Auf den chinesischen Olympiapisten wird nicht nur um Medaillen gekämpft. Sondern vor allem gegen das Wüstenklima. Seit vier Monaten rieselt der Kunstschnee in den Regionen Zhangjiakou und Yanqing, damit dort Ski- und Snowboardwettbewerbe stattfinden können.
Obwohl die Temperaturen im Norden des Landes bei bis zu minus 30 Grad Gefrierschrankniveau erreichen, fehlt die wichtigste Grundlage für Wintersport: Schnee gibt es hier äusserst selten. Entsprechend weit klaffen daher die Bilder auseinander, die Werbung und Realität abgeben: Die alpinen Abfahrtsstrecken durchziehen die Landschaft wie Goldadern, rundherum ist alles braun.
Was vielen Zuschauern der Spiele nicht bewusst sein dürfte: Die Wüste Gobi liegt nur wenige hundert Kilometer entfernt; mehrmals im Jahr erreichen ihre Sandstürme sogar die Hauptstadt. Die Region ist staubtrocken. Dennoch warb die Regierung in Pekings Olympiabewerbung mit «ergiebigen Wasserressourcen» rund um die Sportstätten.
Eine, die sich mit der Situation vor Ort auskennt, ist Carmen de Jong. Sie ist Professorin für Hydrologie an der Universität Strassburg. «Es herrscht akute Wasserknappheit», sagt sie im Gespräch mit t-online. Das Gebiet bekomme weniger als 400 Milliliter Niederschlag im Jahr. Zum Vergleich: Ähnlich regenarm sind etwa afrikanische Länder wie Marokko und Eritrea. «Da zählt jeder Tropfen für Trinkwasser und die landwirtschaftliche Bewässerung», so de Jong.
Das Wasser für die Beschneiung der beiden olympischen Skigebiete stammt aus dem Foyukou, dem Baihebao und dem Yunzhou Reservoir. Eigentlich dienen sie den Bauern in der Region zur Bewässerung, und auch das Trinkwasser der Hauptstadt Peking kommt unter anderem von hier.
Derzeit jedoch scheint das chinesische Regime andere Prioritäten zu haben. Die Schneekanonen müssen schnurren.
Insgesamt rechnet die Regierung damit, rund 223 Millionen Liter Wasser für den Kunstschnee der Spiele 2022 zu brauchen. Umgerechnet sind das 1,5 Millionen volle Badewannen. Völlig unbedenklich, heisst es im Nachhaltigkeitsbericht der Organisatoren – obwohl dadurch zweieinhalb bis vier Prozent der lokalen Wasserressourcen für andere Zwecke wegfallen.
Was nach einem geringen Anteil klinge, sei tatsächlich extrem viel, sagt Geografin de Jong: «Die Menschen in der Region haben eine der niedrigsten Wasserverfügbarkeiten im ganzen Land, da wären schon 0,05 Prozent weniger Wasser ein Problem.» Hinzu kommt das Wasser, das in die Pistenböden gespritzt werden muss, damit diese gefrieren.
Ohne diesen Eingriff hätte der synthetische Schnee keinen Halt und würde abrutschen. Der Knackpunkt: Die Abfahrten müssen nicht nur während Olympia vereist und beschneit werden. Denn im Anschluss an die Wettkämpfe sollen die Skigebiete zu Touristenressorts werden. «Egal, ob für Olympische Spiele oder Wintersport, beides braucht ungefähr die gleiche Menge an Wasser», warnt die Expertin.
Doch es gibt auch Leute, die sich über Chinas Einsatz für weisse Pisten freuen. Einer von ihnen ist Michael Mayr, der das Asiengeschäft von Technoalpin leitet, einer mittelständischen Firma aus Südtirol, die Beschneiungsanlagen herstellt. «Eigentlich sind die Bedingungen für die Beschneiung der Skipisten bei den Olympischen Winterspielen in Peking optimal», sagt er und bezieht sich dabei ausschliesslich auf die kalten Temperaturen und die geringe Luftfeuchtigkeit.
Mehr als 350 Technoalpin-Geräte sind bei Olympia im Einsatz. Das Bozener Unternehmen und die chinesische Regierung knacken damit einen Rekord: Technischer Schnee, wie Kunstschnee in der Fachsprache heisst, spielt zwar seit den Wettkämpfen 1980 im amerikanischen Lake Placid eine Rolle. Nie zuvor allerdings kämpften Athleten bei Winterspielen auf 100 Prozent Kunstschnee um den Sieg. Um das nun in Nordchina zu ermöglichen, brauchte es jedoch mehr als nur Schneekanonen.
Nach Yanqing wird das Wasser aus bis zu 30 Kilometern Entfernung hergeleitet und dann 1700 Meter den Berg hochgepumpt. «Das ist so weit wie vom Eibsee auf die Zugspitze», sagt Geografin de Jong. In Zhangjiakou sind es ebenfalls 30 Kilometer Entfernung und noch 1000 Meter den Berg hinauf.
Neben den Schneekanonen setzen die Ingenieure von Technoalpin deshalb auch 51 Hochdruckpumpen ein, die das Wasser zu den Pisten hochdrücken. Immer wieder hat das chinesische Olympia-Komitee betont, dabei nur auf erneuerbare Energien zu setzen. Doch es bleiben Zweifel.
«Allein für die Pumpen werden mehrere Gigawattstunden an Energie benötigt, die nirgends erwähnt werden», so de Jong. Sie geht davon aus, dass der energetische Aufwand bei weitem das übersteigt, was Wind und Solar vor Ort leisten können. Und sobald der Schnee liegt, entstehen neue Probleme.
Das zeigte sich erst vor wenigen Tagen, als eine weitere Eigenart des nordchinesischen Klimas der Olympiaplanung dazwischenkam. Mit bis zu 60 km/h peitschte der Wind über die Abfahrtspisten – die Auftaktveranstaltungen der alpinen Skirennfahrerinnen und -rennfahrer mussten verschoben werden.
Die Bedingungen seien ein «reines Pokerspiel», kommentierte das der Herren-Bundestrainer Christian Schwaiger. Doch die Böen stellen nicht nur die Fairness infrage, sondern auch den Pistenbelag. Auf den exponierten Bergrücken, in die die Abfahrtsschneisen geschlagen wurden, stürmt es besonders stark. Fotos und Filmaufnahmen zeigen, wie der Wind den Schnee davonträgt. Auch, was auf diese Weise verloren geht, müssen die Schneekanonen ersetzen.
«Und dann gibt es noch die typischen Probleme für trockene Zonen», schliesst Carmen de Jong. Immer wieder komme es zu kleinen Staubstürmen, die eine feine Schicht Sand und Dreck auf dem Schnee hinterliessen. «Das macht den Schnee unbrauchbar und es muss wieder neu eingeschneit werden.» Es sei ein ständiger Kampf gegen das Wüstenklima.
«Jeder Tropfen Wasser wird in Schnee umgewandelt», heisst es in einem neueren Werbevideo der Beschneiungsfirma Technoalpin. Ihre Maschinen seien besonders effizient. Doch es bleibt fraglich, wie ressourcenschonend eine vollkommen künstliche Winterolympiade sein kann. In einer Region, die wegen chronischer Wasserknappheit kaum einen einzigen Tropfen für Kunstschnee übrig hat.
einfach nur birnenweich... 🤦🏼♂️