Der Bundesrat hat (mindestens) bis zum 15. März Spiele mit Zuschauern verboten. Im Eishockey und im Fussball kann nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit («Geisterspiele») gespielt werden. Die Klubs, die heute Hockeyfirmen in Form von Aktiengesellschaften sind, erwirtschaften mindestens 30 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ticket-Verkauf und erleiden Millionenverluste. Wegen einer Anordnung der staatlichen, kantonalen oder kommunalen Behörden.
Wäre es da nicht logisch, wenn diese Verluste durch Zahlungen aus der Staatskasse gemildert werden? Ist es denn nicht so, dass die UBS in der Finanzkrise mit Steuergeldern gerettet worden ist? Und wird nicht der ohnehin hoch subventionierten Agrarindustrie in Krisenfällen mit Steuergeldern unter die Arme gegriffen?
Wäre es also nicht folgerichtig, dass die systemrelevanten Hockey- und Fussballfirmen der höchsten Ligen mit gut und gerne 1000 Arbeitsplätzen und hoher sozialer und kultureller Bedeutung im Krisenfall durch den Staat alimentiert werden?
Rein rechtlich sind die Behörden nicht dazu verpflichtet, die finanziellen Folgen ihrer Anordnungen im Falle von höherer Gewalt (wie bei der Corona-Krise) auszugleichen. Gibt es doch Zuwendungen aus der Steuerkasse, so ist es eine freiwillige politische Entscheidung ohne Präjudiz (= nicht richtungsweisend).
Nur wer politische Entscheidungen zu beeinflussen vermag, wer es versteht, Politik zu machen, darf auf Subventionen, auf staatliche Rettungsgelder hoffen. Aber in diesen Tagen zeigt sich wieder einmal die politische Ohnmacht des Sportes. Sie geht auf Versäumnisse zurück, die hundert Jahre alt sind.
Es ist nicht so, dass der Staat den Sport nicht unterstützt. Aber es gibt ein einfaches und sinnvolles Prinzip: Geld für die sportliche Infrastruktur und Jugendförderung. Kein Geld, keine Betriebszuschüsse für den Profisport (Fussball, Hockey). Der Bau von Stadien wird mit Bundesbeiträgen, Zuschüssen aus den kantonalen Lotteriefonds und Beteiligungen der Gemeinden mitfinanziert. Der Bund alimentiert die Eidgenössische Hochschule für Sport in Magglingen und fördert über das Programm «Jugend und Sport» die Trainerausbildung für Nachwuchssport. Die Armee ermöglicht einen spitzensportgerechten Militärdienst und hilft bei Grossanlässen wie dem Eidgenössischen Schwingfest. Wettkämpfe mit internationaler Ausstrahlung (WM, EM) bekommen ebenfalls öffentliche Gelder.
Aber es gibt kein Geld, um die Verluste aus dem Spielbetrieb von Hockey- oder Fussballfirmen auszugleichen. Oder Steuerbefreiungen und Subventionen, um die Ertragslage zu verbessern wie etwa in der Agrarindustrie oder im Tourismus. Der Grund ist einfach: Der Sport hat es versäumt, eine politische Lobby aufzubauen wie beispielsweise die Bauern.
In der zweiten Hälfte der 1800er Jahre erfasst eine schwere Krise die Landwirtschaft auch in der Schweiz. Die Bauern organisieren sich zwar in Interessenverbänden wie Genossenschaften. Aber bewusst wird darauf verzichtet, als politische Partei zu wirken und auf politischem Weg die wirtschaftlichen Interessen wahrzunehmen. Während und nach dem 1. Weltkrieg gibt es wegen der hohen Lebensmittelpreise auch Spannungen zwischen Bauern und Konsumenten (Arbeitern) und verunmöglichen erst recht ein gemeinsames Vorgehen.
Die politischen Interessen der Landwirtschaft vertritt bis zum Ende der 1910er Jahre der Freisinn. Er erhebt den Anspruch, eine umfassende Volkspartei zu sein, also auch die der Bauern. Aber mehr und mehr zeigt sich, dass die Bauern vom Freisinn keine nennenswerte Unterstützung bekommen. Alles ändert sich durch eine Revolution im Bernbiet. Am 24. November 1917 fordert ein charismatischer junger Bauer in einer grossen Rede im «Bierhübeli» zu Bern die Gründung einer Bauernpartei. Also die Politisierung der Bauern. So entsteht die «Bauern-, Gewerbe und Bürgerpartei» (BGB).
Ein politischer «Urknall», den es so vorher und seither nie mehr gegeben hat. Bereits Ende 1929 zieht dieser junge Bauer – Rudolf Minger – bloss 12 Jahre nach seiner zündenden Rede für die BGB in den Bundesrat ein. 1971 wird aus der BGB die SVP, heute die wählerstärkste Partei im Land.
So sind die Bauern zu enormem Einfluss auf unsere Politik gekommen. Und dieser Einfluss ist auch nach der schwindenden Bedeutung für die Landesversorgung geblieben. Aus dem Mythos, für die Landesverteidigung und -Versorgung unerlässlich und in allen Krisen staatstragend und staatstreu zu sein, schöpfen der Bauernstand und die ihm angeschlossenen, hochprofitablen Handelsunternehmen immer noch enorme politische Kraft.
