Was war das für eine Leidenszeit für all die Nörgler und Jammeris rund um die Schweizer Nationalmannschaft. Seit dem WM-Out gegen Schweden sind schliesslich fast neun Monate vergangen. Seither überzeugte die Nati in der Nations League, holte mit einem fulminanten 5:2-Triumph gegen Belgien den Gruppensieg und darf im Sommer ans Finalturnier nach Portugal.
Gestern in Basel, als die Schweiz nach 93 Minuten tatsächlich noch das 3:3 einfing und das Spiel kurz darauf zu Ende ging, da sind sie alle wieder bereit. Nicht nur die pfeifenden Nati-Fans im (schlecht gefüllten) Stadion sind unzufrieden, auch die Medien hauen munter drauf. Und bestimmt wirst du heute beim allmorgendlichen Smalltalk an der Kaffeemaschine etwas ähnliches hören wie:
«Die Nati gestern, so peinlich. Wieder mal typisch.»
«Wie kann man nur ein 3:0 in 10 Minuten verspielen? Was für eine Blamage.»
«Jetzt ist aber genug. Petkovic muss endlich gehen.»
Viele Schweizer Nati-Fans müssen Masochisten sein. Irgendwo tief drin mögen sie schmerzvolle Erfahrungen, schlechte Leistungen und Niederlagen. Denn dann sind sie in ihrem Element: Sie können mötzeln. Am Stammtisch, im Büro oder der Schule kann dann wieder über Petkovic, Xhaka und wie sie alle heissen geschimpft werden.
«Xhaka? Aber der war doch so gut?»
Tatsächlich ist Granit Xhaka für einmal vom Kritik-Rundumschlag verschont. Weil ihn Petkovic beim Stand von 3:0 nach 76 Minuten vom Feld nimmt. «Überheblich und deplatziert», schreibt der «Blick» dazu und schiebt die Schuld diesmal direkt zum Nati-Coach.
«Wie kann es ein Trainer nur wagen, seinen wichtigsten Spieler kurz vor Schluss auszuwechseln?»
Plötzlich ist er eben doch noch ziemlich gut, dieser Granit Xhaka. Er, der oft als Sündenbock für Misserfolge herhalten muss. Der Johann Vogel 2.0, der ja sowieso nur Querpässe spielt. Die Wichtigkeit eines Xhakas – und dafür zahle ich gerne einen Batzen ins Phrasenschwein – spürt man halt erst, wenn er mal nicht auf dem Platz steht.
Von Vladimir Petkovic wird (zurecht) gefordert, laufend junge Spieler in unsere Nati zu integrieren. Aber wenn sie dann spielen, haben viele allen Ernstes das Gefühl, es gibt keine Rückschläge. Hand aufs Herz, wer hat nicht Kevin Mbabu als Rechtsverteidiger gefordert? Lichtsteiner ist doch alt und steht nur den Jungen im Weg? Tatsache ist, ohne den groben Stellungsfehler von Mbabu beim 2:3 kommt Dänemark nicht ran und die Schweiz schaukelt das Ding nach Hause.
Und dennoch war es absolut richtig, Mbabu spielen zu lassen, seine Qualitäten sind unbestritten. Aber ein Mbabu ist halt noch unerfahren. Und unerfahrene Spieler machen mehr (taktische) Fehler. Das dürfen sie auch. Lebt damit. Und erfreut euch daran, dass der YB-Spieler noch grossartige Partien für unsere Nati zeigen wird.
Auch Djibril Sow ist ein grossartiger Fussballer. Aber er kann einen Granit Xhaka nicht ersetzten. Nein, nicht mal für 15 Minuten. Zumindest dann nicht, wenn neben ihm mit Remo Freuler und Denis Zakaria zwei weitere unerfahrene Spieler neben ihm stehen. Petkovic hat sich diesbezüglich verzockt und seinem zentralen Mittelfeld zu viel zugetraut. Na und?
Die Schweiz wird sich, wenn nicht alles schief läuft, für die EM qualifizieren, keine Angst. Es ist ja nicht so, dass sich nur der Gruppenerste qualifiziert – wäre dies der Fall, Petkovic hätte wohl die Auswechslung von Xhaka nicht gewagt, nicht mal bei diesem 3:0 kurz vor Schluss.
Doch durch den neuen Modus hat die Schweiz viel Spielraum für Fehler, denn auch eine nicht perfekte Qualifikation wird reichen. Fehler, die Petkovic und seine Spieler lieber jetzt machen, als wenn es im Nations-League-Finalturnier in diesem Sommer und an der EM 2020 wirklich um etwas geht.
Unter dem Strich ist ein 3:3 gegen Dänemark, auch wenn es sich natürlich wie eine Niederlage anfühlt, gar nicht mal so schlecht. Dabei sollte man nicht vergessen, dass es Dänemark an der letzten WM ebenfalls bis ins Achtelfinale schaffte und dort gegen den späteren Vize-Weltmeister Kroatien erst im Elfmeterschiessen scheiterte.
Die letzte Pflichtspielniederlage (das Penalty-Out ausgenommen) gab es für Dänemark am 11. Oktober 2016. Hatten da echt alle das Gefühl, das Spiel gegen den mit Abstand stärksten Gruppengegner wird ein Selbstläufer?
In der Schlussphase sank das Durchschnittsalter der Schweizer Nati auf unter 25 Jahre. Der älteste Feldspieler war der 28-jährige Admir Mehmedi. Klar, die Schweiz darf unter keinen Umständen ein 3:0 aus der Hand geben. Egal gegen welchen Gegner, egal welche Spieler auf dem Feld stehen. Das wissen die Mannschaft und vor allem Petkovic selbst am besten. Und doch kann es passieren. Akzeptiert, dass sowas auch mal schief gehen kann. Und sonst: Heult doch.
Solche Aussagen gewöhnen einen den Sport ab
Klar, beim 3:3 war ich auch geschockt und in 9 Minuten 3 Tore fangen, ist schon heftig, aber aus solchen Sachen lernt man auch.
Ausserdem spricht eh keiner mehr über das Spiel wenn man gegen Portugal gewinnt :)