Wenn Céline Naef dieser Tage in Wimbledon über die Anlage läuft, erstarrt sie zwar nicht gleich in Ehrfurcht, weil sie im Vorjahr bei den Juniorinnen hier spielte. Doch wenn sie vom Zauber des Rasenturniers erzählt, ist ihr der Stolz schon anzumerken. Sie sagt: «Es hat etwas Magisches mit den vielen Blumen. Es wird auf jedes Detail geachtet, alles ist ‹usepütztlet›».
Am Sonntag vor einer Woche feierte die Schwyzerin ihren 18. Geburtstag. «Für mich war es ein Arbeitstag, aber am Abend bin ich mit meinem Mami in die Stadt gefahren und wir haben Sushi gegessen», erzählt Naef. Eine Woche später steht sie im Hauptfeld von Wimbledon, nachdem sie sich bereits im zweiten Anlauf bei einem Grand-Slam-Turnier erfolgreich durch die Qualifikation gespielt hat. Beim Debüt in Paris hatte ihr nur ein Sieg gefehlt. «Dort war ich sehr nervös. Dank dieser Erfahrung konnte ich es hier gelassener angehen», sagt Naef. «Ich kann megastolz auf mich sein.»
Überraschend ist nicht, dass Céline Naef am Dienstag in Wimbledon gegen die Russin Anastasia Potapowa (23, WTA 22) zu ihrem ersten Auftritt bei einem Grand-Slam-Turnier kommt. Sondern nur, wie schnell es ging.
Innert zehn Monaten hat sich Naef in der Weltrangliste vom 904. Rang auf den 165. Platz verbessert. Ende letztes Jahr war sie bei den Juniorinnen die Nummer 4 der Welt und beschloss, zu den Profis zu wechseln, obwohl sie noch bei den Juniorinnen spielen könnte. Die Belohnung für den rasanten Aufstieg der letzten Monate war eine Wildcard für das Rasenturnier in 's-Hertogenbosch. Dort besiegte Naef die 42-jährige Venus Williams, einst die Nummer 1 der Welt und fünffache Wimbledon-Siegerin. Am Tag darauf folgte der erste Sieg gegen eine Top-100-Spielerin: Caty McNally (WTA 62).
Wunderdinge erzählt man sich von Naef nicht erst seit diesen Siegen. «Wir hatten sie schon lange auf dem Radar», sagt Viktorija Golubic.
Naef griff im Alter von drei Jahren erstmals zum Racket. Mutter Sandra ist Tennislehrerin und nahm sie früh auf die Anlage des Yellow Tennis Club in Bachenbülach im Kanton Zürich mit. Mit sechs Jahren wechselte Naef nach Wollerau in die Tennisschule von Melanie Molitor. Schon Olympiasiegerin Belinda Bencic hatte bei der Mutter von Martina Hingis das technische Rüstzeug für ihre erfolgreiche Profikarriere vermittelt bekommen.
Vor acht Jahren zog die vierköpfige Familie – Céline hat einen jüngeren Bruder – nach Feusisberg in Schwyz, um näher beim Trainingsstützpunkt zu sein. Dort beendete sie im letzten Sommer auch die Sekundarschule.
Ab 2019 trainierte Naef unter dem früheren Nationaltrainer Roy Sjögren in Lachen, seit knapp zwei Jahren bildet das nationale Leistungszentrum von Swiss Tennis in Biel ihre Trainingsbasis. Ansprechpartner dort ist Michael Lammer, der 2014 mit Roger Federer und Stan Wawrinka den Davis Cup gewann. Die Erfahrung des 41-Jährigen soll Naef auch dabei helfen, den Rummel, den der Erfolg mit sich bringt, zu bewältigen. Sie sagt: «Meine Familie und Menschen wie Michi sind eine grosse Unterstützung für mich.»
Beratend zur Seite steht Naef Heinz Günthardt, der den Tenniszirkus als ehemaliger Trainer von Steffi Graf und TV-Experte wie kein Zweiter kennt. Wichtigste Person in Naefs Leben auf und neben dem Platz ist aber Mutter Sandra, die ihre Trainerin ist und die Tochter auch an alle Turnier begleitet.
Dass die Doppelrolle aus Elternteil und Trainerin auch Konfliktpotenzial birgt, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit, vor allem bei den Frauen. Naef sagt: «Das ist eine Herausforderung.» Manchmal würden sie sagen: «Hey, jetzt reden wir schon wieder übers Tennis. Andererseits ist es auch ein riesiger Vorteil, weil du dann, wenn andere schon abgeschaltet haben, noch etwas ansprechen kannst, das dich vielleicht weiterbringt.»
Dieser Satz sagt viel darüber aus, mit welcher Ernsthaftigkeit sie den Sport angeht, von dem sie sagt, er werde zwar langsam zu ihrem Beruf, der sich aber immer auch noch wie ein Hobby anfühle, weil er ihr so viel Freude bereite. Denn Naef eilt nicht nur der Ruf voraus, nie aufzugeben, sondern neben den Platz mit bemerkenswertem Fleiss und Disziplin zu glänzen.
Ob sie sich manchmal kneifen müsse, wenn sie sich überlege, was sie in den letzten Wochen und Monaten erreicht habe und dass sie sich nun mit Spielerinnen wie Iga Swiatek, Arina Sabalenka oder der Titelverteidigerin Jelena Rybakina in Wimbledon die Trainingsplätze teile, wird Naef gefragt. «Es ist wahnsinnig schön und etwas Spezielles. Ich bin sehr dankbar, dass ich hier spielen darf», sagt sie. Aber auch: «Ich habe mir das verdient.»
Schon als Kind habe sie davon geträumt, in Wimbledon zu spielen, als sie mit der Familie am Fernsehen mitgefiebert habe, wenn Roger Federer um den Sieg spielte. «Dass dieser Traum nun in Erfüllung geht, ist megacool», sagt Naef. Als Vorbild nennt die 18-Jährige aber Martina Hingis, mit der sie in der Vergangenheit mehrfach trainiert hat. «Mir gefallen Spielerinnen, die Tennis spielen und nicht einfach auf den Ball eindreschen», sagt Naef.
Hingis ist auch deshalb als Vorbild geeignet, weil Céline Naef mit ihren 1,66 Metern wie die fünffache Grand-Slam-Siegerin im Einzel zu den kleineren Spielerinnen gehört und auf ihre Stärken bauen muss. Welche das sind? «Athletik, Spielwitz, Zielstrebigkeit und eine grosse Freude am Tennis», wie Nationaltrainer Michael Lammer kürzlich zum «Tages-Anzeiger» sagte.
Diese Freude zu bewahren, wenn aus Hobby Beruf wird, wenn aus einer Juniorin eine Profisportlerin wird, ist vielleicht die grösste Kunst und grösste Hürde, die Céline Naef bevorsteht. Viele würden zu ihr sagen: «Konzentriere dich darauf, dass – egal, wie grosse ein Turnier ist – die Linien überall gleich lang, das Feld gleich gross und das Netz gleich hoch ist.» In Bellinzona, wo sie im April spielte, ebenso wie nun in Wimbledon. (aargauerzeitung.ch)