Die Welt ist eine andere als zu Zeiten der letzten Olympischen Spiele 2018 in Südkorea. Doch so sehr sich Peking 2022 von allen bisherigen Spielen auch unterscheiden mag: Für die Eishockeystars sind die Voraussetzungen eher besser als vor vier Jahren. Patrick Fischer sagt: «Die Wege sind kurz, die Infrastruktur ist perfekt, wir haben auch eine sehr gute Kabine und wir konnten uns gut einleben.»
Die Vorbereitung sei auch deshalb besser als vor vier Jahren, weil die Liga am Wochenende vor dem Abflug keine Spiele mehr angesetzt hatte. «Das hat uns sehr geholfen. So konnten alle den Meisterschaftsbetrieb hinter sich lassen und vor der Abreise noch einmal durchatmen.»
Vor vier Jahren war die Hektik mit einem Vorbereitungscamp vor Ort ausserhalb des olympischen Geländes grösser gewesen. Hier ist die Mannschaft gleich nach der Ankunft ins Olympische Dorf eingerückt. «So haben wir uns bereits an die Abläufe gewöhnen können.»
Patrick Fischer sagt, die besonderen Verhältnisse (Leben in der Olympischen Blase) hätten ohnehin wenig Einfluss auf den Alltag: Auch unter normalen Umständen spiele sich das Leben in einer Parallelwelt zwischen Olympischem Dorf und Eisbahn ab.
Die einzige spürbare Beeinträchtigung: Mit Denis Malgin und Dario Simion fehlen zum Auftakt gegen Russland (Mittwoch, 9:40 Uhr Schweizer Zeit) zwei wichtige Spieler: Der Center der zweiten Linie und der Flügel im ersten Sturm haben sich noch nicht aus der Isolation «zurückgetestet.» Damit wird aber gerechnet und deshalb ist noch kein Ersatz aus der Schweiz eingeflogen worden.
2018 war bereits nach dem Achtelfinal gegen Deutschland (1:2 n.V) Lichterlöschen. Zu gross war die Verunsicherung nach dem Fehlstart ins Turnier gegen Kanada (1:5, Leonardo Genoni nach dem 0:4 ausgewechselt). «Wir wollten zu viel und wir waren übermotiviert.» Der Nationaltrainer sagt, nun spüre er Entschlossenheit und Gelassenheit zugleich. «Es ist gut, dass wir gleich zum Auftakt mit Russland einen grossen Gegner haben.»
Natürlich wird die Absenz der NHL-Stars allenthalben bedauert. Patrick Fischer: «Aber das ist nun kein Thema mehr.» Mit Roman Josi oder Timo Meier wären die Schweizer besser. Andererseits: Nun sind 17 Spieler aus dem letzten WM-Team dabei. Das gibt eine gewisse Stabilität. Und den anderen Teams fehlen ja auch die NHL-Titanen.
Patrick Fischer sagt, er sei nun vier Jahre erfahrener und gelassener geworden – und viele Spieler auch. Was durchaus seine Logik hat: 2018 war Patrick Fischer in seinem dritten Amtsjahr noch keineswegs eine Lichtgestalt unseres Hockeys. Ein Scheitern beim Olympischen Turnier konnte seine Autorität gefährlich untergraben.
Inzwischen wissen wir: Das Olympische Versagen von 2018 konnte er korrigieren, bevor die Nationaltrainerfrage gestellt werden konnte: Drei Monate später erreichte Patrick Fischer im Mai 2018 bei der WM in Kopenhagen den Final. Die Schweizer verloren gegen Schweden erst im Penaltyschiessen.
Südkorea 2018 soll sich nicht wiederholen. Die Silber-WM hat die Position von Patrick Fischer und das internationale Selbstvertrauen der Spieler gefestigt: Es ist eine Sache, von grossen Zielen zu reden und eine ganz andere, aus eigenem Erleben zu wissen, dass man sie tatsächlich erreichen kann. Der Halbfinal ist ein realistisches Ziel.
Welches Ansehen unser Hockey inzwischen geniesst, mag eine Episode zeigen: Nach dem Training am Dienstagmittag warten mehr russische als helvetische Chronisten auf Patrick Fischer. Ganz offensichtlich nehmen die Russen das Startspiel ernst. Unser Nationalcoach wird respektvoll gefragt, was er von der russischen Mannschaft halte und ob dieses Turnier auch ein Zweikampf der zwei wichtigsten Ligen Europas sei: Aus der KHL kommen am meisten und aus unserer National League am zweitmeisten Spieler.
Patrick Fischers Antworten sind die üblichen in diesem Geschäft: Man habe sehr grossen Respekt vor der russischen Mannschaft, Russland sei eine grosse Hockeynation und so weiter und so fort.
Die Mannschaft ist nicht talentierter als vor vier Jahren. Aber taktisch besser ausbalanciert, besser eingespielt, besser vorbereitet und im Auftreten sicherer. Erfahrener, gelassener – und auch besser?
Die Schweizer sind läuferisch, technisch und taktisch gut genug, um mit jedem Gegner auf Augenhöhe zu spielen und zumindest optisch mitzuhalten. Aber wir sind in der Neuzeit (2002, 2006, 2010, 2014, 2018) beim Olympischen Turnier noch nie über den Viertelfinal hinauskommen. Die drei entscheidenden Fragen:
Die erste Olympische Hockey-Medaille für die Männer seit 1948 (St.Moritz) ist so nah – und eben doch so fern. Wie nahe Triumph und Scheitern bei einem Olympischen Turnier ohne NHL-Stars sein können, zeigt sich auch daran, dass die Deutschen 2018 gegen die Schweiz im Achtelfinal erst in der Verlängerung gewannen und dann bis in den Final kamen (Niederlage gegen Russland).
Die Schweiz 2022 wie Deutschland 2018? Warum nicht?