Mit 4000 Zuschauern wird die Kapazität der Eishalle des Sportzentrums in Herisau angegeben, 5000 lautet beim Spiel der Spiele die offizielle Zuschauerzahl. Aber das Stadion ist voller als eine U-Bahn in Tokio zur Rush Hour. Realistischer ist eher, dass zwischen 6000 und 7000 Fans dabei sind, als sich der SCH anschickt, ein Sportwunder zu schaffen. Denn nichts anderes wäre ein Aufstieg der Ausserrhoder gegen den reichen Grasshopper Club aus Zürich.
Mit 2:1 Siegen führt Herisau in der Finalserie der NLB-Playoffs. Ein dritter Sieg gegen GC und das Wunder ist vollbracht. Doch die Zürcher sind noch lange nicht geschlagen. In Herisau schiessen sie nach 28 Minuten das 1:0 – das aber nicht zählt, weil die Schiedsrichter den Treffer als Schlittschuhtor aberkennen. Keine Minute später führt Herisau. Claude Vilgrain bringt das Stadion mit seinem Shorthander ein erstes Mal zum Beben.
Der auf Haiti geborene Kanadier Vilgrain ist einer der Schlüsselspieler des SC Herisau, bei dem die meisten Akteure Amateure sind. Und er hat im Mitteldrittel noch zwei weitere Male den Stock entscheidend im Spiel: Vilgrain gibt die Assists zum 2:0 durch John Fust und zum 3:0 durch Martin Hänggi.
Nur noch zwanzig Minuten bleiben GC, um das Scheitern abzuwenden. Und immer noch lassen die Hoppers die Köpfe nicht hängen, sie trotzen der bereits ausgelassenen Feierstimmung in der Halle. Doch zu mehr als einem 2:3 schafft es GC nicht mehr. Die Sensation ist perfekt: Herisau steigt in die NLA auf.
Hinten dicht machen, blitzschnell kontern: Das ist das Rezept des Aussenseiters, mit dem er in den NLB-Playoffs für Furore sorgt. Vilgrain ist mit 21 Skorerpunkten in elf Partien die eine grosse Figur, sein kanadischer Landsmann Devin Edgerton mit 15 Punkten die andere. Auch Trainer Mark McGregor kommt aus dem Mutterland des Eishockeys.
Auf dem Eis steigt eine Party mit tausenden Fans, die nach der Schlusssirene auf das Spielfeld pilgern. Das Team feiert auch in der Garderobe tüchtig und erhält dort sogar Gratulationen der Unterlegenen. GC-Captain Martin Brich sei über eine halbe Stunde geblieben, schreibt der «Blick». Brich sagt, Herisau sei besser gewesen und verdiene den Aufstieg, das müsse man akzeptieren.
Ob GC-Spieler auch noch dabei sind, als im Stadion die Lichter ausgehen, ist nicht bekannt. Fakt ist, dass mehrere Spieler noch in voller Eishockey-Montur um Herisaus Häuser ziehen, um weiter zu feiern. Andy Krapf schläft dabei irgendwann im Freien in seiner Ausrüstung ein: «Ich weiss nicht mehr, wo mein Hausschlüssel ist», begründet er gegenüber dem «Blick».
Die Appenzeller Kämpfer hätten bewiesen, dass Herz und Engagement in Playoff-Situationen mehr bewirken können als aufgeblasene Budgets und teure Stars, lobt die NZZ den Aufsteiger mit einem Seitenhieb in Richtung Grasshoppers. Denn dort leistet sich der steinreiche Walter Frey, Auto-Importeur und SVP-Nationalrat, eine teure Mannschaft, die um jeden Preis aufsteigen soll. Frey ist beim entscheidenden Spiel in Herisau erstmals überhaupt an einem Auswärtsspiel dabei und nach dem schon wieder knapp verpassten Aufstieg sagt er dem Team laut «Blick»: «Jetzt versuchen wir es halt ein viertes Mal!»
Aber dazu kommt es nicht. Denn in einer Schublade liegt bestimmt schon ein anderer Plan bereit. Keine drei Wochen später ist nämlich die Fusion des Zürcher Schlittschuh Clubs und des Grasshopper Clubs unter Dach und Fach. Das Zusammengehen, wenn auch bei den Fans höchst umstritten, macht für beide Seiten Sinn. Der ZSC hat kein Geld, ist aber äusserst populär. GC seinerseits hat weder Zuschauer noch Geldsorgen.
So kommt Zürich zu einem nordamerikanischen Modell: Zu einem Spitzen- und einem Farmteam unter gleichem Dach. Denn mit Freys Millionen wird aus den ZSC Lions in der Nationalliga A ein Spitzenteam, während die GCK Lions (das «K» steht für den Spielort Küsnacht) in der NLB vorwiegend dazu dienen, jungen Talenten Spielpraxis zu geben.
Längst gilt die Lions-Organisation schweizweit als mitführend bei der Junioren-Ausbildung. Und dass es mit einem NLB-Aufstieg GCs in den 90er-Jahren nicht geklappt hat, ist rückblickend gesehen wohl ein Segen. Denn ob der ZSC auch ohne Fusion zu den Meistertiteln in den Jahren 2000, 2001, 2008, 2012, 2014 und 2018 gekommen wäre, scheint fraglich.
Der SC Herisau kann nicht mit solchen Meriten angeben, ganz im Gegenteil. Die Saison 1997/98 wird die einzige, in der die Ostschweizer in der NLA spielen. Die Regular Season beendet Herisau auf dem letzten Platz, in der Liga-Qualifikation folgt der direkte Wiederabstieg. Die Appenzeller müssen das Abenteuer NLA teuer bezahlen, schlittern in den Konkurs und stürzen ab.
2015 wäre der SCH um ein Haar wieder in der Nationalliga zurückgekehrt. Mit Rapperswil-Jona war alles aufgegleist, dass Herisau das Farmteam des A-Klubs in der NLB werden würde. Doch dann stiegen die Lakers dummerweise ab und der schöne Plan musste auf Eis gelegt werden. Mittlerweile spielt Herisau in der viertklassigen 1. Liga.
Neben John Fust (später u.A. Trainer bei Langnau in den Playoffs 2010/11) war dabei auch ein gewisser Center, der heute die Geschicke des LHC führt.