Ryan Regez ist in seinem Element. Immer wieder schnappt sich der frischgebackene Doppelweltmeister auf der kleinen Bar, die auf der Bühne aufgebaut wurde, einige Bierdosen. Dann wirft er sie in das durstige Publikum, wo Fans unter tosendem Applaus die Dosen auffangen.
Einmal, als einer das scharf geschossene Getränk nicht gleich greifen kann, sagt er unter Gelächter des Publikums: «An mir lag's nicht.» Später hält er wieder das Mikrofon in seiner Hand und sagt: «Eigentlich dachte ich ja, dass hier ein Podium stehen würde. Aber natürlich ist auch eine Medaillenzeremonie an der Freestyle-WM Freestyle. Das ist einfach geil hier! Danke für alles!»
Die Show an diesem Samstagabend gehört dem Schweizer Skicross-Champion. Noch am Nachmittag hat er sich gemeinsam mit Fanny Smith nach dem Einzeltitel auch im Mixed Gold geholt. Und da an diesem Samstag auch der goldene Freitag mit drei Schweizer Goldmedaillen zelebriert wird, nimmt das Heimteam die Bühne zu einem grossen Teil ein.
Während Regez dabei als Showman auftritt, erscheint Slopestyle-Weltmeisterin Mathilde Gremaud mit grosser Brille mit durchsichtigem Rand, gehüllt in eine Schweizer Fahne. Fast etwas schüchtern sagt sie: «Ich finde es ja schon cool, dass es überhaupt eine solche Feier gibt an einer Freestyle-WM.» Und Fanny Smith strahlt mit ihren beiden goldenen Medaillen; auf Schweizerdeutsch sagt die Westschweizerin: «Es ist grossartig hier.»
Wir befinden uns bei der Olympiaschanze in St. Moritz. Dort, wo 1928 und 1948 an den Winterspielen Sportgeschichte geschrieben wurde. Statt der fliegenden Skispringer zeigen hier in diesen Tagen die besten Freeskier und Snowboarder ihre Sprünge. Eine riesige Big Air wurde aufgebaut. An den Nachmittagen dieses Wochenendes testen schon mal jene Athletinnen und Athleten die Schanze, die in dieser Disziplin die besten der Welt sind. Mehrere Schrauben, Saltos, Grabs. Es sind Tricks, die schon beim Zusehen im Training Respekt einflössen.
Die Big Air bei der Olympiaschanze ist eine der grossen Attraktionen der Freestyle-WM, aber nur eine von vielen. 17 Disziplinen gibt es insgesamt, alle finden auf Ski oder Snowboards statt. Es handelt sich in erster Linie um Randsportarten, viele erhalten selten jene Aufmerksamkeit wie an einer solchen WM.
Gleich neben der Big Air befindet sich eine gigantische Bühne. Am Freitag trat dort Mando Diao auf, am nächsten Samstag ist der deutsche Rapper Sido das Zugpferd. Wie bei vielen Festival-Veranstaltungen werden an der WM Musik und Sport miteinander kombiniert. Dadurch soll das jüngere Publikum angezogen werden. Die Stimmung vor Ort ist gut, am Samstagabend bei den DJs Sam Feldt und Bennet sogar ausgelassen. Die Meute tanzt, doch der Platz ist nicht ganz gefüllt. Bei Ständen hat es Wege für Warteschlangen, die ungenutzt bleiben.
Auch am Berg hätte es überall noch ein bisschen mehr Platz für Publikum. Dennoch zeigen sich die Organisatoren zufrieden. «Bisher hatten wir rund 60'000 Zuschauer und Zuschauerinnen entlang der Wettkampfstätten, das ist sehr gut», bilanziert Milan Derouck, der CEO der Freestyle-Weltmeisterschaften. Von Athletinnen und Athleten einiger Sportarten wie des Parallel-Snowboardens oder Buckelpistenfahrens sei die Rückmeldung gekommen, dass sie sonst nie so viel Publikum hatten.
In Salastrains, am Fusse des Skigebiets in Corviglia, finden die Titelkämpfe im Alpine-Snowboard statt. Der violett gekleidete Fanklub des Snowboard-Paares Ladina und Dario Caviezel feuert auch die anderen Schweizerinnen und Schweizer an. Diese gehen unglücklich an beiden Tagen leer aus, Stimmung kommt dennoch auf. Als die tschechische Ski- und Snowboard-Olympiasiegerin Ester Ledecká am Samstag im Slalom-Final kurz wegrutscht und so die Goldmedaille an die Japanerin Tsubaki Miki vergibt, geht ein Raunen durch die Menge.
