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Töff: Die erstaunliche Geschichte des «Desperados» Dominique Aegerter

epa08617941 Swiss Moto2 rider Dominique Aegerter of NTS RW Racing GP in action during third free practice session of the Motorcycling Grand Prix of Styria at the Red Bull Ring in Spielberg, Austria, 2 ...
Vergangene Saison hockte Aegerter noch teilweise auf einem Moto2-Töff.Bild: keystone

Die erstaunliche Geschichte des erfolgreichen «Desperados» Dominique Aegerter

Dominique Aegerter hat seinen Platz im GP-Zirkus verloren – aber nicht seinen Status als Töffstar. Nun kann er sogar erstmals Weltmeister werden.
15.10.2021, 15:53
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Wer seinen Platz im Grand-Prix-Zirkus verliert, geht vergessen. Weil er auch die TV-Präsenz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und damit die meisten Fans und Sponsoren verliert. TV-Übertragungen im staatstragenden Fernsehen und mediale Beachtung gibt es im Töff-Business nur im GP-Zirkus (MotoGP, Moto2, Moto3). So ist es seit Anbeginn der Zeiten.

Aber ein Schweizer trotzt diesem Trend: Dominique Aegerter. Im Herbst 2019 verliert er nach zehn Jahren seinen Platz in der Moto2-WM. Um zu bleiben, hätte der 31-Jährige viel Geld bringen müssen: «Ich war es leid, Geld zu bezahlen um arbeiten zu dürfen.» Eine Arbeit, bei der er auch noch seine Gesundheit riskiere.

Kein Geld verdient, nur ausgegeben

Für die Saison 2018 habe er für einen Platz im deutschen Kiefer-Team 600'000 Franken bezahlt. «Wir haben uns da sogar um die gesamte Teamorganisation gekümmert», sagt Aegerter. Auch für seine letzte Moto2-WM 2019 bei MV Agusta blätterte er gut 300'000 Franken hin. Das Geld brachten seine Sponsoren auf und er verdiente praktisch nichts mehr. In seinen besten Jahren zwischen 2013 und 2016 hatte er Ende Saison eine halbe Million Franken auf dem Konto.

Die Vertreibung aus dem Fahrerlager haben bisher alle Schweizer mit dem Ende der öffentlichen Wahrnehmung bezahlt. Dass Randy Krummenacher (er schied Ende 2015 aus dem GP-Zirkus aus) 2019 Supersport-Weltmeister geworden ist, wissen nur Insider. Ob Dominique Aegerter in den nächsten beiden Rennen am Samstag und am Sonntag in Argentinien Supersport-Weltmeister wird, können wir hingegen auf den Kanälen des staatstragenden Fernsehens SRF ab 18.30 Uhr verfolgen. Wie ist das möglich?

Zuerst einmal die Frage: Was ist die Supersport-WM? Es ist die 5. Liga des Welttöffsportes. Ganz oben steht die Klasse MotoGP, dann folgen die Moto2- und die Moto3-WM. Darunter finden wir als höchstes Niveau ausserhalb des GP-Fahrerlagers die Titelkämpfe mit seriennahen Höllenmaschinen: die Superbike-WM und die Supersport-WM. Dort ist Dominique Aegerter diese Saison gelandet.

Höllenmaschine ist Höllenmaschine

Dass das SRF und damit die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt, hat einen Grund: Aegerter ist nicht nur ein talentierter, mutiger Rennfahrer. Er ist auch ein geschickter Vermarkter seiner selbst. Seit Jahren nützt er die modernen Kommunikationskanäle (Facebook, Instagramm, Twitter), um seine Fangemeinde über alles auf dem Laufenden zu halten und mahnt ein wenig an einen Influencer.

Als Töff-Influencer weiss Aegerter, dass er nicht nur Bilder von sich im Rennkombi posten sollte.

Er ist glaubwürdig, weil er so ist, wie er sich gibt: ein charismatischer, unkomplizierter, nie arroganter Rock'n'Roller und Abenteurer, der einen der gefährlichsten Berufe der Welt als Abenteuer zelebriert. Er hat erkannt: Höllenmaschine ist Höllenmaschine, Gefahr ist Gefahr. Egal ob im GP-Zirkus oder in der Supersport-Szene. Wichtig ist, dass die Botschaft unter die Leute kommt. Die emsige Selbstvermarktung hat ihn in der Vergangenheit zwar viel Energie gekostet und ihn während seiner GP-Karriere oft in der Konzentration gestört. Aber nun zahlt sich sein Bekanntheitsgrad aus.

