Jeder Radsport-Interessierte weiss, was sich in der letzten Etappe der Tour de France 1989 ereignet hat. In einem Zeitfahren auf die Pariser Champs-Élysées drehte der Amerikaner Greg LeMond den Spiess um, entriss dem gesamtführenden Franzosen Laurent Fignon das Maillot Jaune und gewann die Rundfahrt mit winzigen acht Sekunden Vorsprung. Es ist bis heute die knappste Differenz zwischen dem Sieger und dem Zweitplatzierten.
Doch in dieser Geschichte geht es darum, was sich drei Wochen vorher ereignet hat. Pedro Delgado, der Gewinner der Tour de France 1988, hat die Ausgabe 1989 nämlich im Prinzip schon vor dem Start verloren. Delgado verschwitzt seinen Start zum Prolog in Luxemburg.
Der Spanier findet das Starthaus erst mit Verspätung. Exakt 2:40 Minuten, nachdem er hätte starten sollen, geht Delgado auf die Strecke. Da nützt es ihm auch nichts, dass er einen starken Prolog zeigt und unterwegs nur 14 Sekunden auf den holländischen Tagessieger Erik Breukink verliert. Mit 2:54 Minuten Rückstand ist Pedro Delgado 198. und damit Letzter der Tour.
Schnell machen Gerüchte die Runde. Er habe beim «käfele» die Zeit vertrödelt, glauben die einen zu wissen, die Polizei habe ihn aufgehalten, sagen andere. Aber es war weder das eine noch das andere. «Ich wärmte mich fernab von Reportern und Fans auf», schilderte Delgado. «Dann traf ich auf (meinen Konkurrenten) Thierry Marie, fragte ihn über die Strecke aus und stellte irgendwann fest, dass ich mich ganz schön weit vom Start entfernt hatte.»
Fast drei Minuten Rückstand sind ganz schön viel, aber die Differenz ist noch aufzuholen. Doch Delgados Alptraum-Wochenende ist noch nicht vorbei. «Ich konnte in der Nacht nach dem verpatzten Prolog kaum ein Auge zumachen. Im Mannschaftszeitfahren war ich ein gebrochener Mann, ständig mussten meine Teamkollegen auf mich warten.»
Reynolds-Banesto ist die langsamste aller 22 Equipen, verliert über viereinhalb Minuten auf Super U um Laurent Fignon. Delgados Rückstand auf den Franzosen beträgt nun schon mehr als sieben Minuten. Die Tour ist verloren.
«Dabei habe ich mich nie so gut gefühlt wie vor der Tour de France 1989», ärgerte sich Delgado, «ich hätte sie mit einem Bein fahren können.» Sechs Wochen vorher hatte er die Spanien-Rundfahrt, die heute im Herbst ausgetragen wird, für sich entschieden.
Delgado scheint tatsächlich gut in Form zu sein. Denn er zeigt in der Folge ein offensives Rennen, verbessert sich immer weiter nach vorne und steht am Ende sogar noch auf dem Podest. Nicht ganz zuoberst, aber mit 3:34 Minuten Rückstand auf Sieger Greg LeMond wenigstens noch als Dritter.
Insgesamt stand Delgado bei den drei grossen Landesrundfahrten acht Mal auf dem Podest, drei Mal als Sieger (Tour de France 1988, Vuelta 1985 und 1989). Insgesamt schaffte er 18 Platzierungen in den Top 10.
Pedro Delgados verpatzter Prolog 1989 ist wohl das beste Beispiel für eine Aussage, die jeder Fahrer und jeder Fan kennt: Man kann die Tour de France nicht am ersten Tag gewinnen – aber man kann sie am ersten Tag schon verlieren.
Joe Smith