«The Old Firm» zwischen den Glasgow Rangers und Celtic ist eines der ältesten Derbys der Welt und das am häufigsten ausgetragene. Weit über 400 Duelle haben sich die «Gers» und die «Celts» schon geliefert. Auch durch den zwischenzeitliche Abstieg der Rangers hat das Duell kein bisschen an Bedeutung verloren.
Traditionsgemäss fand eines der Derbys – wie auch die anderen schottischen Städteduelle – zu Beginn des neuen Jahres statt. So auch 1971. Es ist kalt und neblig, ein typischer britischer Wintertag. Das Flutlicht muss angeschaltet werden, obwohl die Partie am Nachmittag stattfindet.
Dennoch pilgern über 100'000 Zuschauer für das Duell gegen den Erzrivalen in den Ibrox Park, obwohl die Heimstätte der Rangers nur für rund 80'000 Zuschauer ausgelegt ist. Trotz den Katastrophen von 1902 (25 Tote), 1961 (2 Tote), 1967 (8 Verletzte) und 1969 (24 Verletzte) stört das allerdings niemanden – mit fatalen Folgen.
Das Duell der beiden Erzrivalen verläuft zunächst überraschend friedlich. Die Polizei kann die Fanlager der protestantischen Rangers und der katholisch-geprägten Celtic beim Anmarsch zum Stadion getrennt voneinander halten, erst während der Partie kommt es zu einzelnen Schlägereien.
Auf dem Feld liefern sich die beiden Mannschaften einen packenden Fight. Chancen gibt es hüben wie drüben, doch Tore wollen zunächst partout nicht fallen. In der 89. Minute erzielt Celtic-Stürmer Jimmy Johnstone doch noch die 1:0-Führung für die Gäste, worauf die Rangers-Fans in Scharen das Stadion verlassen – unter anderem auch über Stairway 13.
Doch nur wenig später hören sie Jubelschreie von den Rängen. Colin Stein gelingt in der Nachspielzeit völlig unerwartet der Ausgleich für die Rangers. Was dann passiert, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Augenzeugen berichten, dass hunderte Fans nach dem Ausgleich umkehren, um im Stadion zu feiern. Dies wird später allerdings von vielen anderen widerlegt. Alle Zuschauer seien in dieselbe Richtung gegangen.
Fakt ist, dass im Getümmel eine kleiner Junge stürzt. Beim Versuch, ihm zu helfen, kommen weitere Personen zu Fall. Als die Leute sehen, dass die Gestürzten nicht mehr aufstehen können, wird noch mehr gedrängelt und es bricht eine Massenpanik aus. «Irgendjemand fiel, ein anderer fiel auf ihn, und so setzte es sich fort», berichtet ein Polizist später. «Es war, als ob ein Kartenhaus zusammengefallen wäre.»
Immer mehr Menschen drängen jetzt auf die 25 Meter lange und nur wenige Meter breite «Stairway 13». Die massiven Metallgeländer geben dem Druck nach, verbiegen sich und werden teilweise aus dem Boden gerissen. Kinder, Frauen und Männer werden zu Tode getrampelt, erdrückt oder stürzen in die Tiefe. 66 Menschen sterben, mehr als 200 werden verletzt.
«Das Geländer brach gerade vor mir zusammen. Ich schrie nach hinten: ‹Bleibt, wo ihr seid. Bleibt, wo ihr seid.› Aber es war unmöglich. Die Menge hinter mir wurde einfach vorwärtsgeschoben. Unter mir lagen sieben oder acht tote Männer. Neben mir stöhnte jemand auf und blieb dann reglos, er war tot», berichtet Augenzeuge Robert CampbeIl nach der Katastrophe.
«Ich wurde 20 Meter weit von der Masse mitgetragen. Über mir und unter mir: Tote und Verletzte. Ich stand auf Menschen und konnte nichts dagegen tun», schildert John Dawson, der damals ebenfalls mittendrin ist.
Die Retter sind schnell vor Ort, sämtliche Krankenwagen der Stadt sind im Einsatz. Doch alles passiert so schnell. George Connor ist einer der ersten Helfer und kann nur noch die Toten zählen: «Ich zählte bis 41, dann hörte ich auf. Die ersten fünf oder sechs versuchte ich künstlich zu beatmen. Bis ein Arzt kam und sagte: ‹Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit denen, die sind tot.› Die meisten Toten waren zwischen 20 und 30 Jahre alt, aber es waren auch Kinder darunter. Von den Opfern, die ich sah, waren nur noch zwei am Leben.»
Die Leichen werden zunächst zwischen der Eckfahne und dem Osttor auf den Rasen gelegt und mit einer grauen Kunststoffplane bedeckt, die vor dem Spiel zum Schutz vor Bodenfrost gedient hatte. Unter dem Flutlicht und einer Notbeleuchtung der Feuerwehr werden die Verletzten gepflegt. «Die Verstümmelungen der Toten unter dem Geländer waren unbeschreiblich. Meine Kollegen und ich bargen die Leichen von dort. Hinterher waren unsere Schuhe, Socken und Hosenböden blutgetränkt», berichtet ein Polizist.
Der Oberbürgermeister von Glasgow ist bestürzt und kann seine Tränen auf einer Pressekonferenz nicht zurückhalten. «Wir hatten uns alle auf ein glückliches Fussballfest gefreut, und genau das war es auch, bis … mir fehlen die Worte. Diese Tragödie übersteigt mein Begriffsvermögen. Ganz offen, mir ist das Herz gebrochen.»
Nach der Katastrophe passiert endlich etwas. Der Ibrox Park wird noch 1971 für zehn Millionen Pfund von Grund auf renoviert und 1981 neu gebaut. Aus der ovalen Form wird der typisch britische viereckige Bau, die Stehplätze verschwinden und die Kapazität wird auf 50'467 Zuschauer reduziert.
Auch für den britischen Fussball hat die Tragödie Konsequenzen. Die Art, wie Stadien gebaut werden, wird von Grund auf neu durchdacht. Mit Hilfe der britischen Regierung gibt die Sports Grounds Safety Authority Richtlinien heraus, worauf bei Bau von Sportstadien zwingend geachtet werden muss.
Im Ibrox Park, das seit dem Umbau Ibrox Stadium heisst, ereignet sich tatsächlich nie wieder eine Katastrophe. Doch der britische Fussball bleibt von Tragödien nicht verschont. 1985 sterben beim Brand der Haupttribüne des Valley-Parade-Stadions von Bradford 56 Menschen. Zweieinhalb Wochen später verlieren bei der Heysel-Katastrophe 39 Menschen ihr Leben. Und 1989 bei der Hillsborough-Katastrophe muss Fussball-Britannien um 96 weitere Menschenleben trauern.