Der Schach-Skandal um Hans Niemann sorgt auch eine Woche später noch für Diskussionen. Der 19-Jährige hatte in der dritten Runde des Sinquefield Cup in St.Louis (USA) überraschend den Schach-Dominator und Weltmeister Magnus Carlsen bezwungen. Carlsen zog sich daraufhin vom Turnier zurück und machte eine kryptische Andeutung, wonach er glaube, dass nicht alles mit rechten Dingen zu und hergegangen sei.
Seither diskutiert die Schachwelt darüber, ob Niemann tatsächlich geschummelt hat. Der junge Amerikaner bestreitet dies und auch die Turnier-Organisatoren sagen, man habe keine Hinweise auf irgendeine Form von Betrug gefunden. Die Lieblingstheorie der Leute, die an Niemanns Schuld glauben: Der 19-Jährige soll über vibrierende Analperlen Signale empfangen, die ihm den besten nächsten Zug mitgeteilt haben. Niemann sagte dazu: «Ich kann mich das nächste Mal auch komplett nackt ausziehen. Ich bin sauber.»
Es erinnert ein wenig an den Fall von Anna Rudolf. Der Ungarin wurde 2008 nach dem Sieg über einen höher klassierten Gegner vorgeworfen, Signale von einem Schachcomputer mit ihrem Lippenstift empfangen zu haben. Wie im Fall von Niemann gab es gegen Rudolf nie irgendwelche Beweise. Die heutige Twitch-Streamerin zeigte Jahre später auf, dass ihre damaligen Züge überhaupt nicht den Best-Case-Vorschlägen eines Schachcomputers entsprachen.
Dennoch wird im Sport natürlich immer wieder betrogen – und manchmal geht die Kreativität der Athletinnen und Athleten auch über «gewöhnliches Doping» hinaus. Hier sind zwölf kuriose und teilweise auch tragische Schummeleien aus der Welt des Sports, die später aufgeflogen sind.
Wir bleiben vorerst noch beim Schach. Im Jahr 1769 hatte der ungarische Adelige und Erfinder Baron Wolfgang von Kempelen für die österreichische Königin Maria Theresia einen Schachautomaten (heute «Schachtürke» genannt) gebaut. Das Gerät – so machte es zumindest den Eindruck – spielte selbstständig Schach. Von Kempelen erlangte dadurch europaweite Bekanntheit und tourte mit seiner Maschine durch diverse europäischen Städte, wo er seine Erfindung gegen hochrangige Schachspieler antreten liess.
Erst mehr als hundert Jahre später, nachdem die Maschine an diverse Leute vererbt wurde, verriet sein damaliger Besitzer das Geheimnis: In der Maschine konnte sich ein menschlicher Schachspieler verstecken, der sie bediente.
Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles trat die Puerto-Ricanerin Madeline de Jesus sowohl im Weitsprung als auch in der 4x400m-Staffel an. Doch nachdem sie sich im Weitsprung am Fuss verletzt hatte, stand die Staffel vor dem Aus. Madeline hatte eine Lösung: Sie liess ihre eineiige Zwillingsschwester Margaret im Vorlauf der Staffel antreten. Tatsächlich qualifizierte sich Puerto Rico für den Final. Doch in der Zwischenzeit fiel dem Staffeltrainer die Masche der De-Jesus-Schwestern auf, woraufhin er das gesamte Team aus dem Wettkampf zurückzog.
Der Ukrainer Borys Onyschtschenko war ein gefeierter Fünfkämpfer. An den Olympischen Spielen 1972 in München gewann er für die Sowjetunion die Silbermedaille im Einzel. Vier Jahre später in Montreal wollte er als Mitfavorit erneut Edelmetall holen – unter anderem auch im Team.
Doch beim Fecht-Einsatz gegen Grossbritannien landete Onyschtschenko immer wieder Treffer, die offensichtlich gar keine waren. Nach einer Beschwerde der Briten stellte sich heraus, dass der Degen Onyschtschenkos manipuliert war. Er konnte mit einem kleinen Knopf an der Waffe den Trefferstromkreis schliessen und so Treffer simulieren. Onyschtschenko wurde disqualifiziert und die Sowjetunion verlor das sicher geglaubte Mannschafts-Gold.