Der WM-Titel winkt

Dominique Aegerter hat beispielsweise auf Twitter fast genau gleich viele Follower (20'000) wie Tom Lüthi (21'000). Und nun überträgt SRF die vier letzten Rennen live. Aegerter und seine Sponsoren bekommen so eine bessere TV-Präsenz als Lüthi, der als «Hinterbänkler» bei den Übertragungen der Moto2-Rennen kaum noch ins Bild kommt.

Tom Lüthi und Dominique Aegerter: die beiden bekanntesten Schweizer Töffrennfahrer der letzten Jahre.

Die Ausgangslage ist übrigens einfach: Dominique Aegerter hat 54 Punkte Vorsprung im Gesamtklassement. Kommt er in den zwei Rennen am Samstag und Sonntag in Argentinien vor dem Südafrikaner Steven Odendaal (28) ins Ziel, ist er in jedem Fall Weltmeister. Schafft er es nicht, wird er sich in den letzten zwei Rennen am 20. und 21. November in Indonesien durchsetzen. Der «Desperado», der nach dem Ausschluss aus der GP-Szene als «Hoffnungsloser» nichts mehr zu verlieren hatte, kann erstmals Weltmeister werden.

Die letzte Stufe vor dem Fahrrad

Aegerter hilft auch die Präsenz in der «Batterie-WM». Offiziell hat diese Klasse bloss den Status «Weltcup» und das Prestige ist nullkommanull. Hier fährt nur noch, wer keine anderen Möglichkeiten mehr hat. Die letzte Stufe vor dem Fahrrad.

Aber die Rennen sind Teil des GP-Rahmenprogramms mit TV-Präsenz. Also hat der Rohrbacher bereits die zweite Saison bestritten und soeben den Titel so spektakulär im letzten Rennen durch einen Jury-Fehlentscheid verloren (wegen forschem Fahrstil die Rückversetzung vom 1. auf den 12. Platz), dass auch daraus ordentliche Medienpräsenz geworden ist.

Tom Lüthi (35) tritt Ende Saison zurück und wird Teammanager in der Moto3-WM. Dominique Aegerter wird auch nächste Saison die Supersport-WM bestreiten. Als Supersport-Star verdient er inzwischen wieder ordentlich Geld. Wird er Weltmeister, so wird er erstmals seit 2016 Ende Saison wieder eine sechsstellige Summe beiseitelegen können.

Zukunft in der Superbike-WM

Die Verträge für die nächste Saison beim aktuellen Yamaha-Rennteam (Ten Kate) liegen zur Unterschrift bereit. Sogar mit der Option, 2023 in die Superbike-WM aufzusteigen. Kevin Aegerter, der inzwischen seinen Bruder mit erstaunlichem Geschick und Schlauheit managt, sagt: «Wir sind uns bis auf ein paar Details einig. Ich gehe davon aus, dass wir bleiben.»

Dominique Aegerter hat zwar seinen Platz im GP-Zirkus verloren. Aber seinen Status als Töffstar hat er bewahrt. Ja, nächste Saison wird er gar unumstritten die Nummer 1 in der Schweiz sein. Seine Karriere ist noch lange nicht zu Ende. Und er steht als Beispiel dafür, wie wichtig neben guten sportlichen Leistungen eben auch die Eigenvermarktung sein kann.

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5 Kommentare
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Lai Nair
15.10.2021 16:33registriert Dezember 2016
einer der es wirklich kann und ihm zuzusehen ist eine wahre Freude. Immer am Limit fahrend und trotzdem hat man das Gefühl, er könnte noch ein Scheit nachlegen. Seine Kommunikation ist einmalig, das geht auch aus seinen Newslettern hervor, welche an jedem Rennwochenende stets über seine Streckenbeurteilung, die Konkurrenten und seine Gefühlslage mehrfach einen Update erfahren, hervor. Da könnten sich noch manche Sportler eine Scheibe davon abschneiden.
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