Auf der langgezogenen Medientribüne gibt es ab der ersten Pause ein grosses Thema. Vom weit gereisten NHL-Veteranen, der nun als Scout Zugs Verteidiger Leon Muggli beobachtet, über hohe Liga-Funktionäre und einflussreiche Spieleragenten bis hin zu schreibenden und sprechenden Chronisten verschiedenster Couleur. Das Thema: Die SCB-Goalies.
Das ist passiert: In Bern steht am Samstag zum ersten Mal in diesem Viertelfinal von Anfang an Philip Wüthrich im Tor. Der SCB gewinnt 3:2. Philip Wüthrich hat den Sieg festgehalten. Logisch also, dass er nun am Montag in Zug erneut die Partie beginnt. Nach dem 2:0 holt SCB-Trainer Jussi Tapola Philip Wüthrich vom Eis und ersetzt ihn durch Adam Reideborn (18. Minute). Mit dem Schweden ändert sich nichts. Zug gewinnt 6:2.
Warum die Aufregung? Weil Philip Wüthrich an den beiden Gegentreffern absolut unschuldig ist. Weil es so gesehen keinen Grund gibt, den Goalie zu wechseln. Die einhellige Meinung beim weit gereisten NHL-Veteranen, bei den hohen Liga-Funktionären und den einflussreichen Spieleragenten bis hin zu den schreibenden und sprechenden Chronisten verschiedenster Couleur: Ein Fehler. Vielleicht sogar ein verhängnisvoller.
Jussi Tapola «zerstört» mit diesem Schritt Philip Wüthrichs Selbstvertrauen. Ist es tatsächlich ein Fehler? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach zu finden. Jussi Tapola kann seine Massnahme nach dem Spiel nämlich gut begründen.
Torhüter sind sensibel. Es kann sein, dass Philip Wüthrich diesen Wechsel ganz und gar nicht goutiert. Jussi Tapola sieht kein Problem: «Ein Torhüter muss eine solche Situation verkraften können.» Womöglich unterschätzt er in diesem Fall ein wenig die bernischen Befindlichkeiten. Zumindest ist er kein Goalie-Romantiker.
«Make the SCB great again!» ist die langfristige Mission von Jussi Tapola. Vorschlag eines Chronisten: Nun müsse er kurzfristig auf eine neue Mission umstellen. «Make the SCB-Goalies great again!» Den Sinn für Ironie hat der SCB-Trainer nicht verloren und nimmt den Vorschlag mit Schmunzeln zur Kenntnis.
Die Sache ist allerdings schon ernst. Der SCB hat in diesem Viertelfinal inzwischen ein Goalie-Problem. Oder besser: Die Situation spitzt sich zu. Wenn Zug bei einem Torschussverhältnis von 37:36 problemlos 6:2 gewinnt, dann waren die SCB-Torhüter ein wesentlicher Teil des Problems. Der SCB hat eine Ausländerlizenz für einen Torhüter eingelöst. Adam Reideborn hat in der ersten Hälfte der Qualifikation viel zur SCB-Stabilisierung beigetragen, die zur besten Klassierung (5.) seit der letzten Meistersaison (Qualifikationssieg 2018/19) geführt hat. Auch wegen einer Verletzung von Philip Wüthrich bestritt der Schwede 40 von 52 Partien.
Im Rückblick zeigt sich: 40 oder mehr Einsätze hatten zwar auch Biels Harri Säteri, Zürichs Simon Hrubec (je 42), Gottérons Reto Berra (41) und Rappis Melvin Nyffeler (40) während der Qualifikation zu verkraften. Aber womöglich waren 40 Spiele hinter einer nicht immer ganz sattelfesten Abwehr für den Schweden doch ein wenig zu viel. In der zweiten Saisonhälfte und im Viertelfinal haben wir jedenfalls nicht mehr den wahren Adam Reideborn gesehen. Deshalb ist Philip Wüthrich am Samstag und nun am Montag in Zug von Beginn an zum Zuge gekommen.
