Sie fliegt von New York nach Moskau. Und verschwindet. Wochenlang weiss niemand, was mit der Basketballerin Brittney Griner geschehen ist. Mit der wichtigsten und mit 203 Zentimetern auch körperlich mit Abstand grössten Basketballerin der USA. Mit dem Superstar der WNBA, der Women’s National Basketball Association, dem weiblichen Pendant zur NBA.
Brittney Griner ist 31, Tom-Cruise-Fan, verheiratet, Mutter von zwei Töchtern und reist nach Russland, um zu arbeiten. In den USA pausiert die Basketballsaison, seit 2014 jobbt sie neben ihrem Engagement beim Phoenix Mercury zusätzlich bei UGMK Jekaterinburg. Viele Spielerinnen der WNBA haben einen Zweitverdienst in Russland, wo Basketballspielerinnen wesentlich mehr als in den USA verdienen. Das Höchstsaisongehalt in der WNBA ist auf 228'000 Dollar festgesetzt. Die mit Griner vergleichbaren Kollegen in der NBA verdienen laut BBC mindestens 200 Mal mehr. Griner kommt mit Phoenix, Jekaterinenburg und Werbeverträgen auf 2 Millionen Dollar im Jahr.
2015 wurden Griner und ihre erste Gattin, ebenfalls eine WNBA-Spielerin, für mehrere Spiele gesperrt, weil sie sich gegenseitig verprügelt hatten. Griner musste wegen häuslicher Gewalt in Therapie. Im selben Jahr kamen die Zwillinge der beiden zur Welt, ein Jahr später liessen sie sich scheiden, seit 2019 ist Griner zum zweiten Mal verheiratet, jetzt mit einer Lehrerin.
Zwei Wochen lang fehlt jede Spur von Griner. Dann wird bekannt, dass sie am 17. Februar bei ihrer Einreise in Moskau am Flughafen verhaftet worden sei, weil angeblich cannabishaltige Ampullen für E-Zigaretten von einem Drogenspürhund in ihrem Gepäck entdeckt worden seien. Auf Drogenschmuggel stehen in Russland bis zu zehn Jahre.
In den zwei Wochen ihres Verschwindens hat Russland die Ukraine angegriffen. Griners Untersuchungshaft verwandelt sich in der Wahrnehmung der Amerikaner in eine Geiselhaft. Doch die Furcht, gerade jetzt allzu aggressiv auf Russland zu wirken, lähmt die amerikanischen Behörden.
Ihre Frau Cherelle Griner schreibt auf Instagram: «Wir lieben dich, Baby! Die Leute sagen: ‹Bleib beschäftigt.› Doch es gibt keine Aufgabe auf dieser Welt, die uns davon abhalten könnte, uns um dich zu sorgen. Mein Herz, unsere Herzen, setzen an jedem Tag, der vergeht, immer wieder für einen Schlag aus. Ich vermisse deine Stimme. Ich vermisse deine Anwesenheit. Du bist unser Mensch! Es gibt keine Worte, um diesen Schmerz auszudrücken. Es tut mir weh, es tut uns weh.»
Im April sagt Aussenminister Antony Blinken, es werde «alles unternommen», um Griner aus Russland herauszuholen, was laut Griners Gattin genau nichts ist. «Die Rhetorik zieht keine Handlungen nach sich», erklärt sie im Fernsehen. Elfmal habe Griner die amerikanische Botschaft in Moskau angerufen, elfmal habe dort niemand das Telefon abgenommen. Im Mai bezeichnet Blinken die Festnahme endlich als widerrechtlich.
Mitte Juni berichtet die russische Nachrichtenagentur TASS, dass Griner gegen einen in den USA inhaftierten russischen Waffenhändler eingetauscht werden solle. Das US-Aussenministerium will diese «Spekulation» nicht kommentieren. Griners Untersuchungshaft wird erst bis Anfang Juli, dann bis Ende Dezember verlängert. Sie gilt jetzt als Pfand, das im Falle weiterer Sanktionen der USA gegen Russland eingesetzt werden kann, ihr Fall ist eine Staatsaffäre.
We need to come together and help do whatever we possibly can to bring BG home quickly and safely!! 🙏🏾 Our voice as athletes is stronger together. @uninterrupted 👑 #WeAreBG pic.twitter.com/2GWV3Ff81p
— LeBron James (@KingJames) June 6, 2022
Am 1. Juli wird sie zum ersten Mal vor Gericht vernommen, am 4. Juli bestätigt das Weisse Haus den Erhalt eines handgeschriebenen Briefes von Griner. Sie schreibt: «Ich sitze hier in einem russischen Gefängnis, allein mit meinen Gedanken und ohne den Schutz meiner Frau, meiner Familie, meiner Freunde, meines olympischen Trikots oder sonstiger Errungenschaften, und ich habe Angst, dass ich für immer hier sein könnte.»
Und weiter: «Ich habe 2020 zum ersten Mal gewählt und ich habe für Sie gestimmt. Ich glaube an Sie. Ich habe noch so viel Gutes mit meiner Freiheit vor, die Sie wiederherstellen können. Ich vermisse meine Frau! Ich vermisse meine Familie! Ich vermisse mein Team! Es bringt mich um zu wissen, dass sie im Moment so sehr leiden müssen. Ich bin dankbar für alles, was Sie in diesem Moment tun können, um mich nach Hause zu bringen.»
Es wird erwartet, dass Griner auf schuldig plädiert, denn ohne Schuldeingeständnis gibt es kaum eine Chance, dass Russland sich überhaupt auf einen Freilassungs-Deal mit Amerika einlässt.
(sme)