Liebu
Wer sich von so vielen Rückschlägen nicht unterkriegen lässt, ist schon ein Sieger und jetzt hat er es endlich auch sportlich aufs Podest geschafft.
Chapeau.
Als er im Ziel einfährt, weiss AJ Ginnis bereits, dass ihm eine gute Fahrt gelungen ist. Schliesslich zeigt die Anzeigetafel über acht Zehntel Vorsprung auf den Norweger Alexander Steen Olsen, den er im ersten Durchgang nur hauchdünn geschlagen hatte. Doch dass er am Ende auf dem Podest landen würde, hätte der 28-Jährige in diesem Moment wohl nicht mal zu träumen gewagt. Schliesslich stehen noch 22 Fahrer oben und Ginnis erreichte zuvor noch nie die Top 10.
Doch dem Griechen gelingt die Sensation – sein bisheriges Bestresultat (11. Platz) pulverisiert er als Zweiter regelrecht. Als erster griechischer Skifahrer steht Ginnis damit auf einem Weltcup-Podest. «Das ist ein Traum», sagt er danach und fügt im SRF-Interview an: «Ich kann es nicht glauben.»
Alexandros Ioannis Ginnis, wie er mit vollem Namen heisst, wurde in Athen als Sohn eines Griechen und einer US-Amerikanerin geboren. In Griechenland begann er dann auch bereits im Alter von zwei Jahren mit dem Skifahren, weil sein Vater im Parnass-Gebirge eine Skischule führte. Und obwohl er in Vouliagmeni, einem Vorort der Hauptstadt am Strand, aufwuchs, zog es ihn immer wieder in den Schnee. Daran änderte sich natürlich nichts, als die Familie nach Österreich zog, wo der Vater weiterhin als Skilehrer arbeitete.
Da war Alexandros Ginnis zwölf Jahre alt und bald einmal war ihm klar, dass er es versuchen wollte, das Hobby zum Beruf zu machen. Um seine Chancen zu steigern, zog die Familie drei Jahre später in die Heimat der Mutter, wo AJ Ginnis in Vermont auf die renommierte Green Mountain Valley School, eine auf Skisport spezialisierte Schule, ging. Die ersten Erfolge liessen nicht lange auf sich warten, mit 16 Jahren gewann er erste FIS-Rennen und wurde dann im Frühling 2012 ins US-Entwicklungsteam aufgenommen.
Doch schon bald stoppte ihn die erste Verletzung – der Traum von den Olympischen Spielen 2014 platzte, als er die Qualifikation nach seiner Rückkehr vom Kreuzbandriss verpasste. Es sollte aber nicht der schlimmste Schicksalsschlag in dieser Phase sein. Sein Vater verstarb völlig überraschend, als Ginnis gerade einmal 19 Jahre alt war. Und trotzdem liess er sich nicht von seinem Weg abbringen. Dank eines Fundraisings konnte er seinen Traum von der Skikarriere weiterführen und debütierte dann im Dezember 2014 in Madonna di Campiglio im Weltcup.
Sein Talent bewies er dann auch an der Junioren-Ski-WM im norwegischen Hafjell, wo er Slalom-Bronze gewann. Sieger des damaligen Rennens war ein gewisser Henrik Kristoffersen. Doch die Wege der beiden Podestfahrer verliefen in der Folge völlig unterschiedlich. Zwar holte Ginnis zwei Jahre nach seinem Debüt an selber Stelle die ersten Weltcup-Punkte, doch wurde der US-Fahrer von zwei weiteren schweren Verletzungen am Kreuzband ausgebremst. Derweil etablierte sich der Norweger in der Weltspitze.
Ginnis hingegen verpasste auch die Olympischen Spiele 2018 und verlor nach der Saison 2019/20 die finanzielle Unterstützung des US-Teams. Und so entschied sich der US-griechische Doppelbürger für einen Verbandswechsel. Bei den Griechen ist er ein Einzelkämpfer – als er im Januar 2021 in Flachau Elfter wurde, waren das die ersten Weltcup-Punkte für das Land an der Ägäis. Einmal mehr träumte Ginnis so von den Olympischen Spielen, die im Jahr darauf in Peking stattfinden würden. Einmal mehr platzte dieser Traum aufgrund einer Knieverletzung.
Doch einmal mehr kämpfte sich der Skifahrer auch durch die Reha und kehrte in den Weltcup zurück. Im Dezember 2022 gab er in Val-d'Isère sein Comeback, wo er direkt auf den zwölften Rang fuhr. Aufgrund eines Einfädlers wurde er jedoch disqualifiziert. Die Freude war also von kurzer Dauer und das Leiden ging weiter vorerst weiter – bis zur Sensation in Chamonix vom heutigen Samstag.
Quando capisci che farai il primo podio in carriera 🤩🇬🇷#EurosportSCI | #FISAlpine | #Chamonix | #Ginnis pic.twitter.com/Ed2210Ehng
— Eurosport IT (@Eurosport_IT) February 4, 2023
Als Daniel Yule, der Drittplatzierte nach dem 1. Lauf, hinter Ginnis zurückfällt, übermannen diesen die Emotionen. Noch immer auf dem Thron des Führenden, springt er über die Absperrung und seinen Kollegen in die Arme. «Operationen und Rückschläge sollen verdammt sein. Ich bin die glücklichste Person der Welt», schreibt Ginnis nach dem letzten Rennen vor der WM auf Instagram.
And shoutout to AJ Ginnis former US Ski Team member in 2nd!!! pic.twitter.com/q7JczdjXQ1
— Stifel U.S. Alpine Team (@usalpineskiteam) February 4, 2023
Aber nicht nur bei ihm ist die Freude riesig. Kristoffersen, der sich acht Jahre zuvor das Podium mit Ginnis geteilt hatte, bezeichnet die Podestpremiere des Griechen in den sozialen Medien als «Highlight des Tages». Die ehemaligen US-Teamkollegen freuen sich ebenfalls lautstark über das tolle Ergebnis. Sieger Ramon Zenhäusern sagt im SRF-Interview: «Genial, dass er es geschafft hat. Ich mag es ihm vom Herzen gönnen.» Damit wird der Schweizer Slalomspezialist nicht alleine sein.