Kommt dazu: Weil Adam Reideborn auch dann aufs Matchblatt kommt, wenn er auf der Ersatzbank sitzt, kann der SCB nur fünf ausländische Feldspieler einsetzen. Wäre es nicht besser, keinen ausländischen Goalie aufs Matchblatt zu nehmen (neben Philip Wüthrich hat der SCB mit Daniel Manzato und Andri Henauer zwei weitere Schweizer Torhüter) und sechs ausländische Feldspieler einzusetzen? Jussi Tapola sagt, man wisse nie, wie lange ein Spiel in den Playoffs dauern werde, und es könne immer etwas passieren. «Deshalb brauchen wir zwei gute Goalies.»
Was der SCB-Trainer nicht sagt: Ob Corban Knight auf der Tribüne sitzt oder spielt, macht inzwischen keinen Unterschied mehr. Die Boshaften fragten in Zug sogar, ob der kanadische Stürmer bereits vorzeitig abgereist sei. Vor dem Spiel wird jeweils eine offizielle Teamaufstellung verteilt. Darauf sind die Spieler aufgeführt, die eingesetzt werden und auch jene, die nicht dabei sind. Also auch die Spieler, die entweder verletzt, gesperrt oder überzählig sind. Auf der SCB-Aufstellung ist der Name Corban Knight erstmals in dieser Saison nicht mehr zu finden. Bloss ein kleines Versehen, das eben nur die Boshaften bemerken und völlig unnötigerweise auch noch an die grosse Glocke hängen.
Natürlich ist Corban Knight nicht abgereist. Er hat in diesem Viertelfinal allerdings nur das dritte Spiel in Zug (1:6) bestritten. Mit einer schmählichen Bilanz. Kein Tor, kein Assist, bloss 12:15 Minuten Eiszeit und eine Minus-3-Bilanz.
Wir sind kurz vom Thema Torhüter abgeschweift: Spätestens nach der fünften Partie ist klar: Wir haben es mit einem Viertelfinal der Goalies zu tun. Die Rolle der letzten Männer ist in den Playoffs sowieso eine zentrale. Aber in diesem Viertelfinal haben sie eine über das übliche Mass hinausgehende Bedeutung. Leonardo Genoni war nur im ersten Spiel nicht der wahre Leonardo Genoni und Zug verlor den Auftakt auf eigenem Eis 3:4. Inzwischen ist er wieder ein solider Rückhalt, ein guter und phasenweise auch wieder ein grosser Goalie. Zug hat kein Torhüter-Problem. Bern hat eines.
Aber noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Zug braucht am Mittwoch in Bern oder, falls erforderlich, am Samstag in Zug noch einen Sieg für den Halbfinal. «Es kann noch jeder ein Held werden», sagt Jussi Tapola. Ob er Philip Wüthrich oder Adam Reideborn am Mittwoch die Chance geben wird, ein Playoff-Held zu werden, weiss er noch nicht.
Kommen wir noch zu einem heiklen, aber wichtigen Punkt: Dominik Kahun, SCB-Topskorer der Qualifikation, hat alle fünf Viertelfinalpartien bestritten und ist bei 86:52 Minuten Eiszeit (davon 16:04 Min. im Powerplay) glücklos geblieben: Kein Tor, kein Assist, aber eine Minus-6-Bilanz. Ligaweit die schwächste aller in den Playoffs eingesetzten Stürmer.
Der Optimist sagt: Er kann immer noch ein Playoff-Held werden. Der Realist murrt: Der SCB hat halt schon seit 2019 ein Ausländer-Problem. Am Ende dieser Entwicklung müssten eigentlich nach der Saison noch ein paar polemische Fragen an Marc Lüthi zur Ausländer- und Torhütersituation beim SCB stehen.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Wenn du vorne nur Lehmann hast, der spielerisch was drauf hat, grenzt es an ein Wunder, dass die Berner noch keine Ferien haben.