Emotionaler geht es nicht. Wer von Norden her aufs Festgelände kommt, schreitet erst durch ein ausgedehntes Logistik-Zentrum. Riesige Container, angeschrieben unter anderem mit chinesischen Absendern, sind hier übereinandergestapelt. Wie drohende Sendboten einer uneidgenössischen Globalisierung. Dann über eine Fussgängerbrücke und wir sind daheim. Stolz wie die ewigen Berge erhebt sich die riesige Arena auf Wiesengrund.
Einmarsch der Bösen. Akkurat nach dem Vorbild der Olympischen Spiele marschieren die Titanen in einheitlichem Tenü nacheinander zu martialischen Musikklängen in die Arena ein. Nur die langen Hosen weisen unterschiedliche Farben auf: Schwarz die Beinkleider der Sennen, weiss die der Turner. Bei den Olympischen Spielen sind es über hundert Nationen. Hier die fünf Teilverbände. Wir sind unter uns.
Wer nun nichts über Schwingen weiss, vielleicht ein Gast aus Japan oder Amerika, versteht, fühlt, ahnt nun, warum die letzten vier Könige Berner sind. Warum die Berner im Schwingen so machtvoll auftreten. Warum Schwingen eine bernische Erbmonarchie geworden ist. Warum die Berner zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Und warum die Nordwestschweizer seit mehr als einem halben Jahrhundert meistens nach den Kränzen kommen.
Es ist nämlich so, dass nur die Berner ihre eigene Hymne haben. Sie marschieren zu den Klängen des Berner Marsches ein. Eigentlich ein Kampflied, zuerst 1798 beim Gefecht gegen die Franzosen bei Neuenegg intoniert, und dann der Protestsong der Berner, gegen die napoleonische Besatzung. Mit zwei aussagekräftigen Strophen.
Die Arena ist um 07.30 Uhr schon fast voll. Gegen 50'000 Frauen, Männer und Kinder klatschen im Rhythmus des Berner Marsches. Des Königsmarsches.
Und dann marschieren am Schluss die Gastgeber ein. Die etwas weniger Bösen des Nordwestschweizerischen Teilverbandes. Sie warten seit 64 Jahren auf einen König. Max Widmer war 1958 der letzte Nordwestschweizer auf dem Thron.
Wie kommt das? Nun, wir haben soeben beim Einmarsch der Bösen eindrücklich erlebt, warum die Nordwestschweizer vaterländisch gesehen eigentlich heimat- und kraftlose Kerle sind. Sie marschieren nämlich zu einem ausländischen – ausländischen! – Lied ein. Zu «Eye of the Tiger», dem Titelsong zum Film «Rocky III». Sylvester Stallone statt Christian Stucki.
Das darf nicht wahr sein. Das Auge des Tigers und erst noch in einer fremden Sprache. Was für eine klägliche musikalische Darbietung nach dem klangvollen, strammen Berner Marsch.
Aber eben: Nur die Berner sind eine «ethnische Einheit». Die anderen Teilverbände sind ein Sammelsurium von Vertretern verschiedener Kantone und Mentalitäten und es reden nicht einmal alle den gleichen Dialekt. Sie können gar nicht mit einer Stimme sprechen oder sich auf eine Musik einigen, die allen gerecht wird wie der Berner Marsch den Bernern.
Noch einmal, noch vor den ersten Gängen, haben sich die Berner beim Einmarsch königlich präsentiert. Ob das auch am Sonntagabend noch so sein wird, wissen wir nicht. Aber wenigstens war der Anfang grandios.