Nach Wochen des Wartens ist der Transfer endlich vollbracht. Am Mittwochabend meldet die AC Milan: «Jetzt ist es offiziell, Ardon ist einer von uns!» 40 Millionen Euro überweisen die Italiener nach Brügge. Jashari erhält einen Fünfjahresvertrag. Der 23-Jährige Mittelfeldspieler wird in dieser Zeit zwölf Millionen Franken verdienen – mindestens. Gut möglich, dass sein Gehalt schon bald aufgebessert wird. Die neue Saison beginnt am 23. August mit einem Heimspiel im San Siro gegen Cremonese.
Milan wird die nächste Herausforderung in Jasharis noch junger Karriere. Die Prognose lautet: Er wird auch diese meistern. Weil Jashari ein Phänomen ist. Um zu diesem Schluss zu kommen, braucht es nicht viel. Vermutlich reicht es, Jashari ein paar Minuten zuzuschauen während eines Fussballspiels. Seine Ruhe. Seine Präsenz. Sein Wille, das Geschehen auf dem Rasen zu lenken. Das alles in einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit. Es sind Attribute, die selten sind. Und schwierig zu erlernen. Viel eher gilt: Entweder ein Fussballer hat diese Ausstrahlung – oder nicht.
Jashari ist der geborene Chef. Schon beim FC Luzern ist das so. Als Mario Frick Ende 2021 den Verein übernimmt, fällt ihm Jashari sofort auf. Schon nach dem ersten Training ist für ihn klar: Diesem Jungen gehört die Zukunft. Jashari wird rasch das Zentrum des Luzerner Spiels. Und es bleibt es bis im Sommer 2024.
Nach dem Wechsel zu Brügge muss sich Jashari einige Wochen durchbeissen, ehe er seine Chance bekommt. Wie er diese dann nutzt, ist beeindruckend. Schliesslich hat in Belgien niemand auf einen Schweizer gewartet. Ab Oktober ist Jashari Stammspieler. Bis Ende Januar verliert sein Team kein einziges Spiel mehr. Mehr noch: Ende der Spielzeit wird Jashari als Spieler der Saison ausgezeichnet. Obwohl Brügge «nur» Zweiter wird hinter Genk.
Und nun bei Milan? Geht die Erfolgsgeschichte einfach immer weiter? Eine Garantie gibt es – natürlich – nicht. Aber die Voraussetzungen könnten schlechter sein. Wichtig ist, dass die Mailänder eine grosse Summe für Jashari investiert haben. Womit er im Zweifel eher ein paar Chancen mehr erhält als ein Zuzug für wenig Geld.
Für Milan im Allgemeinen gilt: Viel schlechter kann es nicht mehr werden. Rang acht in der abgelaufenen Saison ist eigentlich unentschuldbar. Das bedeutet auch, dass Jashari ein Jahr ohne Europacup-Druck zum Eingewöhnen bekommt, sich voll auf die Serie A konzentrieren kann. Und dann ist da noch Luka Modric. Der Altmeister, in einem Monat wird er 40 Jahre alt, hat so viel erlebt und gewonnen wie kein anderer aktiver Spieler in Europas höchsten Ligen. Nun wechselte Modric nach 13 Jahren bei Real Madrid zu Milan und wird Jashari unter seine Fittiche nehmen.
Mit Jasharis Transfer erhält auch der FC Luzern noch einmal einen schönen Betrag. Rund sechs Millionen Franken bezahlt Brügge dem FCL. Nun erhält der FCL weitere geschätzte drei Millionen dank der Beteiligung am Weiterverkauf und Ausbildungsentschädigungen. Sportchef Remo Meyer sagt: «Als Ausbildungsklub erfüllen uns Entwicklungen wie jene von Ardon mit besonderem Stolz – wenn ein Spieler unseren Nachwuchs durchläuft, den Sprung in die 1. Mannschaft schafft und sich schliesslich über den letztjährigen Champions-League-Teilnehmer Club Brügge nun mit dem Wechsel zu einem Grossklub wie Milan auf höchster Ebene beweisen darf. Wie immer ist es so, dass wir konkrete Zahlen und/oder Beteiligungen nicht kommentieren – und dies auch nicht dürfen.»