Oben auf dem Berg muss am selben Nachmittag der Start der Skicross-Mixed-Rennen nach hinten verschoben werden. Es windet, ist neblig. Dann und wann drückt doch noch die Sonne durch die Wolken, aber die Organisatoren hatten recht gehabt. Wegen des schlechten Wetters hatten sie die wichtigsten Wettkämpfe vom Wochenende auf den Freitag vorverschoben. Nur so war der goldene Freitag möglich geworden, an dem das Schweizer Team innerhalb von 84 Minuten dreimal Gold holte.
Die Vorverschiebung einiger Wettkämpfe sei nicht leichtgefallen, sagt Derouck. «Wir haben viele Diskussionen geführt, ehe wir so entscheiden mussten.» Durch die Verschiebungen der Ski-Slopestyle-Wettkämpfe beispielsweise, die zu den beliebtesten der gesamten WM gehören, kamen weniger Menschen als erhofft. «Bei unserem Testevent sind mehr Zuschauende gekommen, damals war es an einem Wochenende. Natürlich hätten wir die Wettkämpfe lieber am Samstag durchgeführt, aber es blieb uns wenig Spielraum.» Als der Bündner Lokalmatador Andri Ragettli knapp am Podium vorbeisprang, waren zwar Fans mit dabei, aber sicher weniger, als es an einem Samstag der Fall gewesen wäre.
In diesen Tagen treffen in St. Moritz zwei Welten aufeinander, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Der Ort der Superreichen mit viel Schickimicki trifft auf die coolen Freestyler. Pelzmäntel auf Baggy Pants. In der Innenstadt ist von diesem Gegensatz nur wenig zu spüren. Hier und da sind zwar einige junge, cool gekleidete Menschen zu sehen, es dominieren aber jene Menschen das Stadtbild, die auch sonst dort Ferien machen. Umgekehrt ist das Bild an den Veranstaltungsstandorten, eine Durchmischung findet kaum statt. In einem Café im Zentrum sagt der Kellner auf die Frage, wie sehr die Freestyle-WM spürbar sei: «Ah, stimmt ja. Ich habe fast vergessen, dass hier eine WM ist.»
Dabei lockt die Freestyle-WM ihre Besucher mit attraktivem Angebot. Alle Sport-Events sind ausser den VIP-Bereichen gratis. Lediglich das Festivalgelände kostet Eintritt. Zudem ist die Fahrt mit dem Zug und Bus innerhalb von Graubünden gratis, genauso wie Shuttle-Busse.
Das alles kostet aber viel Geld. Bereits im Vorfeld der WM wurde bekannt, dass die Organisatoren im schlechtesten Fall mit einem Defizit von 2 Millionen Franken rechnen. Dass dieser Worst Case eintreten könne, sei nicht auszuschliessen, sagt der CEO. «Wir wissen, dass eine Organisation einer solchen Veranstaltung einige Risiken beinhaltet», so Derouck.
Insbesondere die Tatsache, dass 1800 Athletinnen und Athleten an der WM sind – und somit mehr als geplant – und zudem in der Vorbereitung eine ungünstige Wettersituation herrschte, sorgt für hohe Kosten. Mitten während der WM seien hierbei aber noch keine Zahlen kommunizierbar.
Der Stimmung an diesem Wochenende tun solche Debatten vorerst keinen Abbruch. CEO Milan Derouck sagt: «Die Stimmung ist grossartig und entschädigt für einiges.» In den nächsten Tagen dürfte das Wetter im Engadin etwas schlechter werden, doch spätestens am nächsten Wochenende wird wieder einiges los sein, wenn die Snowboarder und Freeskier in der Halfpipe um die Medaillen springen. Am Sonntag findet die WM in St. Moritz dann ihr Ende. Und vielleicht feiern dann wieder vor allem Schweizer auf der grossen Showbühne. (aargauerzeitung.ch)
Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sich das Snowboard-Halfpipe Publikum dort wirklich wohlfühlt. Und die Louis Vuitton/Pelzmantel-Fraktion hat vielleicht auch nun beschränktes Interesse an den Anlässen.
Entweder ist die 🇨🇭 zu teuer für solche Events, oder man sollte über Redimensionierung nachdenken. Villeicht sind die Events einfach zu gross für die Nachfrage 🤷♂️