Das Beeindruckende an dieser Partie – auch aus taktisch-strategischer Perspektive – war der Spielrhythmus. Dieser definierte sich über die hohe Anzahl der Umschaltmomente, die Mischung aus schnellen Kombinationen auf engstem Raum und sehr weiträumigen Konterangriffen.
Damit entstanden eine Vielzahl unterschiedlicher Angriffsmuster, verschiedene Dynamiken und spektakuläre Angriffe mit aussergewöhnlichen Staffelungen. Aus taktischer und aus neutraler Sicht absolute Werbung für den Fussball.
Als zusätzliche Ursache für den exorbitanten Rhythmus gesellten sich einzelne Balanceprobleme, Löcher im Defensivverbund auf beiden Seiten, insbesondere in den jeweiligen Zwischenlinienräumen und eine enorme Nutzung vieler Akteure im Spiel nach vorne als Reaktion auf die gegnerischen Löcher. Dadurch verbunden gab es eine selten gesehene Anzahl von Gleichzahl- oder gar Überzahlsituationen; wie in einer der spielentscheidenden Szenen der ersten Halbzeit, als Thiago Silva einen vielversprechenden kolumbianischen Konter nahezu im Alleingang erstickte.
Dazu gesellten sich noch zahlreiche (taktische) Fouls und Unterbrechungen, welche im Verbund mit einer sehr kulanten Regelauslegung des Schiedsrichters (nur vier gelbe Karten bei 54 Fouls) die Intensität noch weiter verschärften. Mit fortschreitender Spieldauer nahm der Rhythmus zwar leicht ab, blieb aber immer als Grundstruktur vorhanden. Selbst in der Schlussphase war er in den Umschaltmomenten und letztlich auch im kolumbianischen Offensivspiel vorhanden. Bis zur Schlussphase waren die Brasilianer aber lange Zeit klar überlegen, was an einer intelligenten Aufbauspielweise gegen Kolumbiens Pressing lag.
Einmal mehr pressten die Kolumbianer mit ihrem extrem aggressiven, intensiven und mit einigen Mannorientierungen garnierten 4-4-2. Dabei liessen sich die beiden Stürmer Kolumbiens nur selten nach vorne auf die Innenverteidiger Brasiliens locken und wenn sie es taten, dann wurden sie meist von den spielstarken Luiz und Thiago Silva gekonnt umspielt. Standen sie tiefer, geschah das nicht, doch Brasilien zeigte einige gute Bewegungen, um dennoch nach vorne kommen zu können.
Neymar pendelte im Zwischenlinienraum in der Horizontale, bot sich dort viel an und liess sich situativ zurückfallen. Ergänzt wurde dies von Oscar, der sich teilweise weit nach hinten und in die defensiven Halbräume bewegte oder die Bewegungen Neymars ausglich.
Dazu kamen die Aussenverteidiger, die diagonale Rolle Hulks und die aufrückenden Läufe Paulinhos sowie Fernandinhos Pressingresistenz, welche im Verbund immer wieder das nominelle 4-4-2 Kolumbiens zu einem 4-4-1-1, 4-5-1 oder 4-4-2-0 verformten, wobei die Kolumbianer auch häufig bewusst so spielten oder auch in einem 4-1-3-2 agierten. Vielfach konnte Brasilien gut nach vorne kommen, war aber innerhalb der intensiven und aggressiven kolumbianischen Formation wieder hektisch und unterstützten letztlich dennoch den fast schon panisch wirkenden Rhythmus in dieser Partie. Gegen den Ball taten sie dies allerdings sowieso.
Kolumbien und Brasilien waren schon vor dieser Partie für ihr chaotisches und sehr laufintensives und körperbetontes Pressing bekannt. Beide liessen teilweise weite Räume offen und pressten diese dann sehr dynamisch zu, wenn sie bespielt wurden. Den Höhepunkt erreichte diese Spielweise in der brasilianischen Defensivspielweise in der heutigen Partie, wo sie zwischen 4-4-2, 4-4-1-1 und 4-1-3-2 wechselten, aber in allen Formationen eine unglaubliche Intensität und Aggressivität in ihrem Bewegungsspiel an den Tag legten.
Paulinho unterstützte häufig die beiden Stürmer und die Flügelstürmer, zuerst leiteten sie das Spiel auf den Flügel (oder zwangen Kolumbien direkt zu langen Bällen), danach schoben sie kollektiv auf den Ball und pressten über das gesamte Feld. Die sich häufig öffnenden weiten Räume wurden von Fernandinho und dem herausragenden Thiago Silva gestopft, wodurch diese chaotisch und unstrukturiert wirkende Spielweise stabil umgesetzt werden konnte – immer wieder versehen mit taktischen Fouls, wenn sich Instabilität andeutete. Diese Spielweise währte allerdings nur bis kurz vor Ende.
Spätestens nach dem 2:0 durch David Luiz zogen sich die Brasilianer zurück und überliessen Kolumbien das Spiel, welche ihrerseits immer stärker wurden. José Pekermans Wechsel taten ihr Übriges: Schon zur Halbzeit brachte er Adrian Ramos für Ibarbo. Das sorgte für mehr Präsenz und Bewegung im Zwischenlinienraum, wo Ramos zwischen einer Rolle als Tiefengebender und -ausweichender Mittelstürmer ganz vorne oder kurzzeitig für Ablagen zurückfallender hängender Stürmer pendelte. James Rodriguez und Cuadrado gaben die Flügel, Teo Gutierrez spielte mit Ramos ganz vorne.
Nach dem 0:2 wechselte Pekerman abermals; zuerst brachte er Bacca für Gutierrez und mehr Präsenz sowie eine abermals angepasste Rolle Ramos', danach kam mit Quintero ein sehr dribbelstarker Flügelstürmer für Cuadrado. Jetzt gaben Quintero und James in gewisser Weise zwei sehr einrückende und die Mitte besetzende Flügelzange, wobei James deutlich präsenter war.
Armero und Zuniga als Aussenverteidiger spielten extrem offensiv und gaben auch im letzten Spielfelddrittel die Breite, wodurch Brasilien sich weit zurückdrängen liess. Einzelne Konterversuche der «Seleçao» führten nicht zum Erfolg und in den letzten Minuten konzentrierte sich Scolari mit Ramires für Hulk, Hernanes für Paulinho und der verletzungsbedingten Einwechslung Henriques für Neymar komplett auf die Defensive.
Beinahe wäre das schief gelaufen, denn in dieser Phase war Kolumbien drückend überlegen. Doch letztlich hielt der Favorit und Gastgeber dem Sturmlauf stand. Alles in allem konnten die Brasilianer verdient gewinnen und treffen im Halbfinale auf die deutsche Nationalmannschaft.