Die Tour de France 1963 geht an Jacques Anquetil. Wieder einmal. Für den Franzosen ist es der vierte Sieg, der dritte hintereinander. 1964 wird er die «Grande Boucle» gar noch ein fünftes Mal gewinnen.
Das Maillot Jaune streift sich Anquetil aber erst wenige Tage vor dem Ziel in Paris über, nach einem Sieg in den Alpen. In der 7. Etappe trägt es noch der Belgier Gilbert Desmet. Ziemlich sicher präsentiert er es am Start in Angers, auf halbem Weg zwischen Le Mans und Nantes im Westen Frankreichs gelegen, mit einigem Stolz den Zuschauern.
Währenddessen befindet sich Jan Janssen noch im Hotel. Der 23-jährige Niederländer bestreitet seine erste Tour de France – und verpennt den Start. «Als ich mit meinem Mannschaftskollegen Dick Enthoven ankam, war einfach keiner da, so sehr wir uns auch umschauten», schildert Janssen später in einem Interview. Passanten klären das Duo schliesslich auf: Der Start ist schon erfolgt.
«Also folgten wir den Pfeilen, welche die Route markierten, und hetzten dem Feld hinterher. Wir fuhren sicher etwa drei Stunden, rund 80 Kilometer, bis wir in der Ferne viel Bewegung wahrnahmen. Da war die Tour», so Janssen.
Schliesslich können die beiden Nachzügler zum Feld aufschliessen, dort werden sie – mehr oder weniger – freundlich begrüsst: «Alle lachten über uns.»
Doch Janssen hofft, dass das Sprichwort zutrifft, wonach der am besten lacht, der zuletzt lacht. Denn bevor er zur Hatz aufs Feld angesetzt hat, hat er sich das Etappenprofil angeschaut und sich gut eingeprägt. «Ich habe gesehen, dass etwa zwei Kilometer vor dem Ziel ein kurzer, aber mit 15 Prozent sehr steiler Anstieg zu bewältigen ist.»
Janssen nimmt sich vor, in dieser Rampe zu attackieren und er kann dieses Vorhaben im Rennen auch in die Tat umsetzen. «Ich habe angegriffen, hatte bald 20 Meter Vorsprung, dann 30 Meter, 40 Meter, 50 Meter.»
Oben angekommen, hat er immer noch diese rund 50 Meter Vorsprung. Nun geht es nur noch flach in Richtung Ziel, das sich auf einer Aschenbahn befindet. «Diese Unterlage kannte ich gut, weil in der Nähe meines Wohnorts eine Pferderennbahn war, auf der ich trainierte. Ich fühlte mich wohl darauf.»
Und so gibt er noch einmal alles, was er hat. Jan Janssen, der den Start verschlafen hat, wird nach 236 Kilometern Etappensieger in Limoges, er rettet einige Radlängen Vorsprung über den Zielstrich. «Sie haben alle über mich gelacht, aber am Ende habe ich den Blumenstrauss erhalten», erzählt Janssen und lacht laut über seinen Coup.
Drei Tage später endet seine Tour-Premiere: Janssen muss nach einem Sturz in der Abfahrt vom Col d'Aubisque in den Pyrenäen mit gebrochenem Oberschenkel aufgeben.
Das hält ihn nicht von seinem Weg ab, einer der erfolgreichsten Rennfahrer der 1960er-Jahre zu werden. Jan Janssen wird 1964 Strassen-Weltmeister, er wird Gesamtsieger der Tour de France (1968) und der Vuelta (1967) und gewinnt unter anderem auch Paris–Roubaix (1967).