Michel Pollentier stürmt an der Tour de France zu einem prestigeträchtigen Solosieg und ins Maillot Jaune. Doch als der Belgier nach den 21 Kehren hinauf nach Alpe d'Huez versucht, die Dopingprobe zu sabotieren, wird er sofort nach Hause geschickt. Der Grund: Pollentier füllte fremden Urin in ein Kondom, versteckte dieses in der Achselhöhle und verband es mit einem Schlauch. So will er den Eindruck erwecken, zu pinkeln. Doch weil kurz zuvor auch der Franzose Antoine Gutierrez diese Masche versucht hat, schauen die Kontrolleure genauer hin. Später wird festgestellt, dass Pollentier sich mit Amphetaminen aufgeputscht hatte.
Golf ist ein Sport für Gentlemen? Offenbar nicht immer. 1985 sorgte der Schotte David Robertson am British Open für einen Skandal. Der damals 28-Jährige veränderte insbesondere in Green-Nähe immer wieder die Position des Balls und flog auf, weil die Turnier-Caddies dies den Organisatoren berichteten. So sagte Paul Connolly, damals Robertsons Caddy:
Robertson wurde nicht nur am British Open disqualifiziert, sondern erhielt vom europäischen Golfverband eine 20-jährige Sperre und eine Busse von 5000 Pfund. Das wären heute inflationsbereinigt etwa 13'700 Schweizer Franken.
Dichten Nebel bei einem Pferderennen machte sich Sylvester Carmouche zu Nutzen. Der Jockey trat 1990 in Louisiana auf Landing Officer an und war klarer Aussenseiter. Umso überraschender, dass Carmouche das Rennen mit 24 (!) Längen Vorsprung gewann und den Bahnrekord nur um 1,2 Sekunden verpasste. Es war aber nicht so, dass Landing Officer plötzlich einen höheren Gang gefunden hatte. Vielmehr hatte Carmouche das Pferd im dichten Nebel neben und über die Bahn gesteuert und das Rennen wieder aufgenommen, als er seine Konkurrenz von hinten kommen hörte. Carmouche wurde in der Folge für acht Jahre gesperrt.
1996 war das Internet noch kaum verbreitet, die Welt eine andere. So ist die Geschichte des Ali Dia zu erklären. Jemand, der sich als der grosse George Weah ausgab, rief bei Southamptons Trainer Graeme Souness an und empfahl seinen Cousin. 13 Länderspiele habe dieser Ali Dia absolviert und bei Paris St-Germain gespielt.
Alles erfunden, doch das wusste Souness damals noch nicht. Also wechselte er den Stürmer gegen Leeds wegen vieler Verletzter in der 32. Minute ein. Doch in der 85. Minute nahm Souness ihn wieder vom Feld, Dias Leistung war unterirdisch schlecht. «Er sah aus wie ‹Bambi on Ice›, es war richtig peinlich», erinnerte sich Matt Le Tissier, für den er auf den Platz kam. Es blieb Dias einziger Einsatz, danach wurde der Vertrag aufgelöst und er wurde zum Stammgast in jeder Hit-Liste der schlechtesten Transfers aller Zeiten. Erst zwei Jahrzehnte später erzählte Dia in einem lesenswerten Artikel seine Sicht der Dinge und sagte: «Ich habe ein reines Gewissen.»
Konstantinos Kenteris und Ekaterina Thanou sollten an den Olympischen (Heim-)Spielen von Athen 2004 für griechischen Jubel und Medaillen sorgen. Stattdessen gab es einen internationalen Skandal. Am Abend vor der Eröffnungsfeier sollten die beiden bei einer unangekündigten Doping-Kontrolle antraben, wurden jedoch im Vorfeld von einem griechischen Funktionär gewarnt.