Selbst die Wirtschaftsvertreter in der SVP wagen es nicht, gegen die Agrarindustrie zu politisieren. Niemand versteht es so gut, die Staatskasse zu melken wie die Bauern. Die Subventionierung der Landwirtschaft übersteigt inzwischen längst deren Bedeutung für die Volkswirtschaft. Wer sagt, wenn eine Kuh erkältet sei, huste es in der Bundeskasse, ist zwar ein Schelm. Aber ein wenig stimmt es schon.
Und hier kommen wir zum Sport: Die Finanzwelt setzt ihre Interessen in der Politik über «ihre» Partei (FDP) durch, die Proletarier, Lehrer und Advokaten über «ihre» SP und die Bauern sind dank der SVP politisch mächtig. Der Sport aber hat keine politische Partei. Bloss ein paar politisch ohnmächtige Interessengruppen.
Was einigermassen erstaunlich ist. Zeigen doch gerade die höchsten Ligen im Eishockey und Fussball Wochenende für Wochenende ihre «Mobilisierungskraft». Wenn alle Hockey- und Fussballfans zusammenstehen, wenn in einer «Sport-Partei» («SPOP») alle Interessen gebündelt würden, wie es damals die Bauern mit der BGB taten, dann müsste doch eine politische Kraft entstehen, die es vermag, in Zeiten der Krise Subventionen in zweistelliger Millionenhöhe für die notleidenden Fussball- und Hockeyfirmen zu erstreiten.
Aber den Sport, wie wir ihn heute kennen, gab es noch nicht, als die politische Urlandschaft nach der Gründung des Bundesstaates Schweiz (1848) geformt wurde. Bis weit in die 1980er Jahre hinein betrieben Klubs nach Vereinsrecht das «Big Business» unseres Fussballs und Eishockeys. Mehr noch: Der Sport liess schon immer und lässt bis heute die Finger bewusst von der Politik. Fussball und Hockey sind um strikte politische Neutralität bemüht. Dieses politische «Eunuchentum» ist sogar in den Statuten und Reglementen der meisten Klubs und Verbände festgeschrieben.
Die Gründung einer «Sport-Partei» ist und bleibt völlig utopisch. Interessensverbände ja, Mitgestaltung der politischen Landschaft nein. Ohnehin ist es gar nicht möglich in einer Branche, die so hoch kompetitiv ist, eine Organisation zu gründen, hinter der alle stehen. Dies gelingt nicht einmal den paar Organisatoren der jährlich wiederkehrenden sportlichen Grossanlässe in der Schweiz.
Nun ist der Einwand berechtigt, dass doch auch die Kultur für das Funktionieren unseres Landes nicht «systemrelevant» ist und doch vom Staat alimentiert wird. Bund, Kanton und Gemeinden halten hochdefizitäre Opernhäuser und Theaterbetriebe künstlich am Leben, die sich in der freien Marktwirtschaft nicht einen Monat finanzieren könnten. Auch die helvetische Filmindustrie hängt am Tropf der staatlichen Subventionen.
Die Kultur ist eben «elitär». Will heissen: Die Elite, die politisch Mächtigen halten Opernhäuser und Theater für wichtig und sorgen dafür, dass Steuergelder fliessen. Profifussball und Profihockey ist für den überwiegenden Teil der politischen Elite in der Schweiz eine Sache der Proletarier. Zu viel Schweiss, zu wenig Kaviar. Also auch von dieser Seite keine Unterstützung für die notleidenden Fussball- und Hockeyclubs.
So kommt es, dass heute zwar Bundesräte gerne erfolgreiche Sportler ins Bundeshaus einladen oder sich als Gratulanten bei der Fussball- und Hockey-Nationalmannschaft zeigen oder sogar beim Spengler Cup Präsenz markieren. Bundesrat Hans-Rudolf Merz hat sich zwar in Herisau für den lokalen Eishockeyclub engagiert und sogar bei der Organisation von Junioren-Weltmeisterschaften mitgewirkt. Adolf Ogi verdankt seinen Aufstieg bis in den Bundesrat zu einem schönen Teil seiner erfolgreichen Tätigkeit als «Skigeneral» (er war 1972 einer der Macher der «goldenen Tage von Sapporo») – aber weder aus Hans-Rudolf Merz noch aus Adolf Ogi ist ein «Rudolf Minger des Sportes» geworden.
Und nun wissen wir, warum die Hockeyfirmen (die Klubs) der höchsten Ligen im Fussball und im Eishockey keine Chance auf Bundessubventionen zur Linderung der finanziellen Not in Zeiten der Viren haben.
Der Schweizer Sport hat die Chance, eine politisch einflussreiche Kraft zu werden und die Staatskassen zu melken, schon vor 100 Jahren verpasst. Aber eben: Da hat es ihn ja in der heutigen Form noch gar nicht gegeben.