Die Zuversicht im Bernbiet ist gross. Allenthalben heisst es, der Siegermuni blicke schon seit Tagen wie gebannt und ahnungsvoll nur noch in Richtung Bern. Und Pratteln sei ja lediglich das zweite Berner Kantonalfest in dieser Saison.
Einen klaren Favoriten haben die Berner jedoch nicht. Aber den hatten sie auch 2010, 2016 und zuletzt 2019 auch nicht und doch wurden Kilian Wenger (2010), Matthias Glarner (2016) und Christian Stucki (2019) König. Nur 2013 galt Matthias Sempach als klarer Thronanwärter und er triumphierte mit Ansage.
Die Hoffnung, dass es erneut einer ihrer «Kronprinzen» schafft, ist gross. Allerdings müssen die Berner dazu in der Lage sein, einen ihrer Bösen, die nicht über alle Zweifel erhaben sind, so durchs Fest zu bringen, dass es schliesslich mindestens einem für den Schlussgang reicht. Was sie sich mit ihrem traditionell starken Zusammenhalt schon zutrauen. Und an der Vorbereitung soll es jedenfalls nicht liegen: «Hockey-Gott» Kevin Schläpfer (nicht zu verwechseln mit dem legendären Doppel-König Ernst Schläpfer) hat im Rahmen der Vorbereitung auf Pratteln sogar ein Motivationsreferat gehalten.
Ob das nützt oder reine Folklore war, werden wir sehen. Die Hoffnungen ruhen auf Kilian Wenger, dem König von 2010, Adrian Walther, beim Kantonalen und auf dem Brünig im 1. Rang, oder Fabian Staudenmann, letzte Saison einer der Sieger zu Kilchberg. König Christian Stucki gilt nicht mehr als Königsanwärter. Sondern als «Edelhelfer», um, wenn nötig, einen Bösen aus einem anderen Teilverband zurückzubinden und in den Senkel zu stellen.
Aber wer König werden will, muss die bösesten der Bösen bodigen und so gesehen ist eigentlich nur einer der Berner Königsanwärter: Matthias Aeschbacher. Er ist zwar schon 30 und hat seinen ersten eidgenössischen Kranz erst 2019 in Zug errungen. Aber auf dem Brünig ist es ihm diese Saison gelungen, Samuel Giger – dem aktuell komplettesten Bösen – die erste Niederlage seit rund einem Jahr zu bescheren. Die Berner wissen: Der Emmentaler kann jeden bodigen. Aber sie wissen auch, dass er hin und wieder auf fast rätselhafte Weise selbst gegen schmalbrüstige Mittelschwinger verliert.
Und damit sind wir beim zentralen Thema: Die von Samuel Giger angeführten Ostschweizer bedrohen die Berner Erbmonarchie am stärksten. Und wenn die Optimisten im Bernbiet sagen, der Siegermuni blicke wie gebannt schon Richtung Bern, dann gilt eben auch: Die Pessimisten im Bernbiet blicken über die Innerschweizer hinweg (die fürchten sie nicht) gebannt weiter hinüber in die Ostschweiz. Eine tiefe Sorge treibt sie um: Samuel Giger könnte einer werden wie Matthias Sempach.
Die Parallelen sind in der Tat beängstigend: Beide sind gleich gross, praktisch gleich schwer, Matthias Sempach ist mit 24 bei seinem dritten Eidgenössischen in Burgdorf 2013 König geworden. Samuel Giger ist jetzt auch 24 und steht vor seinem dritten Eidgenössischen. Das mögen statistische Zufälligkeiten sein. Beunruhigend ist etwas anderes: Die Berner hofften schon 2010 auf Matthias Sempach. Er hatte eigentlich da schon alles, um König zu werden.
Aber er war ein mental zerbrechlicher Titan, der nervlichen Belastung, Königsanwärter zu sein, noch nicht gewachsen. 2010 in Frauenfeld ist nach drei Gängen mit einem Gestellten gegen Philip Leimbacher und einer Niederlage gegen Michael Bless Sendeschluss und es reicht noch zum 5. Rang mit Kranz. Aber dann reift er zum König. Die Belastung 2013 ist maximal: Das Fest wird in Burgdorf vor seiner Haustüre zelebriert. Er ist der klare, ja himmelhohe Favorit und er meistert diese Herausforderung grandios und wird mit acht Siegen König.
Samuel Giger ist schon 2019 ein Anwärter auf den Thron. Er hatte eigentlich da schon alles, um König zu werden. Aber er war ein mental zerbrechlicher Titan, der nervlichen Belastung, Königsanwärter zu sein, noch nicht gewachsen. In Zug ist nach drei Gängen mit Niederlagen gegen Nick Alpiger und René Suppiger schon Sendeschluss und es reicht noch zum 4. Rang mit Kranz. Aber nun ist er zu wahrhaft königlichem Format gereift wie damals Matthias Sempach vor Burgdorf 2013, er hat diese Saison grandios dominiert und führt die «Weltrangliste» (die Jahreswertung des Fachmagazins «Schlussgang») an.
Samuel Giger wie Matthias Sempach – das ist der Albtraum der Berner.