Trotzdem: Es ist Geld, das der FCL gut gebrauchen kann – und nicht budgetiert hat. «Das ist wie Konfitüre aufs Brot», sagt Josef Bieri, FCL-Präsident ad interim. Im Gespräch schwärmt er auch rückblickend von Jashari. Beeindruckt hat ihn vor allem auch, wie klar Jashari seinen Weg geht, auch in schwierigen Situationen, stets sein Ziel im Fokus.
Noch ist in der Innerschweiz nicht ganz vergessen, dass sich Jashari einst den Transfer zum FC Basel ertrotzen wollte. Der FCL blieb hart, zeigte Jashari auf, dass er ihm den weiteren Weg ermöglichen will, aber nicht bei einem Schweizer Konkurrenten. Jashari sah seinen Fehler ein. Und gab, nachdem er vorübergehend als Captain abgesetzt wurde, fortan stets vollen Einsatz, ohne beleidigt zu sein.
Andreas Grüter ist ist Präsident des Vereins «FCL-Basis», welcher 10% der FCL-Aktien hält und über 1’600 Mitglieder zählt. Im Rahmen eines Talks war Jashari im April 2024 zu Gast. Grüter sagt: «Jashari hat nie davor zurückgeschreckt, gross zu träumen. Dieses Denken zeichnet ihn aus. Auch wenn das vielleicht nicht bei allen in der Schweiz gut ankommt.»
Obwohl Jashari erst 23 ist, hat er schon für viele aufsehenerregende Schlagzeilen gesorgt. An der WM 2022 lieh er nach dem Schweizer Sieg über Serbien Granit Xhaka sein Shirt für eine Botschaft zu Ehren des kosovarischen Freiheitskämpfers Adem Jashari. Dann der Wunsch-Transfer zum FCB. Dann verweigert er das Aufgebot für die U21-Nationalmannschaft. Und nun ist der Wechsel zu Milan nicht ohne Nebengeräusche vonstatten gegangen. Jasharis Weigerung, auf dem Brügge-Teamfoto für diese Saison zu posieren, kam in Belgien nicht gut an.
«Vermutlich werden noch einige Kapitel dazukommen in der Jashari-Story», sagt einer, der Jashari sehr gut kennt. Doch das ist nicht bös gemeint. Im Gegenteil. «Ich habe noch nie einen Spieler gesehen, der so selbstverliebt und arrogant rüberkommt wie er. Aber das spezielle ist, man ertappt sich sofort beim Gedanken: Shit, er hat Recht! Auch darum bin ich felsenfest davon überzeugt, dass Jashari bald schon bei Milan Chef auf dem Platz ist. Und irgendwann bei einem der beiden besten Klubs des Planeten spielt.»
Für die Schweizer Nati ist Jasharis Wechsel durchaus eine gute Nachricht. Zehn Monate vor der (möglichen) WM erhält einer der bald wichtigsten Spieler dank der Serie A noch einmal eine grössere Bühne. Im Juni bewies Jashari erstmals, wie wichtig er für die Nati werden kann. Dass er – zwar als Ersatzspieler – bereits zwei grosse Turniere erlebt hat, kann ihm nur helfen.
Langfristig sind die Erfahrungen des ganzen Rundum-Zirkus wichtiger als dass er «erst» vier Länderspiele auf dem Buckel hat. Auch in der Nati deutet sich an, dass Jashari nur wenig Zeit braucht, um eine Chef-Position einzunehmen. Das sind gute Aussichten, wenn Granit Xhaka einmal zurücktritt. Und vermutlich schon für die kommende WM-Qualifikation. (riz/aargauerzeitung.ch)