Lückenbüsser? Ersatzmann? Ja sogar Notnagel? Es sind Charakterisierungen, die grundsätzlich zu keinem dreifachen Grand-Slam-Sieger passen.
Und doch muss Stan Wawrinka mit diesen Bezeichnungen in seiner Heimat vorliebnehmen, weil er auch nach seinem Aufstieg zum absoluten Weltklassespieler nie wirklich aus dem immensen Schatten von Roger Federer kam. Zumindest nicht in der Deutschschweiz.
Und schon gar nicht in Basel, wo Federer, der 17-fache Grand-Slam-Sieger, seit 2006 an seinem Heimturnier stets im Final stand und dort siebenmal als Gewinner vom Platz ging. Doch die eindrückliche Finalserie wird in diesem Jahr reissen: Der Lokalmatador ist nach dem frühzeitigen Saisonende der grosse Abwesende.
Und so müssen bei dem heute beginnenden Turnier andere in die Bresche springen. Vor allem Stan Wawrinka steigt nach der Last-Minute-Absage von Rafael Nadal zum Topfavoriten empor und soll erstmals am Dienstagabend, an dem zuletzt jeweils Roger Federer seinen ersten Auftritt zelebrierte, für beste Unterhaltung in der Basler St. Jakobshalle sorgen.
«Ich schätze das Turnier von Basel sehr. Die Halle wird voll sein und die Unterstützung ist immer grossartig. Ich fühle mich gut und werde den Abend geniessen», gibt sich Stan Wawrinka äusserlich gelassen.
An Selbstvertrauen mangelt es dem Romand trotz frühem Aus in Schanghai zweifelsohne nicht. Er rollt in der sonntäglichen Presserunde nochmals seinen starken Herbst auf mit dem phänomenalen Gewinn der US-Open und verrät, dass der Weg zum Titel ihn sowohl physisch als auch mental noch mehr gefordert hatte als seine Erfolge in Melbourne und Paris, er sich dadurch aber zu einem noch reiferen Spieler hat entwickeln können.
Nur zwischen den Zeilen lässt er dabei durchblicken, dass die lange Saison auch bei ihm ein wenig ihren Tribut gefordert hat und auch er sich wohl schwer tut, zum Ende des Tennisjahres die letzten Energiereserven zu finden. «Viele Spieler bekunden Mühe. Ich will mich nochmals verstärkt auf die letzten drei Turniere mit Basel, Paris und den World Tour Finals konzentrieren und hoffe, dass ich schon in dieser Woche meine Leistungen erbringen kann», so Wawrinka.
Doch Basel und Stan Wawrinka. Das harmonierte bislang ausser den Halbfinal-Vorstössen in den Jahren 2006 und 2011 nicht wirklich. Eine grosse Rechnung hat er auf alle Fälle noch offen: In den letzten vier Jahren ist der Waadtländer in Basel stets in der 1. Runde gescheitert und spielte dabei oft enttäuschend schlecht. «Ich kann es dieses Jahr ja nur besser machen», sagte der 31-Jährige lächelnd.
Er wisse nicht, wie es zu einer solch aussergewöhnlichen Negativserie kommen konnte. «Mit der Schweiz hat das sicher nichts zu tun», so Wawrinka, der seine vier Erstrunden-Niederlagen nicht auf den ungemein hohen Erwartungsdruck zurückführen will, der seine Auftritte in der Heimat jeweils begleitet.
«Ich habe mit dem Davis-Cup-Team und dem Turniersieg in Genf bereits bewiesen, dass ich auch in der Schweiz wichtige Spiele gewinnen kann.» Der Verlauf eines Turniers hänge jeweils stark davon ab, wie man starte. «Wenn ich zu Beginn auf der schnellen Unterlage wie hier in Basel zu zögerlich agiere, sinkt mein Spielniveau beträchtlich. Dann wird es schwierig.»
Knifflige Situationen wird Wawrinka auch in dieser Woche wieder zu lösen haben. Doch der Zeitpunkt ist gekommen, diese aus dem Weg zu räumen, so dass Wawrinka auch in der Deutschschweiz seine verdiente Anerkennung findet: als absoluter Weltklassespieler – und nicht als Lückenbüsser.
In der ersten Runde trifft Wawrinka (ATP 3) ausgerchnet auf Davis-Cup-Kumpel Marco Chiudinelli (ATP 122). «Es ist eine gute Challenge für mich», sagt er zum bevorstehenden Duell mit dem Lokalmatadoren. «Wir haben noch nie wettkampfmässig gegeneinander gespielt und nun die Premiere in Basel, bei ihm zu Hause, wo er jedes Jahr gut spielt. Es wird interessant.»
Der Sieger des Schweizer Duells wird auf Illya Martschenko (ATP 65) oder Donald Young (ATP 82) treffen. Chiudinelli seinerseits dürfte sich erst heute in Basel sehen lassen. Er bestritt gestern Sonntag beim Challenger-Turnier in Brest mit dem Italiener Luca Vanni noch den Doppelfinal, das die beiden jedoch gegen Arends/Kowalczyk im Entscheidungs-Tiebreak verloren (7:6, 3:6, 5:10).
Mit Henri Laaksonen (ATP 135) ist ein dritter Schweizer sicher im Haupttableau. Der 24-Jährige erhielt die letzte Wildcard der Organisatoren und spielt zum Auftakt gegen den Spanier Marcel Granollers (ATP 39). Über die Qualifikation konnte sich kein weiterer Schweizer ins Hauptfeld spielen. Antoine Bellier und Johan Nikles scheiterten schon in der 1. Runde, während Adrien Bossel in der 2. und letzten Runde gegen den Litauer Ricardas Berankis (ATP 84) chancenlos verlor.