche nach dem Foul die Diagnose bekam, dass wenn alles gut geht, es bis zur WM reicht. Aber sie hat auch in ihrem Klub extrem viel gearbeitet, damit sie so weit ist, wie sie jetzt ist.
In anderen Ländern wie Deutschland gab es lange Diskussionen über die TV-Rechte für dieses WM-Turnier, und es drohte phasenweise, dass die Spiele gar nicht zu sehen sein würden. Was sagt das über den Frauenfussball aus?
Ich empfand natürlich in erster Linie stolz, dass wir hier in der Schweiz alles zeigen. Das ist grossartig. Ich habe die Diskussionen nicht im Detail verfolgt. Man muss aber bereit sein zu diskutieren oder auch mal mehr zu investieren. Dementsprechend finde ich, jede Diskussion, die öffentlich getätigt wird, hat immer etwas mit Aufmerksamkeit zu tun, was ja grundsätzlich mal nicht verkehrt ist. Dass man an den Tisch geht und sagt, damit sind wir nicht einverstanden, ihr müsst jetzt mal ein bisschen mehr liefern, das gehört einfach im Business dazu. Wichtig ist, dass man irgendwann zusammenfindet. Und so kam es ja. Es wird gezeigt, alle sind glücklich.
Bei den Männern scheinen Diskussionen über einen Blackout des WM-Turniers in Deutschland undenkbar. Frauen müssen auch hier mehr für ihre Rechte kämpfen.
Ja, anscheinend müssen wir Frauen das leider tun in ganz vielen Bereichen. Was nicht schön ist, weil es einfach immer wieder mit viel Arbeit verbunden ist, aber irgendwann wollen wir mehr erwarten können. Ich finde es gut, dass man sich inzwischen an den Tisch setzen und diskutieren kann. Es braucht Frauen, die mutig sind und sich nicht einfach hinten anstellen, sondern hinstehen, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte.
Ein potenzieller Streitpunkt sind die WM-Prämien. Es ist unklar, ob der Schweizerische Fussballverband zusätzliche Prämien zu denjenigen der FIFA an die Spielerinnen ausschütten wird.
Damit habe ich nichts zu tun, aber meines Wissens verliefen die Sitzungen bis anhin recht positiv. Ich erlebe den Verband als sehr offen und weiss, dass man auf einen gemeinsamen Nenner kommen wird. Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen.
(kat/sda)