Noch nie war so viel Geld im Schwingen wie im 21. Jahrhundert. Aber beim letzten Eidgenössischen in Pratteln konnten die roten Zahlen erst Monate später schwarz gefärbt werden. Nun wird bereits gejammert, dass das Geld beim nächsten grossen nationalen Hosenlupf 2025 in Mollis nicht reichen wird. Die Sägemehl-Kapitalisten bezahlen den Preis für ihre Naivität. Der Sägemehlring als heile Welt. Wo Geist und nicht Geld den Sport prägen. Wo alte Bräuche und Werte gepflegt werden. Der wertkonservative Sport wird zu einer Gegenwelt. Schwingen hat wie kaum ein anderer Sport auch eine politische und kulturelle Bedeutung in unserem Land. Schwingen findet immer mehr mediale Beachtung und ist auch in den urbanen links-grünen Zentren des Landes populär. Schwingen ist telegen. Die kräftigen Kerle in Zwilchhosen zählen zu den bekanntesten Personen unserer Zeitgeschichte. Das Schwingen erlebt einen beispiellosen Boom.
Aber der Boom frisst seine Kinder: Beim letzten Eidgenössischen in Pratteln (2022) gab es zum ersten Mal in der Geschichte rote Zahlen und die wirtschaftlichen Aussichten fürs nächste Eidgenössische (2025 in Mollis) sind trüb. Die Entwicklung ist aus dem Ruder gelaufen. Was ist passiert?
Zahlen zeigen, welch stürmische kommerzielle Entwicklung das Schwingen hinter sich hat. Die Budgets der Eidgenössischen Schwingfeste im 21. Jahrhundert:
Die juristische Ausgangslage ist interessant: Das Eidgenössische wird nicht vom Eidgenössischen Schwingerverband (ESV) organisiert. Die Verbandsdelegierten bestimmen lediglich den Austragungsort. Dort wird dann eine eigenständige Organisation gegründet, die das Fest durchführt, das gesamte finanzielle Risiko trägt, die Sponsoren sucht, den Gabentempel finanziert und alle Einnahmen kassiert. Der Verband ist nur prozentual an den Ticketeinnahmen beteiligt. Selbst wenn die Festorganisation Minus macht, hat der Verband sein Geld. Es hat Bestrebungen gegeben, die Festorganisation und damit das Risiko dem Verband zu überlassen. Doch die Delegierten haben dieses Ansinnen 2017 klugerweise abgelehnt.
Aus dem Eidgenössischen ist inzwischen eines der wichtigsten und finanziell aufwändigsten Sportereignisse des Landes geworden. Die Kommerzialisierung findet 2019 in Zug ihren vorläufigen Höhepunkt: Unter der Führung von Heinz Tännler gelingt das sportlich perfekte und finanziell erfolgreichste Eidgenössische der Geschichte. Infrastruktur, Anschluss an den öffentlichen Verkehr, Wetter, Sport – alles stimmt. Nach Auszahlung von 1,4 Millionen an die Helferinnen und Helfer und der Alimentierung einer neu geschaffenen Stiftung mit einer Million verbleibt ein Gewinn von 850'000 Franken.
Nach Zug ist der Himmel die Limite: Das Eidgenössische ist eine Geldmaschine. Alles geht. Dabei wird von den reichlich naiven Sägemehl-Kapitalisten übersehen, dass die Voraussetzungen in Zug einmalig günstig waren und Zug nicht wiederholt werden kann. Auch, weil noch nie bei einem Eidgenössischen die Verbindungen zur Politik so gut waren und wohl nie mehr so gut sein werden: OK-Präsident Heinz Tännler ist zugleich Finanzdirektor des Kantons Zug, einer der reichsten Provinzen auf Erden. Wenn er fürs Eidgenössische 2019 etwas von der Politik braucht, dann stellt er ein Gesuch, läuft um den Schreibtisch herum und bewilligt es. Was an allen anderen Austragungsorten wochenlange politische Zänkereien verursacht, konnte in Zug vom OK-Chef während der Kaffeepause erledigt werden. Zug war für das Eidgenössische ein Disneyland.
Nun sind die naiven Sägemehl-Kapitalisten in der Wirklichkeit angekommen. Die Kosten für Infrastruktur, Gastronomie (die Sponsoren zahlen nicht nur Millionen, sie wollen ihre Gäste auch bewirtet sehen) und den Aufbau der weltweit grössten Arena auf freiem Feld, für Sicherheit und Verkehrsführung sind explodiert. Und wenn alle wissen, wie viel Geld im Spiel ist, wird halt auch für jede Handreichung Rechnung gestellt. Willkommen in der Welt des knallharten Sportgeschäftes.
Der Verband bleibt bei den ganzen sportkapitalistischen Auswüchsen unabhängig. Die Sägemehl-Gralshüter sorgen dafür, dass alle sportlichen und sonstigen Reglemente eingehalten werden (dazu gehört auch das Werbeverbot in der Arena). Die schlanke, effiziente Verbandsadministration im Dorf Ersigen, Stammsitz der grossen Sägemehl-Dynastie der Gasser im bernischen Herzland des Schwingens, kostet lediglich eine Million im Jahr. Der Verband ist zwar auf die Einnahmen aus dem Ticket-Verkauf des Eidgenössischen angewiesen. Aber nicht existenziell. In Pratteln konnte ein beschämendes Defizit nur vermieden werden, weil der Verband soeben auf die letzte ihm zustehende Tranche aus den Ticketeinnahmen verzichtet hat.
Nun rauschen die Macher des Eidgenössischen womöglich sehenden Auges dem nächsten eidgenössischen Finanz-Debakel entgegen. Mollis 2025 nach Pratteln 2022 das nächste Eidgenössische mit roten Zahlen? Zumindest ist das Problem jetzt bereits erkannt. Es bleibt Zeit für die Korrektur.
Die rührigen Organisatoren des Eidgenössischen zu Mollis kennen die Uhr. Aber wissen sie auch, was es geschlagen hat?