Olympische Spiele ohne NHL-Stars – 2018 konnten die Schweizer diese Chance nicht nutzen. Sie scheiterten schon im Achtelfinal in der Verlängerung gegen Deutschland. Die Deutschen sind hingegen beinahe Olympiasieger geworden. Sie verloren den Final gegen Russland erst in der Verlängerung und gewannen erstmals seit 1976 eine Medaille bei einem Titelturnier.
Wir sehen also: Wenn die NHL-Stars fehlen, tanzen die Aussenseiter. Deutschland hat diese Chance 2018 mit dem charismatischen Bandengeneral Marco Sturm – einst ein deutscher Star in der NHL – genutzt. Die Schweiz nicht.
Patrick Fischer hat die Schweiz 2018 mit NHL-Stars bei der WM bis ins Penaltyschiessen des Finals geführt. Ohne NHL-Stars war er ein paar Wochen vorher gescheitert. Kein Zufall.
Eine Mannschaft mit Roman Josi, Nino Niederreiter, Timo Meier oder Nico Hischier hat eine völlig andere Sozialstruktur als eine Equipe, in der Tristan Scherwey, Simon Moser oder Ramon Untersander die Leitwölfe sind. Etwas polemisch formuliert: Wenn Roman Josi den Vorsitz hat, kann sich Patrick Fischer den «weichen Faktoren» zuwenden – für gute Stimmung und Harmonie sorgen und die Strategie auf dem Eis, die Taktik, und die Führung während des Spiels getrost weitgehend in die Hände der NHL-Stars legen.
Spieler, deren Worte in den Garderoben der wichtigsten Liga der Welt Gospel sind, führen auch die Nationalmannschaft mit natürlicher und fachlicher Autorität. Um es wiederum etwas zugespitzt zu sagen: Sind die NHL-Stars dabei (wie bei der WM), ist der Nationaltrainer nicht so wichtig. Sind die NHL-Stars nicht dabei (wie bei den Olympischen Turnieren 2018 und 2022), wird der Nationaltrainer zur Schlüsselfigur.
Bei Turnieren mit den grossen helvetischen NHL-Stars kann der Nationaltrainer mehr ein Aussenminister sein, der als charismatischer Poster Boy das Team repräsentiert, vor den TV-Kameras zur Nation referiert und dafür sorgt, dass die Kabine eine Wohlfühloase ist. Bei Turnieren ohne NHL-Stars (oder nur mit NHL-Mitläufern) muss er mehr Innenminister sein, der Ordnung auf dem Eis und in der Kabine durchsetzt.
Die Schweizer haben das Talent, um den Olympia-Final zu erreichen. Darüber brauchen wir keine Debatte zu führen. Wir haben mit Reto Berra und Leonardo Genoni auf der zentralen Position der Goalies zwei der Besten ausserhalb der NHL. Die Differenz ohne NHL-Stars ist zu den Schweden, Finnen, Tschechen, Deutschen und den Kanadiern und Amerikanern so gering, dass Details entscheiden werden. Der Herr über die Details ist der Nationaltrainer.
Was sind in diesem Falle Details? Die Nomination der richtigen Spieler. Die ist bei Fischer nicht das Problem. Er hat ein gutes Gespür für die Zusammenstellung einer Mannschaft.
Zu den Details gehört weiter die richtige Taktik, um das Talent der Spieler optimal zur Geltung zu bringen. Auch in diesem Bereich ist Fischer in Zusammenarbeit mit seinem wichtigsten Assistenten Tommy Albelin – der einzige, mit dem er sich auf Augenhöhe über internationales Hockey austauschen kann – ohne Fehl und Tadel.
Zu den Details gehört auch, taktische Disziplin durchzusetzen. Patrick Fischers Führungsstil ist modern. Der neuen Generation angepasst. Seine Kritiker monieren, sein Führungsstil sei zu modern. Es fehle eine Prise psychologisches Schmirgelpapier, um die Spieler in Extremsituationen an die Leistungsgrenze zu führen und die taktische Disziplin aufrecht zu erhalten.
Auch zu den Details gehört, während des Spiels im Pulverdampf der Emotionen intuitiv zu erkennen, wer in Schlüsselmomenten aufs Eis geschickt werden muss und wer besser nicht. Wenn die Stunde der Bandengeneräle schlägt. Ist Patrick Fischer ein grosser Bandengeneral («Bench Coach»)? Seine Kritiker meinen: Nein.
Schliesslich und endlich gehört auch die Gunst der Hockey-Götter zu diesen Details: Die Ausgeglichenheit ohne NHL-Stars ist bei einem Titelturnier so gross, dass auch ein brechender Stock bei der Schussabgabe, ein verspringender Puck oder der Entscheid eines Schiedsrichters Sieg oder Niederlage herbeiführen können.
Aber eben: Die letzte Wahrheit steht oben auf der Resultatanzeige. Das olympische Turnier 2018 ohne NHL-Stars war das mit Abstand enttäuschendste Titelturnier seit der Amtsübernahme von Patrick Fischer im Herbst 2015. Die grossen WM-Drehbücher von 2018, 2019 und 2021 hat er mit Hilfe unserer NHL-Stars geschrieben.
Peking 2022 wird sein Schicksalsturnier. Ein Scheitern wie 2018 wird seine Autorität als Lichtgestalt unseres Hockeys zum ersten Mal ritzen. Und das wäre sehr, sehr schade.
Liebu
Ich denke, Spieler sowie Staff haben ihre Lehren daraus gezogen.
Trotzdem ist alles möglich. Vom Finalsieg bis zum Ausscheiden nach der Vorrunde.
Das entscheidende für Fischer aber wird sein, wie das Team Auftritt. Man kann auch mal verlieren, wenn man alles für den Sieg getan hat, aber der Gegner einfach besser war, oder man kann sich auch selber schlagen, wie auch schon erlebt.
Ottrott
Chalbsbratwurst