54 Weltcup-Siege stehen in der Bilanz von Ski-Star Hermann Maier. In der offiziellen Bilanz. Denn nach Maiers eigener Zählweise hat er im Weltcup 55 Mal gewonnen. Der Österreicher sieht sich auch als Sieger des Riesenslaloms von Val d'Isère, den er als schnellster Fahrer bewältigt hat.
Doch die Rekordbücher sagen etwas anderes. Dort steht als Sieger der Schweizer Mike von Grünigen. Sein Rivale aus dem Nachbarland wird als «disqualifiziert» aufgeführt.
Der Grund dafür ist eine Lappalie, eigentlich kaum der Rede wert. Aber weil die Lappalie im Regelwerk festgehalten wird und das bauernschlaue Schweizer Team dieses genau kennt, kann es einen Protest gegen die Wertung des Rennens einlegen. Denn Hermann Maier hat – oh mein Gott! – nur mit einem Ski am Fuss eine rote Linie im Zielraum überquert. Nicht die Ziellinie, wo die Zeit gestoppt wird. Sondern eine Linie weiter hinten, die eben auch mit zwei Ski an den Füssen überquert werden muss.
Aufgefallen ist dies laut dem «Blick» Paul Accola. «Jetzt nimmt's mich wunder, was passiert», murmelt der Davoser, als er Maiers verfrühten Jubel sieht. Die Schweizer legen Protest ein und kommen damit durch. Schliesslich ist die rote Linie einst genau deshalb eingeführt worden, damit die Fahrer nicht schon auf der Ziellinie die Ski ausziehen und sie in die Fernsehkameras halten.
Dass die Österreicher das Vorgehen der Schweizer nicht unbedingt sportlich finden, liegt auf der Hand. «Die (N)Eidgenossen spielten einen Streich mit dem berühmten Strich, von dem man seit einem Jahrzehnt keine Notiz mehr genommen hatte», schreibt «Die Presse».
Der «Blick» schiesst im Ski-Krieg zurück und meint: «Die Österreicher messen nicht mit gleicher Elle. Sportlichkeit und Fairness verlangen sie nämlich vor allem von den andern», schreibt das Boulevardblatt und listet unsportliche Taten des historischen Erzrivalen auf.
Mike von Grünigen sagt zwar, ihm tue Maier leid, «aber es gibt schliesslich Reglemente.» Der Schönrieder bedankt sich und kassiert die Siegprämie von 45'000 Franken statt die 25'000 Franken, die es für Rang 2 gibt.
Und Hermann Maier? Der zeigt sich von der Disqualifikation unbeeindruckt: «Man kann mich derzeit offensichtlich nicht anders stoppen, also kämpft man so gegen mich», sagt er cool. Ihm würden bloss die verlorenen Weltcup-Punkte weh tun, «die entgangene Siegprämie kratzt mich nicht.» Er wisse um seine überragende Form, posaunt er: «Darum muss ich wohl krank werden, damit ein anderer gewinnen kann.»
So überheblich diese Aussage auch klingt: Hermann Maier hat sicher nicht Unrecht. Ihm gelingt in diesem Winter der endgültige Durchbruch. Er gewinnt zehn Rennen (nach seiner Sichtweise elf) und Ende Saison erstmals den Gesamtweltcup.
Das legendärste Ereignis dieses Winters ist jedoch kein Sieg, sondern ein Sturz. In der Olympia-Abfahrt von Nagano 1998 hebt Maier spektakulär ab, landet im Fangnetz und steigt nur Tage später wie Phoenix aus der Asche empor: Er verlässt Japan als Doppel-Olympiasieger in Super-G und Riesenslalom.