Für Eurosport-Experte Boris Becker ist klar: Der erste Herausforderer seines ehemaligen Schützlings und achtfachen Australian-Open-Siegers Novak Djokovic ist Daniil Medwedew (ATP 4). Die Meinung des Deutschen ist angesichts der Fakten nachvollziehbar. Das 6:2, 7:5, 6:1 in der 2. Runde gegen den Spanier Roberto Carballes Baena war Medwedews 16. Sieg in Serie auf der Tour. Zehn dieser 16 Erfolge waren gegen Top-10-Spieler.
«Diese Siege gaben mir natürlich einen enormen Schub an Selbstvertrauen», sagte Medwedew. Letztmals hat der Moskowiter Ende Oktober in Wien eine Partie verloren, seither gewann er das Masters-1000-Turnier in Paris-Bercy, die ATP-Finals in London und den ATP-Cup mit Russland. Der Titel in Paris war Medwedews dritter Triumph an den letzten sechs Masters-1000-Turnieren. Die anderen drei Events der nach den Grand Slams zweithöchsten Turnierkategorie gewann Novak Djokovic.
Schritt für Schritt hat sich der fast zwei Meter grosse und etwas unorthodox spielende Medwedew an die Spitze gearbeitet. 2018 feierte er seine ersten drei Turniersiege auf der Tour, 2019 folgten vier weitere inklusive dem Triumph in Schanghai. Sein Potenzial als zukünftiger Grand-Slam-Sieger deutete er erstmals am US Open 2019 an, als er in den Final vorstiess und in diesem Rafael Nadal fünf Sätze lang alles abverlangte.
«Gerade im Tennis ist vieles möglich, wenn man das Momentum auf seiner Seite hat», sagte Medwedew am Donnerstag, an dem er seinen 25. Geburtstag feierte. Dass er auch Humor hat, bewies er nach seinem klaren Sieg gegen Carballes Baena im Platzinterview. «Wenn ich verloren hätte, wäre ich richtig feiern gegangen. Nun packe ich aber nur das Geschenk meiner Frau aus, denn morgen muss ich wieder trainieren.»
Noch nicht ganz so erfahren, aber mindestens so talentiert wie Medwedew ist Andrej Rublew. Der ebenfalls in Moskau geborene Weltranglisten-Achte ist eineinhalb Jahre jünger als sein Teamkollege beim ATP-Cup-Triumph letzte Woche. In der vom Coronavirus massiv beeinträchtigten letzten Saison war der Junioren-Sieger von Roland Garros 2014 der Aufsteiger des Jahres. Rublew gewann fünf Turniere - so viele, wie kein anderer – und stiess nach dem French Open erstmals in die Top 10 vor. Das Jahr 2019 hatte er noch als Nummer 115 des Rankings in Angriff genommen.
Wie Medwedew hat auch Rublew 2021 in sechs Partien erst einen Satz abgegeben. In Melbourne befinden sich die beiden im gleichen Tableau-Viertel und würden in den Viertelfinals aufeinandertreffen. «Das wünsche ich mir», sagte Rublew. «Wenn das passieren würde, wäre es perfekt», sagte Medwedew, der die drei bisherigen Duelle der beiden mit insgesamt 7:0 Sätzen gewann.
In der gleichen Tableauhälfte befindet sich mit Karen Chatschanow ein weiterer Russe. Der in Dubai wohnhafte 24-Jährige, immerhin die Nummer 20 der Welt, liegt im teaminternen Ranking nur noch auf Platz 3. 2018 hatte er in Paris-Bercy triumphiert und damit Nikolai Dawydenko als damals letzten russischen Sieger an einem Masters-Event abgelöst. Nach dem Viertelfinal-Einzug am French Open 2019 stiess Chatschanow in die Top 10 vor. 2020 stagnierte er aber und kam an keinem Turnier über die Viertelfinals hinaus.
Ob Chatschanow, Medwedew oder Rublew, die Namen des russischen Trios dürften in den nächsten Jahren im Vorfeld eines Grand-Slam-Turniers bei der Nennung des erweiterten Favoritenkreis immer wieder fallen. Und die Chance ist gross, dass Marat Safin, der 2000 am US Open und 2005 am Australian Open siegte und Russland zu zwei Davis-Cup-Triumphen führte, bald als letzter russischer Major-Champion abgelöst wird. Vielleicht schon am übernächsten Sonntag in Melbourne. (pre/sda)