Verletzungen gehören zum Profigeschäft. Dessen war sich Lucien Koch immer bewusst. Die Geschichte des Freestyle-Snowboarders ist allerdings besonders brutal. Auf dem Karrierehöhepunkt wurde er ausgebremst. Und zwar gleich viermal.
Angefangen hat alles im Jahr 2015. An der WM am Kreischberg belegte Koch, damals 19-jährig, den vierten Platz im Big Air und schrammte nur ganz knapp an einer Medaille vorbei. Es war das erste grosse Ausrufezeichen. Nur zwei Monate später feierte er seinen ersten Weltcupsieg. Koch gewann den Slopestyle-Wettbewerb von Spindlermühle, Tschechien.
Der Freestyle-Zirkus hatte Notiz genommen. Der Grabser war ganz oben angekommen. Seit den ersten Gehversuchen in Wildhaus hatte Koch den Traum gehegt, einmal zu den besten fünf Snowboardern der Welt zu gehören. Der Traum des damals zehnjährigen Jungen wurde immer realistischer. «Nach der Saison 2014/15 dachte ich: ‹Jetzt geht es in die richtige Richtung. Ich kann es bis ganz an die Spitze schaffen›», sagt Koch.
Er wurde ins Nationalkader aufgenommen und gehörte bald zu den festen Grössen im starken Schweizer Freestyle-Team. Als Belohnung für den herausragenden Winter erhielt der Newcomer Einladungen zum Air and Style und den Euro X-Games. «Das war eine riesige Ehre und Bestätigung für mich. Man kann sich für diese Events nicht qualifizieren, sondern wird von den Veranstaltern ausgewählt.»
Kochs Aufstieg an die Weltspitze schien nichts mehr im Weg zu stehen. Doch vor dem ersten Wettkampf der Saison 2015/16 erlitt der Snowboard-Profi eine Knieverletzung. Ein Knochenstück am Patellasehnenansatz brach heraus, eine Operation war unumgänglich und die Saison gelaufen. Der St.Galler konnte den zwei Einladungen zu den Freestyle-Events nicht Folge leisten.
Koch rechnete damit, spätestens Ende 2016 in den Weltcup zurückzukehren. Der Heilungsprozess verlief aber alles andere als wunschgemäss. Die Wunde am Knie entzündete sich und liess die Rückkehr platzen. Koch verpasste einen weiteren Winter.
Trotz zwei enttäuschenden Jahren unternahm der Werdenberger einen nächsten Comeback-Versuch, und prompt kam ein nächster Rückschlag: Koch brach sich das Handgelenk im Training des ersten Wettkampfs. Als er sich wenig später noch einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zuzog, war auch diese Saison Geschichte.
Im vergangenen Jahr dann der letzte Anlauf Kochs. Doch erneut vermieste ein Muskelfaserriss die Rückkehr. Nach vier Jahren ohne einen einzigen Wettkampf riss der Geduldsfaden. Vor gut einem Monat entschied sich Koch, seine Karriere als Profisportler aufzugeben.
Der Rücktritt sei ihm nicht wirklich schwergefallen, erklärt der 23-Jährige, im Gegenteil: «Nach all den Jahren der Enttäuschung war es eine Erleichterung. Ich habe mich lange am Spitzensport festgeklammert. Am Ende war es wie mit einer Freundin, die nicht mehr zu dir passt, und von der du dich allmählich schweren Herzens trennen musst.»
Seit 2015 hat sich das Niveau im Freestyle-Zirkus dank neuer Trainingsmethoden aus Asien enorm gesteigert. Koch ahnte schon vor zwei Jahren: «Jetzt bin ich weg vom Fenster.» Er gab dennoch nicht auf, auch weil ihn die Schweizerische Sporthilfe und die Spitzensportförderung der Armee finanziell unterstützen. «Ohne diese zwei Institutionen hätte ich schon 2017 aufgehört. Jetzt hat es zwar trotzdem nicht gereicht. Aber es hätte auch ganz anders kommen können», sagt der Weltcupsieger.
Wegen des sich abzeichnenden Scheiterns eines Comebacks begann Koch vor zwei Jahren mit einem Fernstudium in Betriebswirtschaft. «Wahrscheinlich breche ich es ab. Ohne die Wettkämpfe kann ich ja jetzt Vollzeit studieren», sagt Koch. Philosophie fände er interessant. Nebenbei würde er gerne etwas arbeiten. «Ich bin noch nie einem richtigen Job nachgegangen. Als Profisportler lebt man wie in einer Blase. Ich freue mich deshalb auf die neuen Herausforderungen und Erfahrungen.»
Auch wenn Koch das Leben als Spitzenathlet nicht wirklich vermissen wird, bleibt Snowboarden seine grosse Leidenschaft. «Es wird schön sein, wieder einmal ohne Wettkampfdruck aufs Brett zu gehen. In dem Moment, als Snowboarden zu meinem Beruf wurde, habe ich mein Lieblingshobby verloren.»
In Zukunft werde er nur noch «auf den Schnee gehen, um etwas herumzublödeln». Keine Zielvorgaben des Trainers, keine halsbrecherischen Sprünge, nur die Wertschätzung, gesund auf dem Brett zu stehen. Passend dazu sagt Koch: «Mit dem Rücktritt habe ich etwas verloren, aber auch viel gewonnen.»
Ich finde es aber toll, wie er die neuen Herausforderungen annehmen will und wünsche ihm auf seinem Weg alles Gut.