Die Ausgangslage für die Schweizer Nationalmannschaft könnte definitiv besser sein. Nach der ärgerlichen und enttäuschenden 0:1-Niederlage im Eröffnungsspiel gegen Tschechien heisst der Gegner im zweiten Gruppenspiel Türkei.
Weil die Türken ihr erstes Spiel gegen die Portugiesen verloren haben (0:2) und letztere im Nachmittagsspiel die Tschechen besiegten (3:1), ist für das Team von Trainer Köbi Kuhn klar: Verlieren verboten!
Zum sportlichen Aspekt – der aus türkischer Sicht zudem eine Revanche für die WM-Barrage 2005 sein soll – gesellt sich an diesem Abend aber noch ein anderer gewichtiger Faktor. Pünktlich zum Spielbeginn öffnet Petrus über dem St.Jakob-Park sämtliche seiner Schleusen. Auch wenn sich auf dem Spielfeld bald Pfützen bilden, pfeift der slowakische Schiedsrichter Lubos Michel das Spiel pünktlich um 20.45 Uhr an.
Da sowohl die Schweizer wie auch die Türken gewinnen wollen, ja müssen, entsteht trotz des vielen Wassers ein sehr animiertes Duell. Die beiden Teams schenken sich nichts, wobei sich die Einheimischen besser an die Umstände anpassen und vermehrt mit langen Bällen operieren, während sich die von der türkischen Trainer-Ikone Fatih Terim kommandierten Spieler vor allem auf ihre Technik verlassen, obwohl immer weniger an Technik zu denken ist.
Brisanterweise lasten die Schweizer EM-Hoffnungen ausgerechnet auf zwei «Türken». Hakan Yakin und Eren Derdiyok ersetzen in der Offensive die beiden verletzten Alex Frei und Marco Streller – alle vier sind übrigens Basler. Yakin und Derdiyok harmonieren gut.
In der 32. Minute wird Derdiyok mit einem weiten Ball lanciert, er lässt den türkischen Goalie Volkan Demirel aussteigen und passt parallel zur Grundlinie vors Tor. Obwohl der Ball in einer Pfütze stecken bleibt, ist Yakin zur Stelle. Er drückt den Ball über die Linie und erzielt das wichtige erste Schweizer Tor an der EM 2008.
Aus Respekt vor seinen türkischen Wurzeln verzichtet Hakan Yakin auf den Jubel, wird von seinen überschwänglichen Kollegen allerdings trotzdem fast erdrückt. Nach dem Tor sind die Schweizer dem 2:0 nahe: Noch vor der Pause findet Derdiyok mit einer schönen Flanke wieder seinen Sturmpartner, doch Yakin verpasst die Grosschance drei Meter vor dem Tor.
Auch wenn der Unterhaltungswert gross ist: Es ist in der ersten Halbzeit ein Spiel am Rande der Regularität. In der Pause wird eine Blitzkonferenz unter den Verantwortlichen einberufen, die vor allem wegen des nun nachlassenden Regens auf Fortführung der Partie entscheiden. Diese Entscheidung ist berechtigt, weil die Drainage im St.Jakob-Park gut funktioniert und weil der Match andernfalls am Folgetag gänzlich hätte nachgeholt werden müssen, was angesichts des gestaffelten Programms zu Komplikationen geführt hätte.
Die Türken werden im zweiten Umgang bei den besseren Bedingungen tatsächlich stärker und erzielen in der 57. Minute durch Semih Sentürk das 1:1, welches bis in die Nachspielzeit Bestand hat. Auch weil Yakin in der 84. Minute einen verheissungsvollen Konter der Schweizer mit einem zu harmlosen Schuss abschliesst.
Im Stadion hat man sich mit dem Unentschieden, das die Situation der Schweizer nicht wesentlich verbessert, abgefunden. Doch in der 93. Minute kommt ein gewisser Arda Turan im Mittelfeld an den Ball. Das 21-jährige Talent von Galatasaray umspielt Stephan Lichtsteiner und zieht aus 20 Metern ab. Der Schuss – Patrick Müller fälscht ihn noch ab, Goalie Diego Benaglio hat keine Chance – trifft die Schweizer mitten ins Herz. 1:2, auf einen Schlag ist alles aus.
«Für uns wäre es besser gewesen, wenn es weitergeregnet hätte», sagt ein enttäuschter Ludovic Magnin nach dem Spiel. Trainer Köbi Kuhn sieht es nach der Wasserschlacht weniger eng: «Das Leben geht weiter.» Tut es tatsächlich: Dank dem 2:0-Sieg (Doppeltorschütze Yakin) gegen Gruppensieger Portugal endet das Turnier für die Schweizer immerhin versöhnlich.
Die Türken überstehen nach dem glücklichen Sieg gegen die Eidgenossen nicht nur die Gruppenphase, sie schaffen es sogar in den Halbfinal. Dort unterliegen sie – Ironie des Schicksals – im «Joggeli» (ohne Wolkenbruch) in ähnlich dramatischer Weise Deutschland mit 2:3.