Kenteris und Thanou flüchteten und tauchten nicht bei der Dopingkontrolle auf. Die erste Ausrede: Sie seien verhindert gewesen, weil sie «persönliche Sachen» hätten abholen müssen. Die zweite Ausrede: ein Motorradunfall. Die griechische Lügenmaschinerie lief an, die Athleten wurden ins Spital eingeliefert – angeblich mit Schleudertrauma und Beinverletzungen. Doch bald tauchten Ungereimtheiten in der Geschichte auf, die den Vorfall immer unglaubwürdiger erscheinen liessen. Am Ende suspendierte das griechische olympische Komitee seine beiden Stars. Nach einem jahrelangen Prozess wurden Kenteris und Thanou gar zu Gefängnisstrafen auf Bewährung verurteilt.
Wir drehen das Rad der Zeit zurück bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Bei den Olympischen Spielen von 1904 in St.Louis trat Fred Lorz im Marathon an. Er beendete das Rennen in 3 Stunden und 13 Minuten – weit vor der restlichen Konkurrenz. Lorz hatte schon seine Goldmedaille in Empfang genommen, da wurde bekannt: Der US-Amerikaner hat beschissen und rund 17 Kilometer der Rennstrecke per Anhalter im Auto zurückgelegt.
So ging der Olympiasieg am Ende an Landsmann Thomas Hicks, der der Legende nach in der aussergewöhnlichen Hitze von seinen Trainern regelmässig mit Brandy versorgt wurde.
1968 nahm der Segler Donald Crowhurst am Golden Globe Yachtrennen um die Welt teil – ohne grosse Segelerfahrung und mit einem schlecht gebauten Boot. Doch dann die Sensation: Plötzlich gab der Engländer Positionen durch, die ihn mitten in der Spitze des Rennens erscheinen liessen. Einmal gab er sogar an, in einem Tag 391 Kilometer zurückgelegt zu haben.
Dem war aber nicht so. In Tat und Wahrheit hatte Crowhurst an der Küste Südamerikas angelegt und gewartet, bis die Konkurrenz wieder dort vorbeikam und sich so auf den zweiten Platz vorgeschlichen. Doch als ein Konkurrent beim verzweifelten Versuch zu Crowhurst aufzuschliessen sank, überkam den damals 36-Jährigen das schlechte Gewissen. Er gab seinen Betrug in den Logbüchern zu, sprang über Bord und wurde nie mehr gesehen.
Joe Niekro war Baseball-Pitcher für die Minnesota Twins in der Major League Baseball (MLB). Erst gerade nach Minnesota gewechselt, sorgte er 1987 für einen Skandal. Im vierten Inning eines Meisterschaftsspiels gegen die California Angels wurde er von den Unparteiischen gefilzt, weil sie bei seinen Bällen einen komischen Drall festgestellt haben wollten. Und tatsächlich fanden sie in Niekros Taschen eine Feile und Schleifpapier im Gras, die der Spieler in seiner Panik wegzuwerfen versuchte. Der US-Amerikaner bearbeitete damit die Oberfläche der Bälle, damit sie eine unübliche Flugbahn annahmen. Niekro erhielt eine Sperre von zehn Spielen.
Bei den Paralympischen Sommerspielen in Sydney im Jahr 2000 gewann Spanien überraschend Gold in der Kategorie Basketball mit mentalen Beeinträchtigungen. Die spanische Mannschaft schlug im Final die Konkurrenz aus Russland, musste die Medaille aber wenig später abgeben. Der Grund: Beim Team hatten zehn von zwölf Spielern keine Beeinträchtigung.
Der spanische Journalist Carlos Ribagorda hatte sich undercover ins Team geschmuggelt und enthüllte diesen Umstand direkt nach dem Endspiel. Neben den Basketballern hatten die Spanier in diesem Jahr auch bei Athleten im Tischtennis, Schwimmen und in der Leichtathletik Beeinträchtigungen vorgetäuscht. Der Präsident des spanischen paralympischen Verbands wies die Anschuldigungen zuerst zurück, nur um sie wenig später zuzugeben und zurückzutreten.
Da soll nochmal einer sagen, Schach sei kein Erlebnissport...