Da sitzt sie, auf dieser erhöhten Bühne, die Kopfhörer in den Nacken gelegt, die Stimme leise, der Blick scheu, immer etwas verstohlen zum Boden gerichtet. Es fällt ihr sichtlich schwer, ihrem Gegenüber in die Augen zu schauen. Sie, das ist Naomi Osaka. Und wer die 21-Jährige da sitzen sieht, der kann kaum glauben, dass sie die Nummer 1 der Tennis-Weltrangliste ist. Dass sie vor einem Jahr im grössten Tennis-Stadion der Welt in einer feindseligen Atmosphäre ihr einstiges Idol Serena Williams bezwungen und die US Open gewonnen hat.
Über Williams sagt sie noch heute: «Ich kann ihr nicht einmal Hallo sagen, weil ich so nervös werde, wenn sie in der Nähe ist.» So gross sei ihr Respekt. So gross wie der Respekt der Tennis-Welt vor Osaka ist, die im Januar die Australian Open gewann und zum neuen Gesicht des Frauen-Tennis wurde.
Doch die Rolle behagt ihr nicht. Wie sehr sie unter der Aufmerksamkeit zu leiden scheint, offenbart sich in den letzten Monaten, über die Osaka sagt, sie seien «die schlimmsten meines Lebens» gewesen. In Paris scheiterte sie in der dritten Runde, in Wimbledon sogar in der Startrunde. Als sie nach einer Erklärung gefragt wurde, sagte sie nur: «Ich fühle mich, als müsste ich gleich losheulen.» Danach taucht sie unter. Erdrückt von der Traurigkeit.
Wenn Osaka nachts keinen Schlaf findet, in einem dieser dutzend anonymen Betten in einem dieser anonymen Hotels in diesen anonymen Städten, die zu ihrem temporären Zuhause werden, sind jene Kopfhörer, die mit ihr verwachsen zu sein scheinen, das Tor zur Welt. Für jede Stimmung, für jede Lebenslage hat sie eine Liste von Songs – um sich vor einem Spiel zu fokussieren, um zu entspannen. Die Playlist, die sie in diesen schlaflosen Nächten abspielt, hat sie mit drei Buchstaben betitelt. «Sad» – traurig.
Osaka ist das Produkt einer Welt, die ständig nach neuen Helden giert. Sie ist die erste Asiatin an der Spitze der Weltrangliste. Sie verkörpert all die Ambitionen und Sehnsüchte eines Kontinents. Dabei hat sie zum Begriff Heimat ein ambivalentes Verhältnis. Sie kam zwar in Japan zur Welt, lebt aber seit ihrem dritten Lebensjahr in New York. Die Mutter ist Japanerin, der Vater aus Haiti. Sie waren emigriert, nachdem die Familie mit der Mutter gebrochen hatte, weil diese mit einem schwarzen Mann liiert ist.
Osaka ist als Projektionsfläche so begehrt, dass sie zur bestbezahlten Sportlerin der Welt aufsteigt, mit Verträgen im Wert von 30 Millionen Dollar im Jahr. Aus Berufung wird Beruf. Das Erschreckende daran ist, wie selbst ihr Umfeld dazu neigt, Osaka zu enthumanisieren. «Sie ist aus Japan, hat einen multiethnischen Hintergrund mit Haiti und den USA. Sie hat das volle Paket», lässt sich ihr Manager, Stuart Duguid, der bei der Agentur Octagon auch für Belinda Bencic zuständig ist, von der britischen Zeitung «Independent» zitieren. Als wäre Naomi Osaka ein Produkt, das es an Konsumenten zu bringen gilt.
Osaka ist derzeit das prominenteste Beispiel für die Mechanismen, die in einem globalen Sport greifen, in dem Millionen umgesetzt werden. Sie ist aber längst kein Einzelfall. Eine ganze Reihe von Athletinnen ging in diesem Jahr mit ihren persönlichen Erfahrungen im goldenen Käfig an die Öffentlichkeit.
Eine von ihnen ist die Spanierin Paula Badosa Gibert. Im Juli erzählte die 21-Jährige, dass sie in eine Depression rutschte, geplagt von der Angst zu versagen, in einer Welt, die sie nicht für sich gewählt hatte. «Ich hatte keinen Antrieb mehr, weder persönlich, noch beruflich. Ich genoss nicht, was ich tat. Es ging so weit, dass ich Angst hatte, den Platz zu betreten», erzählt sie in einer Kurzdokumentation, die den Titel «El Camino a la Felicidad» – Der Weg zum Glück – erzählt ihr Trainer Xavier Budó, Badosa Gibert sei wie ein «kaputtes Spielzeug gewesen, zurückgelassen im dunkelsten Tunnel.»
Eine ähnliche Erfahrung machte die Britin Katie Swan im letzten Jahr. Ihr Freund erkrankte an Malaria, die Frau ihres Coaches erkrankte an Krebs und verstarb kurze Zeit später. 20-jährig war Swan auf sich alleine gestellt. «Dazu kam die Angst, meine Familie zu enttäuschen.» Ihr Leben stand Kopf, doch sie sollte immer noch funktionieren. In einer Welt, die wenig mit jener zu tun hat, in der Gleichaltrige leben. Eine, die glitzert und glänzt. Eine, in der die Sportler zu Artisten werden, die in der Manege zu brillieren haben, auch die Zirkus-Kinder.
Sie habe im letzten Jahr viel über sich gelernt, sagt Naomi Osaka. «Ich habe das Gefühl, als Person gewachsen zu sein.» Sie lerne gerade, wieder Freude am Tennis zu haben. Sie wolle nur niemandem zur Last fallen. Osaka, Paula Badosa und Swan – sie sind alle jung, sie alle tragen ihren Kampf mit sich aus. Die einen ein bisschen öffentlicher als die anderen. Doch verlassen werden sie ihn nicht, diesen Zirkus, dessen Kinder sie sind. Egal, wie traurig er sie manchmal machen mag.
Traurig finde ich aber, dass Rassismus in Japan sehr verbreitet ist. Die eigene Familie wendet sich von einem ab, weil man einen Schwarzen liebt...