Für Corinne Suter gibt es eigentlich nichts Schlimmeres, als nichts zu tun. Und trotzdem tat sie genau das. «Ich verdunkelte mein Zimmer und legte mein Handy weg. Ich habe kein Fernsehen geschaut und nicht einmal gelesen», erzählt sie in Méribel, vier Tage, bevor eigentlich ein weiteres Kapital ihrer Erfolgsgeschichte an Grossanlässen geschrieben werden soll.
Man merkt Suter an, das etwas anders ist als an den drei Titelkämpfen zuvor, als sie an den Weltmeisterschaften in Åre und Cortina sowie an den Olympischen Spielen in Peking insgesamt fünf Medaillen gewann. Statt voller Zuversicht am Mittwoch mit dem Super-G ins WM-Abenteuer zu starten, plagen Suter Zweifel und Unsicherheiten, seit sie vor zwei Wochen gestürzt war und sich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen hatte.
«Kopfverletzungen sind immer ein heikles Thema», sagt die 28-Jährige. «Niemand kann dir genau sagen, was das Rezept ist. Das muss man selbst herausfinden.» Bei ihr war es Ruhe und Schlaf. Und ist es noch immer. Zwar konnte Suter in den vergangenen Tag wieder mit dem Team trainieren, aber nicht im gewohnten Umfang. Zu schnell wird sie zu müde.
«Auf den Ski ging es eigentlich schon ganz gut», sagt Suter. Aber das Konditionstraining am Nachmittag oder die Videoanalyse, alles Dinge, die es eigentlich ebenso braucht, um bereit zu sein für Siege, sind der Schwyzerin noch immer zu viel. «Darum kann ich nicht sagen, wie ich rennmässig funktionieren werde und muss von Tag zu Tag schauen.»
Einen Start am Mittwoch plant Suter gleichwohl. Cheftrainer Beat Tschuor sagt: «Entscheiden tut sie selbst.» Aus medizinischer Sicht gäbe es keine Einwände. Abgesehen von der Müdigkeit hat sie keine neurologischen Probleme. Suter kämpft weder mit Schwindel noch Schlaflosigkeit. Und auch Doppelbilder, wie sie zum Beispiel Mauro Caviezel plagten, sieht die Abfahrts-Weltmeisterin und Olympiasiegerin nicht. Und doch: Ideal sind die Voraussetzungen, dass sich die Erfolge wiederholen könnten, nicht.
Suter kämpfte bereits vor dem Sturz mit Problemen. Nachdem sie mit vier Podestplätzen in den ersten vier Rennen perfekt in die Saison gestartet war, kam der Bruch. Seit einem Super-G Anfang Dezember in St. Moritz war sie nie mehr besser als auf Rang zehn klassiert. Oder anders ausgedrückt: Suters Selbstvertrauen war auch zuvor nicht grenzenlos.
Jetzt gibt es natürlich die Möglichkeit, dass der Sturz oder besser gesagt dessen Folgen ihr genau jene Lockerheit verleihen, die beflügeln kann. Zumal sie aufgrund der Vorgeschichte automatisch aus dem Kreis der Topfavoritinnen fällt. Anderseits, und das betont auch Tschuor, «geht ein solcher Sturz an keiner Athletin spurlos vorbei». Auch wenn Suter selbst überzeugt ist, dass sie den Unfall mental verarbeitet habe, wird wohl erst das Rennen am Mittwoch zeigen, wie befreit sie wirklich auftreten kann.
Bis dahin will sich Suter möglichst viel Ruhe gönnen. Nach fünf Minuten verlässt sie darum das House of Switzerland in Méribel wieder. Für ein Schläfchen am Nachmittag. Weil es das ist, was ihr am meisten hilft. Auch wenn Nichtstun, wie sie selbst sagt, «das Langweiligste ist, das es gibt». (aargauerzeitung.ch)
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