«Genug von Pseudowettbewerb»: Das sagt die Politik zur Einheitskrankenkasse
68 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sind «bestimmt dafür» oder «eher dafür», dass in der Schweiz eine Einheitskrankenkasse eingeführt wird. Das geht aus einer Umfrage hervor, die das Forschungsinstitut Leewas im Auftrag der Tamedia-Zeitungen durchgeführt hat.
Die durchschnittliche Monatsprämie wird nächstes Jahr 393.30 Franken betragen, 4,4 Prozent mehr als im laufenden Jahr. Bei Einführung des Krankenkassen-Obligatoriums 1996 lag die durchschnittliche Prämie noch bei 128 Franken. Oder anders ausgedrückt: In knapp 30 Jahren haben sich die Prämien ziemlich genau verdreifacht.
Der Ruf nach einer Einheitskrankenkasse ist eigentlich ein linkes Anliegen. Zuletzt hat die Stimmbevölkerung eine entsprechende Volksinitiative 2014 deutlich abgelehnt.
Bei der aktuellen Umfrage sind die Wählerinnen und Wähler aller Parteien mehrheitlich für die Einführung einer Einheitskasse. Gegenüber watson nehmen Politikerinnen, Politiker und der Krankenkassenverband Stellung.
«Genug von Pseudowettbewerb»
Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP, ist vom Ergebnis der Umfrage nicht überrascht:
Kurzfristig gelte es zu verhindern, dass die Medikamentenpreise wegen Trumps Zollpolitik explodieren, sagt Meyer. Dabei zahle die Schweiz schon heute europaweit die höchsten Preise für Medikamente. Mit Blick auf das Salär von Novartis-Chef Vas Narasimhan sagt Meyer:
«Höchstens kosmetische Wirkung»
Diana Gutjahr, SVP-Nationalrätin aus dem Kanton Thurgau, sitzt wie Meyer in der Gesundheitskommission des Nationalrats. Sie verstehe den Unmut der Bevölkerung, sagt sie gegenüber watson. Eine Einheitskrankenkasse sei aber das falsche Instrument:
Für Gutjahr ist klar, dass man die Kosten nur in den Griff bekommt, wenn man das Leistungsangebot in der Grundversicherung rigoros strafft: «Die Grundversicherung sollte wirklich nur die allerwichtigsten Leistungen beinhalten. Für den Rest kann jeder die Risiken selbst abschätzen und zusatzversichern.»
Bei den Löhnen von Krankenkassen-CEO bietet Gutjahr Hand. «Erstens ist es störend, wenn die Schweizer Bevölkerung nicht weiss, wie sie die Prämien bezahlen soll, während sich die Chefs der Krankenkassen derart hohe Löhne ausbezahlen.»
Zweitens würden diese kein unternehmerisches Risiko tragen – im Gegensatz zu KMU-Inhabern, die sich aber nie solche Löhne auszahlen könnten. Auch hier könnten zwar nur ein paar Rappen auf den einzelnen Versicherten heruntergerechnet eingespart werden. «Es hätte aber trotzdem Signalwirkung. Die Krankenkassen würden damit zeigen, dass sie bereit sind, überall Kosten zu senken», so Gutjahr.
Scheinlösung oder nicht?
Während die SP für die Einführung der Einheitskrankenkasse weibelt und die SVP sie bekämpft, schaut man bei den Grünliberalen nüchtern darauf. «Ich könnte mit einer Einheitskrankenkasse leben», sagt Patrick Hässig, GLP-Nationalrat und diplomierter Pflegefachmann. «Sie ist allerdings nur eine Scheinlösung, weil sie am wahren Problem nichts verändert.»
Mit den überrissenen Managerlöhnen und den kostspieligen Werbekampagnen liesse sich vielleicht etwas Geld einsparen. Das seien aber «Peanuts» im Vergleich zu den Kosten, die zum Beispiel durch die Spitalplanung generiert würden:
Das föderalistische System müsse besser koordiniert werden. Dies aus qualitativen und finanziellen Gründen. Denn das sei heute viel zu wenig der Fall. Hässig plädiert deshalb dafür, dass die Spitalplanung und andere zentrale Aspekte der Gesundheitsversorgung mit nationalen Kompetenzen ausgestattet werden. «Es braucht den Druck vom Bund, damit sich die Kantone bewegen.»
Mattea Meyer sagt, es könne keine Rede davon sein, dass die öffentliche Krankenkasse eine Scheinlösung sei. «Allein der Wechsel von der einen Krankenkasse zur anderen verursacht hunderte von Millionen Franken Mehrkosten jedes Jahr.»
Im heutigen System hätten die Krankenkassen deswegen auch kaum Interesse an der Gesundheitsprävention der Versicherten – er oder sie könnte ja nächstes Jahr zur Konkurrenz wechseln.
Verband findet Managerlöhne vernachlässigbar
Der Verband prio.swiss, dem alle Krankenkassen angehören, teilt auf Anfrage von watson mit, er nehme die berechtigten Sorgen der Bevölkerung wegen der Kostensteigerung im Gesundheitswesen ernst.
Einer «staatlichen Einheitskasse mit Monopolstellung» erteilt der Krankenkassenverband aber eine Abfuhr: «Sie hätte keine positiven Auswirkungen auf die Prämien, weil 95 Prozent davon für Gesundheitskosten ausgegeben werden und nicht für Betriebskosten der Versicherer. Sie würde Innovation verhindern, die Digitalisierung verlangsamen und die Servicequalität beeinträchtigen.»
watson wollte von prio.swiss auch wissen, inwieweit der Verband bereit sei, sich in Richtung tiefere Managerlöhne und geringere Werbekosten zu bewegen. Dazu sagt der Verband: «Die Kosten, die durch die Werbung und durch die Vergütung der Führungskräfte der Krankenversicherer entstehen, sind für die Prämienzahler und Prämienzahlerinnen vernachlässigbar. Sie machen zusammen weniger als 0,3% der Prämien aus, was einem Franken pro Versicherten und Monat entspricht.» Zudem seien die Versicherer konstant daran, die Effizienz zu steigern und den Anteil der Betriebskosten zu senken.
Die SP hat Ende 2023 angekündigt, einen neuen Anlauf zur Einführung einer öffentlichen Krankenkasse nehmen zu wollen. Geplant sei eine breite Allianz aus Parteien und Dachorganisationen, sagt Co-Präsidentin Meyer.