Kaum ist der Dopingfall um Matthias Flückiger einigermassen befriedet, droht dem Schweizer Sport die nächste Zerreissprobe. Wie die Triathletin Imogen Simmonds am Mittwoch mitteilte, wurde sie am 8. Dezember 2024 ausserhalb des Wettkampfs positiv auf auf ein Metabolit Ligandrol getestet.
Als sie vom Ergebnis erfahren habe, sei sie «am Boden zerstört» gewesen. Die nachgewiesene Menge sei verschwindend klein, sagt Simmonds. Sie entspreche «einer Prise Salz in einem olympischen Schwimmbecken» und habe keinen leistungssteigernden Effekt. Sie habe weder gewusst, was Ligandrol sei, noch, wie die verbotene Substanz in ihren Körper gelangt sei.
Ligandrol, auch bekannt als LGD-4033, gehört zur Gruppe der selektiven Androgenrezeptor-Modulatoren (SARM). Sie wurden ursprünglich zur Behandlung von Muskelschwund-Erkrankungen entwickelt, finden jedoch vermehrt Anwendung im Bereich des Bodybuildings und Leistungssports. Ligandrol fördert den Muskelaufbau und die Knochendichte, ohne die Nebenwirkungen traditioneller anaboler Steroide mit sich zu bringen.
Simmonds gibt an, dass sie 6 Tage vor und 22 Tage nach besagter Kontrolle eine negative Probe abgegeben habe. Inzwischen hat sie eine Erklärung: Ihr langjähriger Freund habe, «ohne mein Wissen und um seinen Körper zu optimieren», Ligandrol konsumiert. Das würden Haarproben bestätigen.
In ihren Körper gelangt sei die Substanz wohl durch den «Austausch von Körperflüssigkeiten». Also durch Küsse oder Sex. Simmonds sagt: «Sowohl am Tag vor als auch am Tag der Dopingkontrolle waren wir intim.»
Dopingfalle Sex? Imogen Simmonds ist nicht die erste Sportlerin, die so argumentiert. Sex war in der Geschichte der positiven Dopingtests oft ein beliebtes Erklärstück für die eigene Unschuld. In manchen Beispielen durchaus mit Erfolg. In anderen Fällen sorgten die Schilderungen der Angeklagten eher für Stirnrunzeln, Kopfschütteln oder Erheiterung.
US-Sprinter Dennis Mitchell erklärte sich 1998 das Testosteron in seiner Probe mit dem vierfachen Geschlechtsverkehr in der Nacht vor dem Wettkampf. Mitchell wurde für zwei Jahre gesperrt. Die US-Boxerin Virgina Fuchs wies die Rückstände von muskelaufbauenden Produkten beim Test ebenso plausibel dem Sex mit dem Anabolika schluckenden Partner zu wie die ukrainische Tennisspielerin Dajana Jastremska. Bei ihr übertrug ein Potenzmittel das Doping auf sie, was ihr Sexualpartner zwar abstritt.
Hoffnung machen dürften Simmonds zwei andere Fälle. 2019 wurde die Kanutin Laurence Vincent Laponte positiv auf Ligandrol getestet, 2024 die Curlerin Briane Harris. Beide argumentierten damit, die Übertragung sei durch Intimitäten mit ihrem Partner erfolgt. Beide wurden freigesprochen.
Simmonds schreibt, sie habe «einen weltweit anerkannten Experten» engagiert, der ihre Unschuld beweisen soll. «Ich bin weder die erste noch die letzte Athletin, der das passiert. Ich nehme die Regeln sehr ernst und glaube an einen sauberen Sport.» Dass ihr Name nun mit einer verbotenen Substanz verbunden werde, sei «ein Albtraum und herzzerreissend». Der Fall liegt nun bei der International Testing Agency (ITA) in Lausanne.
Imogen Simmonds gehört seit Jahren zur erweiterten Weltspitze, stand aber hierzulande stets im Schatten von Daniela Ryf oder Nicola Spirig. 2019 zum Beispiel schaffte sie es bei der Halbironman-WM in Nizza als Dritte aufs Podest, während Ryf zum fünften Mal Weltmeisterin wurde. Den Zürich-Triathlon im Juli 2019 beendete Simmonds als Zweite – und die ganze Aufmerksamkeit wurde der Olympiasiegerin Nicola Spirig zuteil, die kurz nach Geburt ihres dritten Kindes das Rennen gewann.
Bis sie sieben Jahre alt war, wuchs Imogen Simmonds in Hongkong auf. Sie studierte in Bristol und ist Umweltingenieurin, trainierte hauptsächlich im thailändischen Phuket unter der deutschen Triathlon-Legende Jürgen Zäck und lebt teilweise in Genf. Bis 2016 startete sie noch für Grossbritannien. Seit Mitte 2020 trainiert die 31-Jährige unter dem Schweizer Reto Brändli.
Zum Triathlon kam sie erst als 21-Jährige. Seit 2017 startet sie mit einer Profilizenz, seither hat sie bereits sechs Halb-Ironman-Wettkämpfe gewonnen. Bei ihrem Profi-Debüt an den Ironman-Weltmeisterschaften in Hawaii im Oktober 2019 wurde sie auf Anhieb Zwölfte, einen Rang vor Daniela Ryf, die damals allerdings unter Magenbeschwerden litt. Auch hier stand sie also wieder im Schatten einer noch erfolgreicheren Schweizerin.
Nun aber steht Imogen Simmonds im Mittelpunkt und kämpft um ihre sportliche Zukunft. Sie betont, in ihrer Karriere regelmässig auf Doping getestet worden zu sein, und sie habe stets negative Ergebnisse abgeliefert. Sie hoffe, dass «niemand durch die Dunkelheit gehen muss, wie ich das derzeit tun muss». Noch so eine unliebsame Parallele zum Fall Flückiger. (aargauerzeitung.ch/lyn)