Das ZFF stellt KI-Star Tilly Norwood vor – Hollywood ist entsetzt
Tilly Norwood wird nie einer Schauspielgewerkschaft beitreten oder auch nur ein einziges Wort gegen eine Regieanweisung äussern, wird keine hohen Gagen, keine geregelten Arbeitszeiten und kein glutenfreies, makrobiotisches Catering verlangen. Sie wird nie krank sein oder Kopfschmerzen kriegen, keine Menstruationsbeschwerden haben und auch nicht schwanger sein. Oder älter werden. Sie wird immer clean, nett und leistungsbereit sein. Und eine Frau ohne Rechte. Die Porno-Industrie dürfte sich die Hände reiben.
Tilly Norwood spricht mit einem bekömmlichen britischen Akzent, kommt angeblich aus London, ihr Haar ist ungefährlich braun und sie sieht aus, als wären Mila Kunis, Keira Knightley, Natalie Portman, Gal Gadot, Ana de Armas und Sarah Hyland (aus «Modern Family») in einen digitalen Mixer geworfen worden. Letzteres dürfte einigermassen den Tatsachen ihrer Herstellung entsprechen. Denn die «Schauspielerin» Tilly Norwood, die am vergangenen Samstag im Rahmen der ZFF-Branchenveranstaltung Zurich Summit dem Fachpublikum vorgestellt wurde, ist kein Mensch. Sie ist eine KI.
Vorgestellt wurde sie von ihrer «Mutter», der 39-jährigen Holländerin Eline van der Velden, früher selbst Schauspielerin, Komikerin und studierte Physikerin, heute digitale Unternehmerin, Gründerin und CEO von Particle6, dem «weltweit führenden KI-Produktionsstudio», wie es in der Selbstbeschreibung heisst. Tilly ist eine Kreatur des zu Particle6 gehörenden Studios Xicoia.
Van der Velden hatte bereits Ende Juli in einem Interview gesagt: «Wir wollen, dass Tilly die nächste Scarlett Johansson oder Natalie Portman wird. Das Publikum? Es interessiert sich für die Geschichte – nicht dafür, ob der Star noch lebt. Tilly weckt bereits das Interesse von Talentagenturen und Fans. Das Zeitalter der synthetischen Schauspieler kommt nicht erst – es ist bereits da.» Und Schauspielagenturen, die Tilly Norwood gern unter Vertrag nehmen würden, sind auch bereits da.
Noch vor fünf Monaten war Tilly ein gut gehütetes Geheimnis, da redete van der Velden einzig über einen «Format Creator», eine KI, die man mit einer Serien- oder Filmidee anstupsen könne, worauf die KI alle bereits existierenden Filme oder Serien des betreffenden Genres scannen würde, um Doubletten zu vermeiden. Das so entstehende Konzept sei entsprechend einzigartig. Denn der wichtigste Begriff für van der Velden ist immer noch «Kreativität». Und alle ihre Produkte seien dazu da, «Kreativität zu demokratisieren». Weil mit einem Bruchteil bisheriger Budgets ein Film oder eine Serie herstellbar sei.
Sie selbst vergleicht die für alle anderen bedrohlichen Fortschritte von KI in der Filmbranche mit der Zeit, als vor gut 100 Jahren in Hollywood die grossen Studios entstanden – Universal, Warner, Disney. Eine Big-Tech-Revolution auch das, aber eine, die unzählige Arbeitsplätze schuf. Van der Velden will genau so gross wie ihre alten Vorbilder werden. Indem sie die Arbeitsplätze anderer vernichtet.
Der Weg von Zürich nach Hollywood war am vergangenen Wochenende unmittelbar, kurz nach der Präsentation von Samstag reagierten Stars wie Toni Collette, Ralph Ineson und Lukas Gage.
Fuck off https://t.co/nMV2B6V0co
— Ralph Ineson (@ralphineson) September 27, 2025
Und am Montag wurde Emily Blunt vom Branchenmagazin «Vatriety» in einem Interview mit Tilly Norwood konfrontiert. «Ob mich das enttäuscht? Ich weiss nicht, wie ich darauf antworten soll, ich kann nur sagen wie erschreckend das ist», sagte Blunt. Als ihr ein Bild von Norwood gezeigt wurde, rief sie aus: «Nein, ist das Ihr Ernst? Das ist eine KI? Meine Güte, wir sind verloren. Das ist wirklich sehr beängstigend. Bitte, Agenturen, tun Sie das nicht. Bitte hören Sie auf damit. Bitte hören Sie auf, uns unsere Menschlichkeit zu nehmen.» «Aber wir haben doch Scarlett Johansson», sagte sie zu van der Veldens Zukunftsvision.
SAG-AFTRA, die Gewerkschaft der amerikanischen Filmschaffenden, meldet am Dienstagnachmittag: «Um es klar zu sagen: ‹Tilly Norwood› ist keine Schauspielerin, sondern eine Figur, die von einem Computerprogramm generiert wurde, das mit den Werken unzähliger professioneller Darsteller trainiert wurde – ohne deren Zustimmung oder Vergütung.»
Eline van der Velden hat auf Tilly Norwoods Instagram-Account eine Entschuldigung versucht – sie wolle mit Tilly keine richtige Schauspielerin ersetzen, schreibt sie, sie sehe eine KI wie Tilly vielmehr als neue kreative Spielart, als Tool, als «Pinsel», als «frische Möglichkeit». Tilly zu schaffen sei für sie «ein Akt der Handwerkskunst» gewesen. Einer teuflischen Handwerkskunst. Und wie war das schon wieder mit ihrer Bemerkung, dass es dem Publikum egal sein, ob eine Schauspielerin lebe oder nicht? Ihr selbst ist es jedenfalls ganz und gar gleichgültig.