Eine Bratwurst vom Grill kostet zwölf Euro. Die Besucherinnen und Besucher stehen in der brütenden Hitze für die erlesene Speise bis zu 40 Minuten Schlange. Bier gibt es zwischen 6,50 und 9,50 Euro, Sandwiches kosten zwischen bis zu 13 Euro. Dafür gibt es Rösti günstig für 12 Euro.
Ein besonderer Ort hat eben seinen Preis. Das «Maison Suisse» («Suisse House») ist wahrlich ein besonderer Ort. Geöffnet ab 11.00 bis 23.00 Uhr und wenn es sportlich gerockt hat, kann es auch später werden.
Seit 1998 gibt es diese Einrichtung. Sie ist inzwischen in die Organisation «Présence Suisse» des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) integriert.
Das «Maison Suisse» mahnt an den VIP-Dome beim Spengler Cup, der während des Turniers im Kurpark aufgebaut wird. Aber das «Maison Suisse» ist viel weniger elitär. Wer in Davos oben in den VIP-Dome will, braucht eine Akkreditierung oder eine Einladung eines Sponsors. Das gewöhnliche Volk hat keinen Zutritt.
Das «Maison Suisse» aber ist, ganz im Sinne der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), für alle frei zugänglich. Beim Eingang gibt es lediglich eine Sicherheitskontrolle. Diese freie Zugänglichkeit macht das «Maison Suisse» zum interessantesten Kulturzentrum von ganz Paris. Zum Schmelztiegel der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten.
Zwar betreiben auch andere Nationen hier in Paris während der Spiele ähnliche Einrichtungen. Aber nur jene der Schweizer ist für alle frei zugänglich. Es gibt während der Spiele in ganz Paris keinen anderen Ort, an dem sich verschiedene Menschen so ungezwungen treffen und durcheinandermischen: Bundesrätinnen und Bundesräte, Medaillengewinnende, sportliche Muffel, Chronistinnen und Chronisten, Reisende und Einheimische. Das «Maison Suisse» ist so auch ein Symbol für unsere direkte Demokratie.
Der Normalbetrieb ist ein ähnlicher wie im VIP-Dome des Spengler Cups: Essen, Trinken, Small Talk und auf dem grossen Bildschirm können die Wettkämpfe verfolgt werden. Es gibt zwar im hinteren Teil ein «Séparée». Es wird zwischendurch für Medienkonferenzen, Sitzungen und als Erholungsraum für die Athletinnen und Athleten genützt. Aber anders als beim Spengler Cup mischen sich die Berühmten, Mächtigen, Reichen sonst unter die Gäste.
Die Besonderheit ist der «Baustellen-Charme». Ein zweistöckiger Pavillon mit einer Gesamtfläche von 1000 Quadratmetern mit Bar, Beiz und Bühne. 20 Fussminuten vom Eiffelturm entfernt im Garten der Schweizer Botschaft. Der Pavillon ist eine Konstruktion aus gut sichtbaren Baugerüst-Elementen. Besser kann nicht gezeigt werden, dass die Schweiz ihren Wohlstand der Arbeit von Bauern und Arbeitern verdankt. Diese Baugerüst-Symbolik ist jedenfalls sympathischer als Hammer und Sichel. Dabei ist von Vorteil, dass diese Konstruktion in den heissen Tagen kühlenden Durchzug ermöglicht. Eine Klimaanlage ist nicht erforderlich.
So richtig rockt es am Abend ab 18.00 Uhr. Wenn es Medaillengewinnerinnen oder -gewinner zu feiern gibt. Dann ist die Anlage bis auf den letzten Platz gefüllt, und bereits einmal war ein Bundesrat mit dabei.
Ignazio Cassis hat der Bronze-Schützin Audrey Gogniat seine Aufwartung gemacht und ihr auf der Bühne persönlich gratuliert. Er ist gut gelaunt, bewegt sich ungezwungen unter den Gästen, gewährt freundlich und geduldig Selfies und mahnt irgendwie an eine volkstümliche Version von Sergio Ermotti.
Seit seinem Besuch können wir erahnen, wer die Hosen im Bundesrat anhat. Nachdem der Aussenminister der treffsicheren jungen Stauffacherin persönlich gratuliert hat, kramt er einen Brief hervor, den er nun dem Publikum laut und gut vernehmlich vorliest. Oder eigentlich vorträgt. Charmant, charismatisch in überaus gepflegter französischer Sprache. Der Brieftext ist wohlformuliert. Da führte ein gebildeter «Ghostwriter» mit Affinität zur frankophonen Kultur die Feder.
Am Schluss seines Vortrages verkündet er feierlich und sichtlich gerührt den Absender: Frau Bundesrätin Viola Amherd! Mit ein wenig Bosheit dürfen wir sagen: Ignazio Cassis macht den Olympischen Laufburschen, um die Glückwünsche seiner Chefin zu überbringen. So muss es gewesen sein, wenn Herolde als Sendboten auswärtiger Kaiser oder Könige eine Meldung in König Ludwigs Prunkschloss Versailles vorgetragen haben.
Die Stimmung im «Maison Suisse» ist einfach zu gut. Nicht nur am 1. August. Am Mittwochabend wird bei der Ehrung von Julie Derron vom Haus-DJ die Nationalhymne eingespielt. Ein feierlicher Moment.
Jürg Stahl, der oft unterschätzte, kluge Netzwerker und Präsident von Swiss Olympic, ist noch bis zum 1. Januar der höchste Schweizer Sportfunktionär. Er unterbricht unser Gespräch und sagt: «Da muss ich Haltung annehmen.»
So gehört es sich auf dem Boden der Schweizer Botschaft, wenn zu Ehren einer olympischen Heldin unsere Nationalhymne ertönt.
PS: Öffnungszeiten «Maison Suisse»
24. Juli bis 11. August: Täglich von 11.00 bis 23.00 Uhr
12. August bis 26. August: Geschlossen.
27. August bis 8. September: Montag bis Mittwoch 14.00 bis 22.00 Uhr und Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 22.00 Uhr.