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Nach drei Stunden und 46 Minuten konnte Wawrinka die Faust ballen. Der 30-jährige Waadtländer hatte den Halbfinal voller Höhen und Tiefen gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga (ATP 15) mit 6:3, 6:7 (1:7), 7:6 (7:3), 6:4 für sich entschieden. Nicht umsonst zeigte er mit dem Finger auf den Kopf, als er sich auf dem Weg zum Handshake mit Tsonga zu seinem Staff umdrehte. Wawrinka hatte einen mentalen Kraftakt hinter sich: «Ich bin sehr stolz, dass ich immer ruhig geblieben bin.»
Die Belohnung für den in der Pariser Hitze geleisteten Effort ist gross. Am Sonntag um 15.00 Uhr steht die Nummer 2 in der Schweizer Tennis-Hierarchie im French-Open-Final. Der Juniorensieger von 2003 trifft dort entweder auf Novak Djokovic (ATP 1) oder Andy Murray (ATP 3), deren Halbfinal beim Stand von 3:3 im vierten Satz unterbrochen werden musste und erst am Samstag zu Ende gespielt werden kann.
Gegen beide besitzt er eine negative Bilanz, gegen Djokovic verlor er 17 von 20 Duellen, gegen Murray 8 von 14. Das muss aber nichts heissen. Schliesslich holte Wawrinka seine ersten Grand-Slam-Titel vor knapp anderthalb Jahren nach Erfolgen im Viertelfinal gegen Djokovic und im Final gegen Rafael Nadal, den er zu jenem Zeitpunkt noch nie geschlagen hatte.
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Wawrinka fürchtet sich nicht vor schwierigen Aufgaben. Spätestens seit seinem phänomenalen Parcours beim Australian Open 2014 wächst er jeweils an den Schwierigkeiten. Das war auch gegen Tsonga so. Nach anderthalb nahezu perfekten Sätzen gegen den gleichaltrigen Einheimischen, in denen er das Tempo mehr oder weniger problemlos bestimmte, und in denen Wawrinka nahezu alles gelang, geriet er in ein Tief, dass ihm den Finaleinzug hätte kosten können. «Ich wurde plötzlich sehr nervös und verlor total die Konzentration», erzählte er nach der Partie.
Unter anderem wegen zweier Doppelfehler kassierte er das erste Break im zweiten Satz zum 4:4. Später vergab er fünf Breakbälle zum 6:5 und im Tiebreak leitete er das 1:7 mit drei Fehlschlägen ein. Der Blick ins Gesicht von Wawrinka verhiess nichts Gutes. Der Weltranglisten-Neunte aus Lausanne, der am Montag mindestens auf Platz 6 vorrücken wird, war gezeichnet, auch von der Hitze, den über 30 Grad im Schatten. «Ich hatte keine physischen Probleme», versicherte er. «Ich fühlte mich einfach viel schwerer als sonst.» Service und Grundlinienschläge waren lange Minuten im dritten Satz nicht mehr zu vergleichen mit jenen in der Startphase. Der Schweizer hing wie ein Boxer in den Seilen.
Tsonga erspielte sich im dritten Satz sechs Breakbälle, die Wawrinka alle abwehrte. Immer wieder konnte der Schweizer sich in diesen Momenten aufraffen: «Ich habe mit den Mitteln gekämpft, die mir zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung standen.» Er hielt sich im Satz und erholte sich langsam. Dass er sich schliesslich im Tiebreak durchsetzte, war für Tsonga wie ein Hohn. Der Mann aus Le Mans hatte bis zur Kurzentscheidung in diesem Umgang bei eigenem Aufschlag nur drei Punkte abgegeben und insgesamt sogar sieben Punkte mehr gewonnen. Doch im Tiebreak erwies sich Wawrinka als aktiverer Spieler. Und für die eingegangenen Risiken wurde er belohnt.
Es war keine hochstehende Partie, die Wawrinka und Tsonga zeigten. Das Spiel lebte in erster Linie von der Spannung. Der Franzose verpasste viele Chancen, zu viele Chancen. Mal spielte er zu zögerlich, mal unterliefen ihm einfache Fehler. Tsonga erwischte nicht seinen besten Tag, wenig erinnerte an die hervorragenden Leistungen zuletzt gegen Tomas Berdych im Achtelfinal oder Kei Nishikori im Viertelfinal. Auch Wawrinka spielte längst nicht so beeindruckend wie gegen Federer, war aber in den entscheidenden Momenten auf der Höhe. Im vierten Satz ging er gleich 2:0 in Führung und verteidigte danach diesen Vorteil bis zuletzt mit Erfolg. Am Ende hatte Wawrinka 16 von 17 Breakbällen Tsongas abgewehrt. (si/cma)