Es gibt im Fall von Dominique Aegerters Ausfall nach sieben Runden zwei Versionen. Eine für die arglosen Chronisten und die Wahrheit.
Die offizielle Erklärung geht so: Ein durchgescheuertes Kabel verursachte einen Zusammenbruch der Elektronik. Dominique Aegerter erzählt: «Auf einmal setzte bei Vollgas der Motor aus. Ich rollte neben die Piste, konnte den Motor wieder starten und fuhr an die Box zurück. Dort wechselten wir die Sicherungen und ich kehrte ins Rennen zurück. Aber der Motor setzte wieder aus und nun wechselten wir an der Box auch noch die Benzinpumpe. Doch auch das half nicht. Ich musste aufgeben.» Einfach Pech. Ein technischer Defekt, der passieren kann. Motorsport-Schicksal.
#GermanGP #Moto2 #race ended unlucky, forced to retire. #DA77 @kieferracing at @Sachsenring_de #Rollercoaster #Summerbreak now, just short pic.twitter.com/AwOYwlJ2TS
— Dominique Aegerter (@DAegerter) 2. Juli 2017
Aber neben dieser offiziellen Version gibt es auch die Wahrheit. Und die geht so: Nachdem Dominique Aegerter beim Hitze-GP von Barcelona wegen eines stark überhitzten Triebwerkes «geröstet» worden war, haben die Techniker von Töff-Hersteller Eskil Suter reagiert und für den Deutschland-GP neue Verschalungsteile geliefert. Auf dass die Kühlung nun besser funktionieren möge.
Wegen der kälteren Witterung gab es so oder so kein Problem mit der Kühlung. Aber das Kabel ist ganz offensichtlich wegen der neuen Verschalungsteile durchgescheuert worden. Kommen neue Teile, dann müssen die Kabel sozusagen neu verlegt werden. Stefan Kiefer mag diese Version nicht dementieren. «Ja, das ist möglich.»
Dominique Aegerter ist das Opfer von Basteleien geworden. Das ist der Preis, den er für sein Wohlbefinden zahlen muss. Er hat den Platz im hoch professionellen, mit reichlich finanziellen Mitteln ausgestatteten, aber für ihn seelenlosen Team an der Seite von Tom Lüthi nach zwei Jahren (2015, 2016) aufgegeben bzw. aufgeben müssen.
Nun bekommt er im Team von Stefan und Jochen Kiefer die Nestwärme und Anerkennung, die ihm wohltut und die der sensible Rock’n’Roller braucht. Aber die Gebrüder Kiefer haben nicht die Mittel für ausgiebige Tests wie die grossen Teams. Der Defekt hätte durch Testfahrten mit den neuen Teilen wahrscheinlich vermieden werden können.
Aber es ist nun mal, wie es ist. Alternativen gibt es für Dominique Aegerter kaum. Wenn Jochen und Stefan Kiefer ein tragbares Finanzierungskonzept für die nächste Saison vorlegen können, dann wird der Vertrag um ein Jahr verlängert.
Tom Lüthi hat seine Titelchancen durch einen Sturz in der 12. Runde erheblich reduziert. Ein «Nuller» wie im Vorjahr. Und doch gibt es einen grossen Unterschied zu 2016. «Mein Selbstvertrauen ist intakt. Wir waren auf Augenhöhe mit Morbidelli und ich konnte um den Sieg fahren.» Er habe den Rest des Rennens in der Box am TV-Schirm verfolgt.
Vor einem Jahr war der Emmentaler nach dem «Nuller» auf dem Sachsenring völlig verunsichert, haderte und zweifelte und dachte an einen Teamwechsel. Das ist jetzt kein Thema mehr.
Für Tom Lüthi ist es der erste «Nuller» der Saison. «Ganz vorne zu fahren bedeutet auch, ganz am Limit zu sein. Ich war kurz irritiert, weil die Schaltung schwerer ging, geriet ganz leicht von der Ideallinie ab und wegen einer kleinen Unebenheit rutschte das Vorderrad weg. Ich war nicht genug in Schräglage um die Maschine mit dem Knie auffangen zu können.»
I'm sorry for the crash today.
— Tom Lüthi (@ThomasLUTHI) 2. Juli 2017
More to come after the summer break. #germangp #round9 pic.twitter.com/p36rZaOamS
Bei Tom Lüthi gibt es nur eine Version. Weil es die richtige ist. Und die bestätigt ausgerechnet sein Rivale Dominique Aegerter. Er sitzt nach dem Rennen im Büro des Teamlasters und schaut sich am TV-Schirm ein Zusammenschnitt der besten Szenen des Rennens an. Tom Lüthi setzt gerade zu einem Überholmanöver an, um Franco Morbidelli vom ersten Platz zu verdrängen. Während die Bilder über den Bildschirm laufen, kommentiert er spontan: «Oh, er hat ein Problem beim Schalten – ops, das Vorderrad klappt weg ...»
Es gibt einen Trost. Vor einem Jahr hat Tom Lüthi den Sachsenring mit 58 Punkten Rückstand auf WM-Leader Johann Zarco verlassen. Im Laufe einer grandiosen zweiten Saisonhälfte holte er auf und verlor den Titel schliesslich erst im zweitletzten Rennen. Nun hat er «bloss» 34 Punkte Rückstand auf WM-Leader Franco Morbidelli. So gesehen ist er nach wie vor auf Titelkurs. Zumindest theoretisch.
Vor einem Jahr hatte Tom Lüthi den Sachsenring geknickt verlassen. Jetzt geht er kämpferisch und erhobenen Hauptes. «Wir werden weiterkämpfen. Wir haben gesehen, dass die Jungs im Team und ich gut genug sind, um auf dem Niveau von Morbidelli zu fahren.»
Nun beginnt die grosse Pause. Am 6. August geht es in Brünn weiter. Tom Lüthi fuhr gleich nach dem Rennen nach Prag und fliegt in die Ferien ans Rote Meer. In zwei Wochen testet er ausgiebig in Brünn. Dominique Aegerter bretterte mit dem Auto vom Sachsenring direkt für drei Tage Ferien nach Kroatien und fliegt am nächsten Sonntag nach Japan. Für die Tests vor dem Acht-Stunden-Rennen in Suzuka. Dort sind die besten Honda-Techniker vor Ort. Keine Bastelstunden.