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Die WTA und das Problem mit physischer und sexueller Gewalt

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Fiona Ferro berichtete im letzten Herbst über sexuellen Missbrauch, welchen sie in ihrer Jugend erlebte.Bild: EPA

Die WTA und das Problem mit physischer und sexueller Gewalt

Immer wieder werden Tennisspielerinnen als junge Mädchen Opfer psychischer, physischer und sexueller Gewalt durch ihre älteren und meist männlichen Trainer. Wie die WTA das Problem in den Griff bekommen will. Und was Jil Teichmann darüber denkt.
22.01.2023, 15:51
Simon Häring, Melbourne / ch media
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Nicht selten kommt es vor, dass Tennisspielerinnen noch als Minderjährige mit meist deutlich älteren Trainern um die Welt reisen – und ohne Eltern. Davon, welch unheilvolle Dynamiken die Beziehungen annehmen können und wie anfällig sie für psychischen, physischen und sexuellen Missbrauch sind, berichtete im letzten Herbst die Französin Fiona Ferro, deren Trainer sie im Alter zwischen 15 und 18 Jahren sexuell misshandelt haben soll.

Sexuelle Übergriffe älterer männlicher Coaches auf junge Sportlerinnen stünden auf der WTA-Tour auf der Tagesordnung, sagte die zweifache Australian-Open-Siegerin und ehemalige Nummer 1, Viktoria Asarenka.

Beziehungen, bei denen die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben fliessend sind, haben bekanntlich ihre Tücken. Jennifer Capriati, Mary Pierce, Jelena Dokic oder Timea Bacsinszky – das Frauentennis ist voller Horrorgeschichten, wie meist Väter sie zu Höchstleistungen getrieben haben. Oft erst viel später wurde ihnen bewusst, dass ihnen psychische, manchmal physische oder sogar sexuelle Gewalt angetan worden war.

Im Sommer 2022 hatte die britische Zeitung «Telegraph» berichtet, dass die Profiorganisation im Frauentennis, die Women's Tennis Association (WTA), eine Untersuchung gegen zwei hochkarätige Trainer eingeleitet hat. Sie sollen missbräuchliche Beziehungen zu Spielerinnen unterhalten.

Ausgelöst hatte die Debatte die 21-fache Grand-Slam-Siegerin im Doppel und frühere Nummer 3 der Weltrangliste im Einzel, Pam Shriver. 2022 berichtete Shriver davon, wie sie als 17-Jährige mit ihrem damals 50-jährigen Trainer Don Candy eine Affäre begonnen hat. Er habe sie nie sexuell missbraucht, aber sie habe erst vierzig Jahre später realisiert, dass eine emotionale Abhängigkeit bestanden habe und Candy als Erwachsener in der Verantwortung gestanden wäre, dies gar nicht erst zuzulassen.

Shriver arbeitete nach der Karriere während Jahrzehnten als TV-Expertin und kennt den Tenniszirkus wie wenige andere. Sie sagt: Seither habe sich nichts geändert. Ein Eindruck, den auch Wladimir Platenik teilt, der im Sommer 2018 für einige Wochen mit Belinda Bencic arbeitete. Er sagte: «Ich habe im Frauentennis noch nie so viele Freunde gesehen, die zugleich als Trainer arbeiten.» Solche Beziehungen seien oft toxisch und könnten sich traumatisch auswirken, sagt Platenik. Und das gelte es zu verhindern.

Dessen ist sich auch die Women's Tennis Association bewusst. Deshalb hat sie im November die amerikanische Juristin Lindsay Brandon als «Director of Safeguarding» berufen. Weil sie die Arbeit erst kürzlich aufgenommen habe, könne sie noch nicht über Programme reden, deren Entwicklung und Umsetzung gemäss Stellenprofil in ihren Aufgabenbereich fällt.

Teichmann und Bencic kennen Programm nicht

Gefordert wird die Bereitschaft, «das grosse Bild» zu betrachten und sich «von Tag zu Tag» und «vor Ort» um entsprechende Fragestellungen zu kümmern. Allerdings ist fraglich, wie das mit dem Versprechen der WTA zu vereinbaren ist, dass die Position nicht mit Reisetätigkeit verbunden ist.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass weder Jil Teichmann noch Belinda Bencic bisher vom Safeguarding-Programm und dessen Leiterin Lindsay Brandon gehört haben, wie sie auf Frage von CH Media angeben. «Bei uns ist davon nicht viel angekommen», sagt Jil Teichmann. Zwar begrüsst sie die Schaffung der Meldestelle, gibt aber zu bedenken, sie habe keine Vorstellung davon, wie Massnahmen umgesetzt werden sollen, weil das auch gleichbedeutend wäre mit dem Eingreifen in die Privatsphäre, selbst wenn es Hinweise darauf gebe, dass eine Beziehung toxisch sei.

Switzerland's players Jil Teichmann and Belinda Bencic, right, pose with their trophy after defeating Australia to win the Billie Jean King Cup tennis finals, at the Emirates Arena in Glasgow, Sc ...
Jil Teichmann (links) und Belinda Bencic (rechts) haben nichts von der Schaffung einer Meldestelle mitbekommenBild: keystone

«Auf der Tour gibt es so viele verschiedene Kulturen und Verhältnisse», sagt Teichmann. Zudem sei es wie in anderen sozialen Milieus. «Jede und jeder kennt jemanden, von dem man findet, dass er oder sie eine komische Beziehung führt.» Zudem würden im Tagesgeschäft die meisten für sich schauen. Wäre eine Vertraute betroffen, würde sie aber intervenieren.

Dazu kommt ein anderes Problem: Zwar könnte Trainern bei Turnieren der Zugang verweigert werden, sie sperren oder ihnen die Zusammenarbeit mit Sportlerinnen untersagen, kann die WTA aber nicht, weil es sich bei Trainer und Sportlerin um unabhängige Vertragspartner handelt. Auch das zeigt die Ohnmacht, mit der das Frauentennis zu kämpfen hat.

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